Blicken wir auf die vergangenen Monate zurück und auf die Köpfe, die diese Zeit geprägt haben. Wer kommt uns in den Sinn? Natürlich Daniel Koch! Der «Mister Corona» himself. Marcel Salathé! Der Epidemiologe und neu auch SBB-Werbebotschafter. Richard Neher, Christian Althaus … Die Liste an männlichen Wissensvermittlern, die während der Corona-Krise dringliche Fragen beantwortet und Sachverhalte eingeschätzt haben, ist lang.
Zu lang. Denn sie steht in keinem vernünftigen Verhältnis zu jener der Expertinnen.
Das bestätigt auch ein Blick in die Mediendatenbank: Die Trefferanzahl der oben genannten Corona-Experten beläuft sich seit Ende Februar bei allen im drei- oder vierstelligen Bereich. Die Corona-Expertinnen hingegen wurden zwischen drei und 41 Mal zitiert oder erwähnt.
In Deutschland gibt es dazu bereits eine Studie. In dieser wurden 79’807 Artikel von 13 Online-Auftritten von Printmedien untersucht. Weniger als ein Drittel der Virologinnen und Virologen, Expertinnen und Experten und Forscherinnen und Forscher waren Frauen. Im Fernsehen betrug der Frauenanteil bei Epidemiologinnen und Epidemiologen gerade einmal 6 Prozent.
Dabei wäre es genau jetzt, in dieser historischen Zeit, wichtig gewesen, dass Frauen und Männer ihr Wissen gleichermassen vermitteln hätten können. Noch nie war das mediale Interesse so hoch; die Zugriffszahlen der Newsportale und Einschaltquoten der Fernsehstationen schnellten in die Höhe. Von jung bis alt, alle wollten informiert werden.
Und dann sind da aber durchs Band Männer, die die neue Welt erklären. Diese Männerdominanz transportiert ein veraltetes Weltbild, in dem die Männer das Sagen haben und, wenn's drauf ankommt, das Zepter übernehmen. Genderforscherin Tina Büchler sagt deshalb zurecht: «Das ist ein herber Rückschlag für Gleichstellungsbemühungen der letzten Jahre.»
Gerade für die nächste Generation hätte man auch weibliche Vorbilder schaffen müssen – sie sind Teil der Veränderung. Denn wie auch die Sprache das Denken formt, sind auch Bilder prägend für das Bewusstsein. Alle müssen wissen: Die Wissensmacht liegt nicht alleine bei den Männern.
Warum kamen denn kaum Expertinnen zu Wort? Einerseits wegen den Medien selbst. Statt immer wieder auf dieselben Experten zurückzugreifen, hätten sie weiter recherchieren sollen. Von Anfang an war da nämlich auch die Epidemiologin Olivia Keiser, Biostatistikerin Tanja Stadler, Virologin Alexandra Trkola oder Infektiologin Sarah Tschudin Sutter. Es gab also keinen Grund, immer wieder Marcel Salathé und Co. zu befragen, der auf Sozialen Medien rasch zum Corona-Influencer mutierte.
Während er und seine Berufskollegen tausende Follower zählen und fleissig kommunizieren, fristen die Twitter-Profile der Corona-Expertinnen ein tristes Dasein. Um bei Medienschaffenden Aufmerksamkeit generieren zu können, ist die Social-Media-Aktivität heute jedoch ein Muss. Bei diesem Punkt sind auch die Wissenschaftlerinnen in der Pflicht, sich mehr aufzudrängen.
Tatsächlich forschen insgesamt aber weniger Frauen. Das Problem liegt bei den Hochschulen. Die Zahlen in der Schweiz zeigen: Je höher der akademische Abschluss, desto geringer ist der Frauenanteil. Grund dafür ist unter anderem, dass bisher mehrheitlich Männer wissenschaftliche Karrieren gemacht haben. Die traditionellen Karriereanforderungen und Strukturen stimmen deshalb für viele Frauen nicht.
Auf über zwei Seiten hat der «Blick» vergangene Woche die «Wissenschaftler in der Corona-Krise» bewertet. Allesamt waren Männer. Das Blatt beantwortet ungewollt selbst, warum der Kreislauf der männlichen Wissenschaftsdominanz hätte gebrochen werden müssen: «Es geht nicht nur um Ruhm und Ehre, es geht um Forschungsgelder und Mandate. In der Krise werden Karrieren gemacht und geknickt.»
Diese Erkenntnis hindert uns nicht daran, in dieser Beziehung für eine hoffentlich ferne nächste Krise dazu zu lernen.
Allerdings finde ich es äusserst billig, diese Krise, die auch in der Schweiz fast 2000 Todesopfer forderte, für die Gender-Diskussion zu missbrauchen.