Der SRF Club war am Dienstagabend gut besetzt mit Entscheidungsträgern aus Politik, Wissenschaft und Sport. Hier die Teilnehmer:
Das Thema der Sendung umriss Moderatorin Barbara Lüthi mit folgenden Fragen: Reichen die vom Bundesrat verkündeten Massnahmen aus? Und welche Szenarien werden sonst noch diskutiert? Wo wurden bisher Fehler gemacht?
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Der strittigste Punkt der aktuellen «Club»-Sendung war das Berner Verbot von Grossveranstaltungen. Warum es zum Verbot gekommen sei, wollte SCB-Geschäftsführer Marc Lüthi vom Berner Gesundheitsdirektor Schnegg wissen. Dieser verwies zuerst auf die aktuelle Lage: «Wenn Sie innerhalb einer Woche eine Verdoppelung haben, danach fast eine Verdreifachung, dann zeigt es ganz klar, dass wir auf einige Dinge verzichten müssen. Konkret: In den letzten vier Tagen hat es mehr Fälle gegeben als während der ersten drei Monate der Pandemie. Wir müssen rasch handeln, und wenn wir das nicht machen und das kleine Fenster verpassen, dann wird es einen wochenlangen Lockdown geben», warnt Schnegg und ergänzt: «Wir müssen jetzt handeln, sonst werden wir von der Pandemie überrollt.»
Marc Lüthi zeigte dafür zwar Verständnis, ging aber gleich auf Angriff und kritisierte die Kommunikation. Fünf Minuten vor der Pressekonferenz sei man darüber informiert worden. «Das isch unanständig und schnodrig, es tuet mer leid.» Lüthi bemängelt vor allem, dass die Sportvereine nicht in die Diskussion einbezogen worden seien.
Schnegg konterte, dass man schon immer mit der Ampel kommuniziert habe und dass die Farbe auch wechseln könne. Gesundheitsminister Alain Berset habe klar gesagt, man müsse die epidemiologische Lage beobachten und dann entsprechende Entscheidungen treffen.
Lüthi wendete ein, dass die Berner aber nicht an der Spitze der Neuinfektionen seien. Schnegg postwendend: «Ich will nicht an die Spitze.»
BAG-Chefin Anne Lévy unterstützte Schnegg: «Der Bundesrat hat immer gesagt, ab Oktober sind Veranstaltungen erlaubt, wenn es die epidemiologische Lage zulässt. Und darüber zu entscheiden, ist in der Hand der Kantone.»
SCB-Lüthi blieb bei seiner Kritik und bemängelte die fehlende Kommunikation. «Wie lange ist die Ampel auf Rot? Und was ist das Ziel dieser Übung?» – «Wie lange, können wir nicht sagen», antwortet Schnegg. Lüthi erneut: «Ja, aber wie lange?!» – «So lange, bis dieses exponentielle Wachstum gebrochen ist, bis es wieder auf einem akzeptablen Niveau ist.»
Kantonsärztin Yvonne Hummel aus dem Aargau wird von der Moderatorin gefragt, wieso man denn im Aargau trotz ähnlicher Zahlen wie in Bern nicht auch Grossveranstaltungen verbiete. Humbel: «Wir sind in einem Bereich, wo niemand weiss, was richtig ist. Wir können heute nicht sagen, das ist der richtige Weg. Dazu kommt ein grosser Ermessensspielraum und viele Einflussfaktoren. Am Schluss kann man es erlauben oder eben nicht. Für mich ist das sehr gut nachvollziehbar, dass man zu verschiedenen Schlüssen kommt.»
Auch Schnegg verteidigt den föderalistischen Weg: «Die Zahlen entwickeln sich überall anders. Innerhalb von sieben Tagen hat sich die Anzahl der Hospitalisierten verdoppelt. Wenn es noch eine Verdopplung gibt: kein Problem. Das System wird weiter laufen. Wenn es sich in der übernächsten Woche wieder verdoppelt: Dann wird es langsam heiss. Und wenn es sich noch einmal verdoppelt, dann werden wir grosse Schwierigkeiten haben.»
Intellektuell könne man das alles nachverfolgen, schiebt SCB-Lüthi ein. Was er aber kritisiert: «Die ganze Kommunikation.» Und die Wirtschaft wurde nicht einbezogen. Für den SC Bern bedeute das: Für jedes Spiel mit nur 1000 Zuschauern brauche man finanzielle Unterstützung. «Wir wollen unser Geld selber verdienen. Wenn wir das nicht können, muss uns jemand helfen. Und sonst muss man uns die gesellschaftliche Relevanz des Sports erklären. Wenn die nicht da ist, dann machen wir unsere Betriebe zu. Denn höremer uf.»
«Wir haben natürlich gewusst, dass eine zweite Welle kommt und auch gewusst, dass sie heftiger, schneller und gefährlicher als die erste Welle wird. Das hat uns nicht überrascht», sagt die neue BAG-Chefin Anne Lévy. «Aber wir haben gedacht, dass sie ein bisschen später kommt und dass man es voraussieht. Aber das ist das Problem: Wir haben es nicht vorausgesehen».
Moderatorin Lüthi will von Epidemiologe Althaus wissen, ob er enttäuscht sei ob dem Umgang mit der Pandemie. «Ja, als Wissenschaftler ist man ein bisschen enttäuscht, dass Europa den Umgang nicht findet mit dieser Epidemie.» Man müsse schon auch sehen, dass es Länder gibt, die das Virus unter Kontrolle haben. Man könne auch ausserhalb der Schweiz schauen, was da gemacht wird. «Wir haben es in Israel schon lange gesehen, die waren im zweiten Lockdown.» In der Schweiz habe man im Sommer geöffnet, man wusste, wie es kommen würde. «Da gibt es jetzt wirklich keine Ausreden mehr», bilanziert Althaus.
Hausarzt Chaix kritisiert, dass es bei einer Pandemie keine randomisierten Doppelblindstudien gäbe. Theoretisch wäre es die einzige Art zu beweisen, wenn man einen Kanton Bern mit und ohne Massenveranstaltungen vergleichen würde. Natürlich würde da niemand mitmachen, aber darum sei der Beweis bei so einer Pandemie nicht möglich.
Althaus wirft ein: «Es gibt genug Daten. Es gibt Bergamo, da sieht man, was passiert, wenn nichts gemacht wird. Oder es gibt Neuseeland, wo man sieht, wie man es eindämmt.» Welche Massnahmen genau am wirkungsvollsten seien, wisse man nicht. Aber: «Man sieht bei Schweden, dass sie mit einer Obergrenze von 50 Personen das Virus einigermassen in den Griff bekommen haben.»
In Schweden sei die Kommunikation auch ein klarer Pluspunkt gewesen. Wie es dann aber in der Schweiz aussehe, will Moderatorin Lüthi wissen. Althaus sagt, es sei jetzt sehr wichtig, dass man regelmässig kommuniziere. Über den Sommer habe er das vom Bund schon etwas vermisst, aber auch bei den Kantonen. Zwischenfrage Moderatorin: Welche Kantone? Althaus:
SCB-Lüthi wieder in der Offensive: Die Sportvereine hätten seit Sommer an Schutzkonzepten gearbeitet um der «Obrigkeit» zu beweisen, dass es geht. «Was haben aber die Kantone und der Bund in Sachen Contact Tracing gemacht? Man hätte im Sommer etwas Gutes aufbauen können, stattdessen funktioniert es nicht.»
Moderatorin Lüthi fragt in die Runde, wo denn die Versäumnisse liegen. «Wir haben sicherlich nicht genügend gross dimensioniert. Wir hatten einen Plan in Bern mit 80 Tracern und einer externen Firma gehabt. Und jetzt sehen wir, dass es mit 200 oder 400 Fällen nicht genügt», sagt Gesundheitsdirektor Schnegg. Wenn es bei 400 Fällen bleibe, dann würden 200 Contact Tracer reichen. Wenn es sich weiter verdoppelt, dann nicht. «Da finden sie nicht auf dem Arbeitsmarkt 200 Leute.»
Schnegg weiter: «Das ist nicht ein Problem des BAG, das ist ein Problem, das wir in der gesamten Schweiz haben, und dazu müssen wir stehen und uns bemühen, das zu verbessern.»
Moderatorin Lüthi fragt in Richtung BAG-Chefin Lévy: Wie sieht es denn mit der zentralen Datenbank aus bezüglich Contact Tracing? «Wir sind dran, fünf Kantone liefern Daten automatisiert.» Angesprochen auf das Schmunzeln von Althaus sagt dieser: «Jo das isch ez natürli ... goht e chli lang.» Man müsse es akzeptieren, dass eben alles ein bisschen komplizierter ist in der Schweiz. Es sei bereits in der Exit-Strategie klar gewesen, dass man auf das Contact Tracing setzen müsse. «Da hätte man etwas grösser, etwas föderaler denken müssen».
(jaw)
Das ist eigentlich der Skandal.