Schweiz
Coop

Coop macht Markenhersteller mit neuer Strategie nervös

Die Salat- und Fruechtetheke fuer den Take-Away im COOP Pronto Tankstellenshop in Zuerich-Seebach, aufgenommen am 12. Oktober 2007. Eine Angestellte nimmt aus einer Kiste Flaschen und fuellt die Regal ...
Markenprodukte haben hierzulande einen schweren Stand: Laut dem Verband Promarca sind Eigenmarken nirgendwo stärker vertreten als im Schweizer Detailhandel.Bild: KEYSTONE

Nestlé & Co. sind nervös: Neue Coop-Strategie versetzt Markenhersteller in Sorge

Markenhersteller fürchten sich zunehmend vor Platzmangel in den Regalen von Coop und Migros – vor allem bei einem Händler.
16.06.2019, 21:5017.06.2019, 13:32
Benjamin Weinmann / ch media
Mehr «Schweiz»

Es ist ein Kampf um Zentimeter. Seien es Lindt-Schokokugeln, Kambly-Guetzli oder Emmi-Joghurts – die Markenartikelhersteller stehen in einem brutalen Wettbewerb, um es in die Regale der hiesigen Detailhändler zu schaffen. Dort ist der Platz physisch begrenzt. Dieser Kampf wird härter, wie eine neue Studie von Promarca zeigt, dem Verband der Schweizer Markenartikelindustrie. Schuld sind die sogenannten Eigenmarken – Produkte, die ein Händler selber herstellt oder produzieren lässt, um den Kunden in der Regel eine günstigere Alternative zum Original anzubieten, ohne dafür gross zu werben. Der Nachteil: Wirklich populär sind Eigenmarken selten. Der Vorteil: Der Händler kann damit auch preissensitive Kunden anlocken, eigene Innovationen lancieren und eine grössere Marge einkassieren.

Die Studie basiert auf einer Umfrage bei den 84 Promarca-Mitgliedern. Zu diesen gehören namhafte Schweizer Firmen wie Rivella, Zweifel oder Ricola sowie internationale Konzerne wie Coca-Cola, Unilever oder Procter & Gamble. Zusammen erwirtschaften sie einen Umsatz von 12 Milliarden Franken. Bei der Frage, welches die momentan grössten Herausforderungen im Schweizer Markt seien, legte die Antwort «Verdrängungskampf mit anderen Marken» am stärksten zu und schaffte es mit 32 Prozent der Nennungen gar aufs Podest – hinter der Konzentration im Detailhandel (60 Prozent) und dem Preisdruck (40 Prozent).

Für Promarca-Geschäftsführerin Anastasia Li ist klar: «Die Tatsache, dass der Verdrängungskampf den Herstellern zunehmend Sorge bereitet, ist insbesondere Ausdruck der neuen Coop-Strategie.» Der Basler Genossenschaftsriese ist mit Abstand der grösste Absatzkanal für Markenartikelhersteller. Wer es nicht ins Coop-Regal schafft, hat praktisch keine Chance sich national durchzusetzen. Zwar hat auch Coop Eigenmarken wie Beispiel «Betty Bossi», «Naturaline» oder «Jamadu». Deren Anteil betrug in den vergangenen Jahren aber nur 50 Prozent. Doch dieser Wert steigt. Heute beträgt er 55 Prozent. Und bei der Präsentation der Jahreszahlen im Februar sagte Coop-Vizechef Philipp Wyss im Gespräch mit dieser Zeitung, dass das Ziel 60 Prozent seien.

Dieser Ausbau macht vielen Herstellern das Leben schwerer. «Denn schon heute sind wir Coop praktisch ausgeliefert, wenn wir ein neues Produkt lancieren wollen», sagt ein Kadermitglied eines bekannten Nahrungsmittelherstellers. «Oft heisst es in den Verhandlungen: ‹Wir haben bereits unsere eigene Marke dafür, wir brauchen euren Artikel nicht zusätzlich.› Aber ohne Coop geht es nun mal nicht.» Die restlichen Händler wie Spar, Aldi, Lidl oder Volg seien zu klein für einen durchschlagenden Erfolg.

Eine Folge von Duttis Strategie

Bei der Migros hingegen sind sich Hersteller und Kunden daran gewöhnt, dass Markenartikel die Ausnahme sind. Die Zürcher Genossenschaft kopiert seit je erfolgreiche Originale, und gewährt diesen in den Regalen nur selten einen Platz. Die Dominanz der Eigenmarken bei der Migros ist historisch begründet. Firmengründer Gottlieb Duttweiler war ein Preisbrecher. Er wollte der Kundschaft keine überteuerten Produkte der Markenartikelindustrie vorsetzen, welche die Migros anfangs boykottierte. Also begann die Migros, ihre eigenen Produkte herzustellen.

Gottlieb Duttweiler
Vater der Migros: Gottlieb Duttweiler.Bild: Wikipedia

In den vergangenen Jahren hat sich die Migros etwas geöffnet. So nahm sie 2010 Thomy-, Coca-Cola und Nescafé-Produkte ins Sortiment auf, und 2008 ersetzte sie die Eigenmarke Mivella durch das originale Rivella. Und zuletzt schaffte es Emmis «Caffè Latte» ins Regal. Doch zum Handkuss kommen nach wie vor nur Topmarken. Die eigenen Marken wie der kultige Ice-Tee, Mirador-Würze oder Candida-Zahnpasta und die M-Budget-Produkte generieren laut eines Migros Sprechers noch immer 80 Prozent des Umsatzes. Mengenmässig dürften sie laut Kennern gar 90 Prozent des Sortiments ausmachen.

Zur künftigen Strategie äussert sich die Migros nicht. Einzig: «Die Eigenmarken waren schon immer Bestandteil unserer DNA und sie werden das auch bleiben.» Tatsächlich sind ihre Eigenmarken deutlich bekannter als jene von Coop.

Warnzeichen für Nestlé und Co.

Der Umstand, dass Eigenmarken an Bedeutung gewinnen, bestätigt Nordel Cavadini, Detailhandelsexperte der Beratungsfirma Oliver Wyman. «Die Händler versuchen sogar vermehrt, die Eigenmarken zu echten Marken zu machen, und werben dafür auch auf sozialen Medien.» So hat die Migros-Kosmetiktochter Mibelle eine neue Beauty-Linie lanciert, gemeinsam mit einer deutschen Influencerin. Die Migros selber sprach im entsprechenden Communiqué davon, das eigene Markensortiment auszubauen – obwohl es sich um eine Eigenmarke handelt.

Cavadini weist auf einen weiteren Aspekt hin: die Glaubwürdigkeit einer Marke. Das Beratungsunternehmen hat eine repräsentative Umfrage bei Konsumenten durchgeführt, nachdem Detailhändler im In- und Ausland zuletzt bekannte Markenartikel im Rahmen von Preisverhandlungen aus dem Sortiment geworfen hatten. So entfernte Coop in der Schweiz gleich mehrere Nestlé-Produkte. «Aufgrund unserer Umfrage lässt sich sagen, dass die Konsumenten im Falle eines Produkteboykotts eher Partei für die Detailhändler ergreifen und ihnen glauben, dass sie für tiefere Preise kämpfen.»

Das sei für die Hersteller ein Warnzeichen, sagt Cavadini. Ihre Position erfährt dadurch in den Preisverhandlungen eine weitere Schwächung gegenüber den dominierenden Grossverteilern. Denn: Migros und Coop bilden laut Andrea Graber, Vizedirektorin der Wettbewerbskommission, ein faktisches Duopol. «Die beiden beanspruchen im klassischen Lebensmittelhandel nach wie vor einen hohen Marktanteil.» Der Markteintritt der deutschen Discounter Aldi und Lidl vor gut zehn Jahren und der Einkaufstourismus hätten zwar den Wettbewerb etwas belebt, die Situation aber nicht grundlegend verändert.

Fallbeispiel: Pampers

Tipp-Ex, Knirps, Post-its – allesamt Produkte, die so erfolgreich waren, dass sie als Bezeichnung für eine ganze Gattung in den Sprachgebrauch aufgenommen wurden. So auch Pampers, die Windel-Marke des US-Konsumgüterkonzerns Procter & Gamble – seit Jahren der unbestrittene Marktführer. Pampers besitzt in Westeuropa einen Umsatzanteil am Gesamtmarkt von 41 Prozent, wie Zahlen des Marktforschers Euromonitor International aufzeigt. In der Schweiz sind es gar über 60 Prozent. Das Marktvolumen beträgt hierzulande über 143.5 Millionen Schweizer Franken – respektive 18.8 Millionen Kilogramm Bekleidung für den Baby-Popo.

Pampers Packshot native
Verlieren Marktanteile: Windeln der Marke Pampers.bild: pampers

Doch laut neusten Euromonitor-Zahlen, die dieser Zeitung vorliegen, verliert Pampers an Boden: Eigenmarken wuchsen über die letzten fünf Jahre hinweg knapp viermal so schnell wie Pampers; seit 2015 verliert letztere sogar Marktanteile. «Unsere Eigenmarke Milette hat in den letzten Jahren in der Tat Aufschwung erlebt im Vergleich zu Pampers», sagt ein Migros-Sprecher. Auch Coop bestätigt die Tendenz.

Manon Quillere, Analystin bei Euromonitor International, macht für den Siegeszug der Eigenmarken deren günstige Preise und die gute Qualität verantwortlich. Auf dem Vormarsch, auch wenn weiterhin ein Nischenmarkt, seien ausserdem Start-ups mit natürlichen Windeln, die chemiefrei sind. Verglichen mit Westeuropa vertrauen die Schweizer Konsumenten jedoch sowohl Pampers als auch den Eigenmarken deutlich stärker als anderen internationalen Anbietern wie Huggies von Kimberly-Clark oder Start-up-Produkten. Luana Rossi (bzbasel.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Wer hat den längsten Kassenzettel
1 / 7
Wer hat den längsten Kassenzettel
Hast du dir schon einmal überlegt, welcher Detailhändler den längsten Kassenzettel hat? Wir waren im Aldi, Denner, Coop und der Migros einkaufen (je vier Artikel).
quelle: watson
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Shoppen kann richtig aufregend sein - mit diesen 9 Typen!
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
57 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
raues Endoplasmatisches Retikulum
16.06.2019 22:38registriert Juli 2017
Nun grundsätzlich ist es gut, wenn sich die "Markenartikel" Konkkurenz ausgesetzt sehen und sich sorgen machen müssen, allerdings, und darauf wird im Artikel ja auch eingegangen, ist der Detailhandel in der CH sowieso in einer prekären Situation, die Marktmacht von Migros und Coop sind einfach zu hoch. Das führt auch dazu, dass sie in viele anderen Geschäftsfelder expandieren...
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
derlange
16.06.2019 22:13registriert Dezember 2016
Der Kunde kauft was er bequem kriegt
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
lumo
17.06.2019 01:05registriert Januar 2015
Tja Cola Produkte gibts bei mir eh nimmer seit der Preiserhöhung durch die dummen kleinen Flaschen.
00
Melden
Zum Kommentar
57
Ständeräte unzufrieden: Eigenmietwert-Abschaffung droht erneut zu scheitern

Die Abschaffung des Eigenmietwerts droht erneut zu scheitern. Zwar stört sich eine Mehrheit beider Räte an der Steuer. Wie der Systemwechsel umgesetzt werden soll, ist jedoch umstritten. In zentralen Punkten sind sich National- und Ständerat nicht einig.

Zur Story