Es war neben der langen Liste der gelockerten Massnahmen die spannendste Nachricht des gestrigen Tages: Die wissenschaftliche Corona-Taskforce des Bundes gibt das Mandat ab. Sie war das Beratungsgremium der Landesregierung während der letzten zwei Pandemiejahre und informierte die Bevölkerung fast im Wochenrhythmus über neue Erkenntnisse zum Coronavirus – und das unentgeltlich.
Der Bundesrat erwähnte diese Nachricht beinahe beiläufig in seiner Medienmitteilung: Die Taskforce habe das Beratungsmandat «auf eigenen Wunsch» vorzeitig auf Ende kommenden März beendet. Das Mandat wäre eigentlich erst Ende Mai abgelaufen. Gesundheitsminister Alain Berset (SP) präzisierte an der Pressekonferenz, dass der Bundesrat davon erst am Mittwochmorgen Kenntnis genommen hat.
Der Abgang kommt überraschend: Noch am Tag davor meldeten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einer 31-seitigen Lagebeurteilung. Der Bundesrat äusserte sich zu einer Reihe der darin erwähnter Empfehlungen nicht. Wir schlüsseln auf, was das nun bedeutet.
Die erste Frage, die sich stellt, ist: Stellt das Coronavirus eine besondere Gefahr für die Gesellschaft dar, dass es den Einsatz einer besonderen wissenschaftlichen Beratung braucht? Der letzte Bericht der Taskforce ist zwar alles andere als ein warnendes Pamphlet, die darin erwähnten Szenarien erlauben aber auch kein komplettes Aufatmen:
Für die Taskforce sind beide Szenarien «plausibel» und sie betont, dass der erste Punkt alles andere als das Ende der Pandemie darstellt. Sie sagt dabei auffällig deutlich, dass auch «sogenannte milde Verläufe» eine grosse Einschränkung bedeuten: Betroffene könnten tagelang nicht arbeiten oder unter «Long Covid»-Symptomen leiden. Für die Wissenschaft, Politik und vor allem die Invalidenversicherungen gebe es da viele offene Fragen.
Entwickelt sich hingegen die Pandemie in eine negative Richtung, müsse man den Dialog zwischen Politik und Wissenschaft beibehalten. Und zwar mit einer «koordinierten Kommunikation» und in «institutionalisierter Struktur». Im Grunde genommen also das, was die Taskforce die vergangenen knapp zwei Jahre machte. Diese Erkenntnis wurde gar mit einer Studie unterstrichen, die klar festhält: Es brauche neben einer Taskforce noch weitere andere Instrumente der wissenschaftlichen Politikberatung, so die Wissenschaftsforscherin und Studienautorin Alexandra Hofmänner.
Einen Tag nachdem die Taskforce diese Einschätzung teilt, folgt nun der Widerspruch: Statt einer besseren oder gar mehreren Wissenschaftsbeiräten soll es nun gar keine mehr geben.
Präsidentin Tanja Stalder begründet die baldige Auflösung des Beirats mit: «Die Science-Taskforce hat immer gesagt, dass es ihr Ziel ist, nicht mehr gebraucht zu werden. Dieser Zeitpunkt ist nun gekommen.» Die Schweiz wechsle aktuell vom Krisenmodus zum Normalzustand, weshalb eine stets verfügbare wissenschaftliche Beratergruppe «nicht mehr benötigt» werde.
Abgesehen davon, dass die Politik des Bundes nicht immer die Arbeit ihrer «stets verfügbaren» Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wahrnahm, stellt sich die Frage: Wie lässt sich der frappante Meinungswandel bei der Taskforce erklären?
Von Stalder und ihrer Organisation war bis Redaktionsschluss dieses Artikels nichts dazu zu hören. In einer knappen Mitteilung wurde lediglich daran erinnert, dass es viele unbeantwortete Fragen zum Coronavirus und zur Pandemie im Allgemeinen gäbe. Und vor allem, dass die Gefahr vor Sars-CoV-2 nicht gebannt sei.
Die tatsächlichen Gründe für den Rückzug der Taskforce bleiben damit offen. In ihrem letzten Lagebericht erwähnte die Wissenschaft, dass verschiedene Massnahmen zur Überwachung der pandemischen Situation notwendig sind. So müssten Datenbanken bereinigt und verknüpft, Laborkapazitäten für PCR-Tests, Virusvarianten-Sequenzierungen ausgebaut und die Immunisierung der Bevölkerung überwacht werden.
Die Taskforce empfiehlt den Ressourcenausbau zur Erforschung von «Long Covid» und bemängelt fehlende Daten bei sozialen Themenfeldern der Pandemie: Es gebe zu wenig Informationen darüber, wie schwerwiegend sich die Armut, häusliche Gewalt oder geschlechtsspezifische Bereiche verändert haben.
Die Liste möglicher Forschungsbereiche ist noch länger. Die Taskforce will jedoch diese Expertise künftig nicht mehr gebündelt und als Beratungsgruppe liefern. Man werde aber der Politik «bei Bedarf weiterhin zum Austausch zur Verfügung stehen, so wie sie es auch vor der Pandemie getan haben». Unklar ist, ob die Taskforce diese Haltung aus Überzeugung oder Frust vertritt. Angefragte Personen aus dem Umfeld der Taskforce wollten sich dazu nicht äussern.
Der Gesamtbundesrat nahm am Mittwochmorgen vom Rückzug der Taskforce Kenntnis. Er bedankte sich für den «wertvollen Einsatz» der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, der Austausch mit ihnen sei für den Bundesrat immer «zentral und wichtig gewesen», sagte Gesundheitsminister Alain Berset. Zum 31-seitigen «Abschiedsbericht» der Taskforce äusserten sich weder Berset noch Bundespräsident Ignazio Cassis.
Der Bundesrat machte stattdessen auf die watson-Frage nach einem «Plan B» klar, dass er es mit dem Rückzug aus der besonderen Corona-Situation ernst meint.
Man werde das Virus weiterhin überwachen, nur halt so, wie es bei anderen Krankheitserregern wie der Grippe gemacht werde. Bundesrat Cassis erwähnte da den Begriff «Courant normal»: Es gehöre zum Alltag, übertragbare Krankheiten zu überwachen und zu verfolgen, wie die sich im Verlauf der Zeit entwickeln. Gewisse Elemente des besonderen Corona-Monitorings würden zudem weiterhin bestehen bleiben, so Berset. Konkrete Pläne für den Fall, dass das Coronavirus ein Comeback feiert, nannte der Bundesrat aber nicht.
Berset sagte zum geforderten Ausbau im Bereich des Pandemie-Datenmanagements lediglich: Die Schweiz habe viel getan und werde nun prüfen, was es zusätzlich braucht. «Wir haben Kenntnis von den Wünschen und müssen jetzt schauen, was möglich ist», so Gesundheitsminister Alain Berset. Das sei ein Projekt für die kommenden Wochen, Monate und Jahre.
Ein Wunder dass die das überhaupt so lange gemacht haben.