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Coronavirus: Starke Nebenwirkungen nach Genesung

Marc Halter und Luljeta Pllana haben das Coronavirus besiegt. Die Erholung dauert bis heute an.
Marc Halter und Luljeta Pllana haben das Coronavirus besiegt. Die Erholung dauert bis heute an.Bild: Shutterstock/AZ/Montage: mwa

Immer mehr Corona-Patienten gelten als genesen – und klagen über heftige Nachwirkungen

Das Coronavirus zeigt eine weitere fiese Seite: Als wäre der Akku kaputt, so beschreiben manche nach der Krankheit ihr Befinden. Das ist nicht unbedingt Corona-spezifisch. Aber auffallend häufig.
06.07.2020, 17:5406.07.2020, 17:55
Sabine Kuster / CH Media
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Fünf Wochen nach der Erkrankung sass der Aarauer Regierungsrat Urs Hofmann im Fernsehstudio des Lokalsenders und sagte, die Unterarme auf den Tisch gestützt: «Ich bin noch nicht so, wie ich mich kenne. Ich schlafe viel.»

Er sei nicht sicher, was noch in ihm drin sei und was noch rausmüsse. Er schwitze nachts oft. Der Regierungsrat war Ende März an Corona erkrankt und hätte beinahe beatmet werden müssen.

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Je mehr Leute die Krankheit durchgemacht haben, desto öfter hört man von extrem langer Erholungszeit. Ein Teil dieser Fälle ist womöglich auf das Post-Intensivstations-Syndrom zurückzuführen: Das sind die geistigen, körperlichen oder psychischen Schäden, die durch eine schwere Krankheit währen der Intensivpflege entstehen.

Urs Hofmann: «Corona ist eine perfide Krankheit – es ging mir im Leben noch nie so schlecht» (28. April 2020)Video: tele m1

Doch manche der nun elend Müden waren nicht mal im Spital. Die Erkrankung der Engländerin Sara Edwards, über die BBC letzte Woche berichtete, liegt zehn Wochen zurück. Die 26-Jährige ging davor fünfmal pro Woche joggen. «Aber jetzt ist es schon nur mühsam, Treppen zu steigen, Haare zu kämmen oder wenn ich mich bücke, um die Socken anzuziehen», sagt sie. «Es ist eine Müdigkeit, wie ich sie noch nie erlebt habe.»

Andere berichten, wie sie sich besser fühlen, aber sobald sie aktiv sind, zurückgeworfen werden. Das Alter scheint dabei keine Rolle zu spielen.

Keine Atemnot, aber ständig sind Pausen nötig

Der 48-jährige Marc Halter aus Baden war einer der ersten Corona-Patienten in der Deutschschweiz. Anfang März hatte er erste Symptome, bald darauf lag er im Kantonsspital Baden acht Tage lang im künstlichen Koma.

Seit drei Monaten ist er wieder gesund und sagt, er habe keine Folgeschäden und auch nie mehr Atemnot. Wenn nur die Energie länger reichen würde: «Ich gehe zwar jeden Tag zweimal mit dem Hund raus», sagt Halter, «aber die Runden sind noch so kurz, dass sich der Hund langweilt.»

Marc Halter Anfang April – noch kann er nicht arbeiten.
Marc Halter Anfang April – noch kann er nicht arbeiten.Bild: ch media/Alex Spichale

Arbeiten geht nicht. Dabei dachte der Primarlehrer im April noch, er werde spätestens im Juni zu seiner Klasse zurückkehren. Nun startet er nach den Sommerferien mit einem 20-Prozent-Pensum.

«Früher gab ich 12 bis 14 Stunden am Tag Vollgas», sagt er. Jetzt pfeift ihn sein Körper nach einer, maximal zwei Stunden zurück, und er muss mindestens eine halbe Stunde ruhen. Er sagt:

«Der Körper sendet starke Signale, der Kopf hat es jetzt auch akzeptiert.»

Im Spital wurde ihm gesagt: «Sie haben es geschafft.» Doch das war nur der erste Teil der Krankengeschichte.

Die bleierne Müdigkeit ist nicht nur nach Corona-Infektionen bekannt. Berüchtigt für hartnäckige Langzeitfolgen ist auch die Mononukleose, besser bekannt als Pfeiffersches Drüsenfieber. 2008 fiel Tennisstar Roger Federer deswegen mehrere Wochen aus. Andere sind monatelang müde, in sehr seltenen Fällen bleibt der «Akku» jahrelang kaputt.

Das Problem sind die schweren Entzündungsreaktionen

Jürg H. Beer, Chefarzt am Departement Innere Medizin des Kantonspitals Baden, hat Marc Halter behandelt. Er sagt: «Jede virale Erkrankung kann grundsätzlich eine sogenannte Fatigue machen. Auch nach einer Grippe fühlen sich viele noch wochenlang extrem müde. Das ist nicht aussergewöhnlich.»

Doch nun kristallisiere sich heraus, dass ungefähr einer von zehn Covid-19-Patienten eine solch bleierne Müdigkeit entwickle. «Das ist meist die Folge der Entzündungsreaktion, kann aber auch andere Ursachen haben. Bei der Coronaerkrankung treten Lungenembolien und Thrombosen gehäuft auf. Deshalb muss der Hausarzt dies überwachen.»

Kinder betrifft es nicht

Infektionen im Kindesalter – egal ob es das Eppstein-Barr-Virus ist wie beim Pfeifferschen Drüsenfieber oder das Corona-Virus – verlaufen meist mild und heilen gut aus. Doch das erwachsene Immunsystem braucht länger, bis die Abwehrzellen lernen, mit einem neuen Erreger umzugehen: Nachdem der Körper die Infektion erkannt hat, treten T-Lymphozyten, auch Killerzellen genannt, in Aktion.

Wenn diese die Infektion nicht unter Kontrolle bringen, bleibt die Aktivierung der anderen Killerzellen, der Makrophagen, erhalten. Diese sorgen nicht nur am Anfang der Infektion dafür, dass sich T-Zellen vermehren, sie verursachen auch Entzündungen, um das Virus besser zerstören zu können. Spezielle Proteine, die Zytokine, regulieren die Produktion der Makrophagen. Doch wenn der Körper des Virus nicht Herr wird, entgleist die Regulierung, es kommt zu einem Zytokin-Sturm.

Diese Überproduktion von Makrophagen schadet nicht nur dem Virus, sondern auch den Gefässen des Körpers. Bei Covid-19 entstehen überall Entzündungen in Organen, und Gewebe wird zerstört. Dabei ist im Blut das Virus längst nicht mehr nachweisbar.

Immunologe Christian Münz vom Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich erklärt das so: «Auch wenn das Corona-Virus nicht mehr nachweisbar ist, konnte es der Körper vermutlich nicht vollständig eliminieren. Oder aber die fortgeschrittene Gewebezerstörung hält die Entzündung am Laufen.»

Die bleierne Müdigkeit entsteht wegen dieser Entzündungen, die immer wieder irgendwo im Körper aufflammen. Eine solche autoentzündliche Erkrankung ist mit einer Autoimmunkrankheit vergleichbar. Aber irgendwann schafft es der Körper doch noch, das Immunsystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen, und die Krankheit wird im Unterschied zu Autoimmun­erkrankungen nicht chronisch.

Viel tun kann man nicht. Korrekt essen und genügend schlafen helfe, sagt Jürg H. Beer, und manchmal nützten medikamentöse Entzündungshemmer.

Depressionen können die Folge von Entzündungen sein

Die Entzündungen könnten auch erklären, warum Personen mit solchen Langzeit-Folgen manchmal Depressionen entwickeln: Die Entzündungen finden wie bei der Autoimmunkrankheit Rheuma oft auch im Gehirn statt. Ungeklärt ist noch, ob das Virus im Nachhinein andere Krankheiten auslösen kann an Lunge, Herz oder Gehirn.

Marc Halter traf zum Glück keine Depression. Kaum aus dem Koma erwacht, wollte er heim zur Familie. Später telefonierte er viel. «Ich bin ein kommunikativer Mensch und konnte das so verarbeiten», sagt er. «Ich bin dankbar, dass ich noch hier bin.»

Langsam, aber stetig geht es aufwärts. Eineinhalb Stunden Autofahren bis ins Ferienhaus im Emmental, das klappt. Seine Klasse hat er zwei Mal besucht. Es habe ihn mit Energie aufgeladen, als die Kinder ihn begrüsst hätten. Am Fest im Quartier vor einer Woche blieb er zwei Stunden und ging dann ermattet heim. Er geht einkaufen, mäht die Wiese so lange, wie er kann, und sagt, es sei wichtig, etwas zu tun.

Die meisten spüren zum Glück nichts mehr vom Virus

Nebst seiner Krankheits-Geschichte gibt es sehr viele, die längst nichts mehr vom Virus spüren. Peter Buri, der sich als Aargauer Regierungsratssprecher wie Hofmann in der Verwaltung angesteckt hatte, erkrankte zwar ebenfalls schwer, doch er sagt: «Ich bin besser zwäg als vorher.» Er hat Gewicht verloren und treibt mehr Sport.

Und es gibt die traurigen Geschichten. Jene des Patienten am Unispital Zürich, der am längsten auf der Intensivstation war: 84 Tage lang. Vor drei Wochen konnte der 65-Jährige das Spital endlich verlassen und wurde zur Rehabilitation nach Nottwil verlegt. Der Zeitung wollte er seine Geschichte erzählen, weil ihm wichtig war, dass die Leute erfahren, was das Corona-Virus anrichten kann.

«Ich war überrascht, wie unbekümmert die Leute in Zürich miteinander umgehen. Es ist hier, als hätte es Corona nie gegeben.»

Doch dazu kam es nicht, er starb vor einer Woche, nachdem es ihm ein paar Tage wieder schlechter gegangen war. Seine Lebenspartnerin sagt: «Es war ein langer Weg, den er hinter sich hatte. Dann reichte wohl ein Windstoss, um das Gebäude zum Einsturz zu bringen.»

Er habe lange gekämpft, aber der Körper habe anders entschieden. Sie sagt auch: «Die Intensivstation ist ein guter Ort, um zu überleben, er hat die beste und aufopfernde Behandlung bekommen, die zu haben war. Aber sein Leben wäre nun ein anderes gewesen. Das Virus hatte genug Zeit, um ausser der Lunge noch andere Organe zu schädigen.»

Die Lebenspartnerin wohnt die meiste Zeit in Deutschland und sagt: «Ich war überrascht, wie unbekümmert die Leute in Zürich miteinander umgehen. Es ist hier, als hätte es Corona nie gegeben.»

Wieder aufrecht in der Rehaklinik: Luljeta Pllana hats geschafft.
Wieder aufrecht in der Rehaklinik: Luljeta Pllana hats geschafft.Bild: ch media/Britta Gut
Für Luljeta Pllana applaudierte das Pflegeteam
Luljeta Pllana, 64, hat sich bei der Arbeit angesteckt und danach die ganze Familie. «Die erste Erinnerung nach einem Monat im künstlichen Koma ist der grosse Durst. Und dass ich zuerst nicht trinken durfte. Ich fühlte mich wie in der Sahara. Und eine Minute fühlte sich an wie eine Stunde. Ich konnte nicht schlucken. Als ich merkte, dass ich meine Hand keine zwei Zentimeter weit bewegen konnte, dachte ich, das Leben ist zu Ende. An die Zeit im Koma kann ich mich nicht erinnern, höchstens an eine Art Ozeanwellen. Aber mein Unterbewusstsein hat sicher registriert, dass mich mein Sohn und meine Tochter unterstützten, sie sagten mir an Videokonferenzen, dass ich kämpfen soll und dass sie mich sehr lieben. Das hat das Personal auf der Intensivstation ermöglicht. Sie haben auch Tagebuch geführt von dieser Zeit, deshalb weiss ich nun einiges von dem, was geschah. Sonst wäre ein ganzer Monat aus diesem Jahr in meinem Kopf gelöscht. Sie haben auch Fotos gemacht von mir auf dem Bauch intubiert. Sie haben das wahnsinnig gut gemacht.

Meinen Kindern konnten das Personal nicht sagen, ob ich es schaffen würde. Aber es informierte sie jeden Tag zwischen 9 und 10 Uhr. Mein Mann musste kurz nach mir ebenfalls ins Spital. Er ist 77 Jahre alt, ich 64. Ich bin Pädagogin und mache sozialpädagogische Familienbegleitungen, zum Beispiel im Auftrag der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb. Bei einer der Familien habe ich mich angesteckt. Ich besuchte sie während zweieinhalb Wochen fünfmal. Die Kinder leben mit dem Vater zusammen. Ich habe mir nichts dabei gedacht, dass er krank war und mich nur aus der Ferne aus dem Schlafzimmer begrüsste. Es war Ende März, Anfang April, ich trug keine Maske. Die Luft war wohl kontaminiert. Nach dem fünften Besuch rief der Vater an und sagte, sie hätten Corona. Der Mann war im März in der Türkei gewesen und hat sich vielleicht am Flughafen angesteckt.

Zum Glück habe ich keine der anderen fünf Familien angesteckt, die ich in dieser Zeit besuchte. Aber meine eigene Familie. Der Sohn hatte nur milde Symptome und isolierte sich zwei Wochen lang. Meine Tochter war zehn Tage im Kantonsspital. Sie sind beide erwachsen. Meinen Mann und mich traf es wie aus dem Nichts. Wir hatten uns am Freitag isoliert, am Samstagmorgen, 25. April, hatte ich Fieber. Am Abend musste ich auf den Notfall. Zwei Tage später wurde ich intubiert. An all die SMS, die ich am Samstag noch meiner Tochter, Bekannten und der Chefin geschickt hatte, konnte ich mich nicht mehr erinnern. Nur daran, dass ich das Gefühl hatte, zu ersticken.

Sieben Tage, nachdem ich aus dem Koma erwacht war, konnte ich vier Sekunden lang auf den Beinen stehen. Die Pflege hat sehr intensiv mit mir gearbeitet. Am zwölften Tag schaffte ich es mit dem Rollator auf die Toilette, das Pflegeteam applaudierte. Ich wollte meinem Mann via Spitalpost einen Brief schreiben, damit er sieht, dass ich überlebt habe. Er war zuerst zehn Tage auf der normalen Station, bis sich sein Zustand verschlechterte. Aber es war schwierig, zu schreiben, ich konnte mich kaum konzentrieren. Als ich am 13. Tag einige Schritte alleine gehen konnte, waren alle begeistert.

Nach 45 Tagen im Spital kam ich in die Zürcher Rehaklinik Wald. Mein Mann auch. Er bekam noch zu wenig Luft und das machte ihm Angst. Jetzt kann er fast ohne Unterstützung wieder gehen, aber er hatte dazwischen noch eine Komplikation wegen einer Blasenentzündung. Als wir unsere Enkel zum ersten Mal wieder gesehen haben, war das sehr schön. Aber ich habe mich nie isoliert gefühlt, weil ich von den Pflegenden so viel Achtsamkeit erfuhr. Vor einer Woche konnte ich heimgehen. Mein Mann hoffentlich diese Woche. Es kommt mir vor, als wäre ich von einer anderen Welt zurückgekommen. Ich habe noch Physiotherapie, aber ich hoffe, dass ich im August wieder arbeiten kann. Ich freue mich sehr über das Leben.»
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Das Coronavirus in der Schweiz – eine Chronologie
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quelle: keystone
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24 Kommentare
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Stiggu LePetit
06.07.2020 19:08registriert Juni 2018
Wie absurd die Demos gegen Coronamassnahmen für die Menschen mit einem schweren Verlauf sein müssen...
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Kolo
06.07.2020 20:01registriert Juni 2020
Genau diese fast nicht enden wollende Erschöpfung, hat mein Vater nach durchstandenem covid19 auch gehabt. Wohlgemerkt ohne hospitalisierung und ohne dramatischen krankheitsverlauf. Er beschrieb es schon immer als "ganzkörperkrankheit". Nicht die Lunge war bei ihm das hauptproblem. Und danach für mehr als 2 Monate komplett ausgepowert. Er ist nicht mal 70 und fit. Also liebe Leute, nicht nur die Toten sind das Problem mit Corona, sondern auch mittelschwere Verläufe sind echt die Hölle. Hebet euch sorg! Und nehmt es wirklich ernst!
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Luukituuki
06.07.2020 20:16registriert Mai 2016
Das mit dem Pfeifferischen Drüsenfieber kann ich nur bestätigen! Ich habe zum teil noch heute probleme mit lägeren Sporteinheiten. Und meine erkrankung liegt jetzt 2 Jahre zurück. Und richtig zugeschlagen hat es erst als die Krankheit überwunden war.

Sowas wünsche ich niemandem.
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