Eigentlich sind die Regeln klar, sie stehen in der Covid-19-Verordnung des Bundesrats. Demnach sind Veranstaltungen mit über 300 Teilnehmern nach wie vor verboten. Im Lausanner Fussballstadion Pontaise hatte das zur Folge, dass das weite Rund mehr oder weniger leer blieb, als Lausanne und Basel am Sonntag im Cup-Viertelfinal aufeinander trafen. Zuschauer waren beim ersten offiziellen Fussballspiel in der Schweiz seit Ende Februar keine zugelassen.
Die Veranstaltungsregeln gelten auch für Demonstrationen, leicht abgeschwächt zwar, weil politische Kundgebungen ein Grundrecht sind, verankert in der Verfassung, staatspolitisch natürlich viel bedeutsamer als ein Fussballspiel.
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Doch das Coronavirus nimmt darauf keine Rücksicht. Menschenansammlungen gefallen ihm, weil es sich auf solchen besonders schnell verbreiten kann. Deshalb gilt auch hier: maximal 300 Teilnehmer. Ein Schutzkonzept, dass die Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln, ist Pflicht. Ebenso eine behördliche Bewilligung.
Von alldem war am Wochenende in verschiedenen Städten nichts zu sehen. In Zürich etwa protestierten am Samstag 10'000 Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt, ohne Bewilligung. Die Polizei liess sie gewähren.
In Bern hielten es die Ordnungshüter gleich. War das gesunder Menschenverstand? Oder ist da etwas schief gelaufen, weil es nicht angeht, dass das Gesetz so gebrochen wird?
Bei den Sicherheitsbehörden in Kantonen und Städten, dort also, wo die Demonstrationsregeln des Bundes umgesetzt werden müssen, hat man sich von Anfang an schwergetan mit den Vorgaben aus Bern. Urs Hofmann (SP), der Präsident der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren KKJPD, spricht von einer «nahezu unlösbaren Aufgabe», vor der die Polizeikorps stünden.
Er meint einerseits die Obergrenze von 300, die bei einer erteilten Bewilligung nur sehr schwer zu kontrollieren sei. Und zum anderen meint der Aargauer Sicherheitsdirektor auch den Umgang mit einer unbewilligten Demonstration.
«Rechtlich war zwar verboten, was in Bern und Zürich passiert ist. Aber faktisch ist es nicht möglich, solche Demonstrationen aufzulösen, ohne dabei unverhältnismässig vorzugehen», sagt Hofmann.
Der Ausserrhoder Andrea Caroni ist Präsident der Staatspolitischen Kommission des Ständerats. Caroni sagt, er ärgere sich in erster Linie über jene Leute, welche unbewilligte Demonstrationen organisierten oder daran teilnehmen – und damit eigenmächtig die öffentliche Gesundheit gefährden.
Doch der FDP-Ständerat ist auch mit dem Vorgehen der Behörden nicht zufrieden. «Man kann die Regeln des Bundes natürlich kritisieren, aber man muss sie dennoch durchsetzen», sagt Caroni, «und ganz bestimmt sollte man eines nicht tun: Im vornherein Forfait erklären und so solche Demos erst recht anheizen, so wie das etwa in Zürich passiert ist.»
Auch eine Äusserung des St. Galler Sicherheitsdirektors Fredy Fässler stört Caroni. Der Sozialdemokrat Fässler hat in einem Interview mit den Tamedia-Zeitungen die Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt als «hocherfreulich» bezeichnet. Caroni sagt dazu: «Sicherheitsdirektoren sollten den Regelbruch verhindern, nicht loben – unabhängig davon, ob ihnen die Botschaften der Demonstrierenden gefallen oder nicht».
Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel, betont, dass die Auflösung einer Demonstration laut Verfassung «als solche verhältnismässig» sein müsse.
Konkret bedeutet das: Nur weil eine Kundgebung nicht bewilligt wurde, ist das noch kein Grund, diese um jeden Preis aufzulösen. «Wenn 10'000 Menschen friedlich demonstrieren, kann man gar nicht verhältnismässig auflösen», sagt Schefer.
Für ihn zeigt die aktuelle Debatte, dass man rechtlich in der «schwierigsten Phase der ganzen Corona-Zeit» angelangt sei. Es sei extrem anspruchsvoll, die Lockerungen so zu formulieren, dass sie in sich kohärent blieben.
Am kommenden Freitag kommt es im Bundesrat zur nächsten Corona-Sitzung. Unter anderem wird dann die 300-Personen-Grenze für Veranstaltungen auf der Traktandenliste stehen. Und die Kantone hoffen, dass der Bundesrat auch die Regeln für Demonstrationen auf den Prüfstand stellt.
KKJPD-Präsident Urs Hofmann sagt, in seinen Augen müsse die 300er-Grenze bei politischen Kundgebungen fallen – und zwar ganz. «Eine neue Obergrenze hilft nicht weiter und bringt für uns nur neue Vollzugsschwierigkeiten», sagt Hofmann.
Deshalb schlägt der SP-Regierungsrat ein anderes Vorgehen vor, eines, dass stärker auf Schutzkonzepte setzt und den Einbezug der Demonstranten. «Wir können Demonstrationen nicht verhindern. Also sollten wir sie bewilligen – und alles daran setzen, auf ihnen das Ansteckungsrisiko zu minimieren», sagt Hofmann.
Der Aargauer schlägt etwa die Einführung einer Maskenpflicht auf Kundgebungen vor – und auch, dass die Behörden dafür sorgen, dass genügend Masken zur Verfügung stehen.
Ob der Bundesrat auf die Forderung der Kantone eingehen wird, ist allerdings ungewiss. Dem Vernehmen nach ist derzeit keine Sonderlösung für politische Kundgebungen geplant.
Was mich jedoch stört ist die jetzige Forderung.
Die Sicherheitsbehörden hatten noch nie Probleme absolut sinnlose Gesetze gegen einzelne durchzusetzen, hauptsache Busse und die Kohle fliesst.
Sind sie nich in der Lage ihre Arbeit zu verrichten, wollen sie angepasste Gesetze.
Eine fatale Signalwirkung. Recht ist auf was die Polizei gerade Lust hat?