Es war eine Flucht nach vorne: Der Dachverband der Club- und Konzertbranche wollte nicht mehr der Buhmann der Nation sein, nachdem gleich mehrere «Superspreader-Events» in Bars, Pubs und Nachtclubs bekannt geworden waren. Der Verband zeigte auf, dass man Clubs später und langsamer öffnen wollte. watson machte gestern diese Exit-Strategie publik.
Ihr Schutzkonzept sah vor, dass die Pforten zu den Clubs für Grossveranstaltungen bis 1000 Personen erst im September geöffnet werden. Doch der Bundesrat zeigte kein Gehör für die Nachtleben-Lobby, setzte auf schnellere Lockerungen und erlaubt solche Grossevents bereits seit dem 22. Juni.
Seither gab es schweizweit mehrere Corona-Ansteckungen in Clubs und Pubs. Das Fazit von Max Reichen von der Berner Bar- und Clubkommission (Buck): «Die raschen Cluböffnungen erweisen sich als kontraproduktiv.» Nordschweizer Kantone reagierten und führten eine 100er-Regel ein.
Die Kritik an zu frühen Öffnungen teilt man in der Politik nicht. Andri Silberschmidt, der als Zürcher FDP-Nationalrat in der Geschäftsprüfungskommission sitzt, sagt: «Die Club-Betreiber und Branchenverbände hätten es in der Hand gehabt, die eigenen, strengeren Schutzkonzepte durchzusetzen.»
Sein Parteikollege im Ständerat, Damian Müller, sieht es ähnlich und spricht von einer «heissen Kartoffel», die nun weitergereicht werde. Auch er findet, dass ein Club nicht öffnen solle, wenn man die Schutzkonzepte als nicht ausreichend empfindet: «Niemand zwang sie, früher zu öffnen.»
Das Bundesamt für Gesundheit reagierte am gestrigen Point de Presse auf den watson-Artikel. «Der Bundesrat kam zum Schluss, dass diese Lockerungsschritte möglich waren. Er entschied dies zu einem Zeitpunkt, als tiefe Zahlen gemeldet wurden und der Trend nach unten zeigte», sagte Stefan Kuster, Leiter der Abteilung «Übertragbare Krankheiten» beim BAG, auf Anfrage.
Max Reichen, Vertreter des Berner Nachtlebens, bleibt bei seinem Standpunkt: «Für viele Betriebe war es schlicht keine Option. Hätte ein Club nach den Lockerungen weiterhin mit der Öffnung gewartet, hätte es keine Corona-Entschädigungen mehr gegeben.» Die Betreiberinnen seien daher vor der Wahl gestanden: «Entweder öffnen oder Konkurs gehen», sagt Reichen auf Anfrage von watson.
Die St. Galler SP-Nationalrätin Barbara Gysi zeigt Verständnis für das Klagen der Branche. Betont aber: «Natürlich stellt sich die Frage der Entschädigungen, wenn ein Club nach den Lockerungen sich freiwillig einschränkt.» Das hätte man anschauen können und nach Lösungen suchen, wenn die Kritik an schnelleren Lockerungen früher geäussert worden wäre. Reichen entgegnet dazu: «Wir haben uns mehrfach an die Behörden gerichtet.»
Trotz allem Verständnis sagt auch die St. Galler Sozialdemokratin: «Wenn die Clubbetreiber selbst wissen, dass es eine Infektionsgefahr mit solchen Lockerungen gibt, dann wäre ihre Eigenverantwortung auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gewesen, mit Öffnungen abzuwarten und sich auch gegenüber den Behörden aktiver zu positionieren.»
Aber in diesem Fall waren die Clubs fast 'gezwungen' gewesen wieder aufzumachen.
Also ich finde, da kann sich die Regierung jetzt nur ganz schlecht rausreden.
Ich muss beruflich laufend Anträge für Kurzarbeit und Erwerbsersatz einreichen und kann aus Erfahrung sagen, dass es bei einer freiwilligen Schliessung schwierig geworden wäre.
Ich bin ja dafür, dass nur jene Geld erhalten, die darauf Anspruch haben, habe aber den Eindruck, dass die Politik die Ausgaben auf Kosten der Leute senken will, die sich nicht zu wehren wissen. Hätten wir nicht eingegriffen, hätten einige Kunden schon lange kein Geld mehr gesehen, obwohl sie es nötig haben.