Die Negativmeldungen wollen nicht abebben: Der Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca stand in den letzten Wochen vermehrt in der Kritik. Auch hierzulande.
Letzte Woche teilte Swissmedic mit, dass sich die Zulassung des Impfstoffes weiter verzögern werde. Die bisher vorliegenden und ausgewerteten Daten würden noch nicht ausreichen, hiess es. Swissmedic benötige zuerst noch weitere Angaben zur Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität der Impfung.
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Vor einigen Tagen folgte die nächste Hiobsbotschaft: Die Universität Oxford liess in einer Mitteilung verlauten, dass das Vakzin bei einer Infektion mit der südafrikanischen B.1.351-Variante nur noch «minimal vor einem milden bis moderaten Covid-19-Verlauf schütze». Südafrika hat daraufhin Impfungen mit dem AstraZeneca-Vakzin gestoppt.
Die Schweiz hat 5,3 Millionen Dosen von AstraZeneca bestellt, der Impfstoff ist ein elementarer Bestandteil der Schweizer Impfstrategie. Nun scheint sich jedoch immer mehr herauszukristallisieren, dass die beiden mRNA-Impfstoffe von Pfizer und Biontech sowie Moderna dem vektorbasierten Impfstoff aus Grossbritannien überlegen sind. Was also tun mit den 5,3 Millionen Dosen?
Erstmal gar nichts. Denn sie sind noch nicht da und auch nicht zugelassen. Grund dafür sind fehlende Daten zur Wirksamkeit bei Menschen über 65. «Wir können den Impfstoff mit den momentan vorhandenen Daten nicht für die ältere Bevölkerung empfehlen», sagt Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF). Andere Länder sehen das gleich: Deutschland und Frankreich empfehlen die Anwendung nur für Personen unter 65 Jahren, in Italien und Malta liegt die Grenze gar bei 55 Jahren.
Selbst wenn das AstraZeneca-Vakzin demnächst zugelassen werden sollte, stellt sich die Frage, was damit angestellt werden soll. «Die nationale Impfstrategie sieht vor, erst die vulnerablen Personen zu schützen», sagt Berger. Sollte nun eine Zulassung kommen, müsse man sich überlegen, wem man diesen Impfstoff verabreichen soll. Soll man ihn den Jungen geben, um Long-Covid-Fälle zu verhindern oder gar dem Ziel der Herdenimmunität näher zu kommen, wenn das der Impfstoff überhaupt könnte?
Hinzu kommt die Frage des Schutzes vor der südafrikanischen B.1.351-Variante. Zwar erkranken momentan weniger als ein Prozent aller Infizierten in der Schweiz an B.1.351, doch das kann sich schnell ändern, wie ein Blick nach Tirol zeigt. Die Österreicher erleben gerade den grössten bekannten Ausbruch der neuen Mutation ausserhalb von Südafrika.
Bestätigt sich der schlechte Schutz des Vakzins gegen B.1.351, so dürfte die Akzeptanz des Impfstoffes folglich in der Schweiz nicht sehr hoch sein. Wählen, welches Vakzin man bekommt, darf man zudem nicht. «Zum heutigen Zeitpunkt kann eine Person den Covid-19-Impfstoff nicht wählen, mit dem sie geimpft wird», erklärt das BAG auf Anfrage. Es ist also möglich, dass man sich vorerst mit dem AstraZeneca-Impfstoff begnügen muss.
Das wirft einige Fragen auf: Sollte die B.1.351-Variante dereinst in die Schweiz überschwappen, so muss man sich überlegen, wie man mit dem AstraZeneca-Impfstoff weiter vorgehen will. Eine Option wäre das sogenannte «Mix and Match». Dabei würden Personen doppelt geimpft mit zwei verschiedenen Impfstoffen. Also beispielsweise zuerst eine AstraZeneca-Impfung und einige Monate später eine mRNA-Impfung von Moderna. Zurzeit werden gerade Studien durchgeführt, die untersuchen, ob dies möglich ist. Auch Christoph Berger zeigt sich demgegenüber offen: «Das ist eine Möglichkeit, über die man nachdenken kann», sagt er.
Ob die Schweiz gar von ihrem Vertrag mit AstraZeneca zurücktreten könnte, ist unklar. Das BAG will sich nicht zu vertraglichen Details äussern. Nur so viel: «Wir stehen mit AstraZeneca in Kontakt».
Dass es so weit kommen könnte, ist unwahrscheinlich. Eher würde die Schweiz nicht gebrauchte Dosen weiterverkaufen oder spenden. Die Schweiz ist nach wie vor Mitglied bei Covax, einer von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der EU ins Leben gerufenen Organisation zur weltweit gerechten Verteilung von Impfstoffen.
Bei all diesen Überlegungen spielt vor allem die Zeit bis zur möglichen Zulassung des Impfstoffes in der Schweiz eine wichtige Rolle. Swissmedic wartet zurzeit auf Ergebnisse einer Phase-3-Studie aus Amerika. Die Forschenden geben das Enddatum der Studie mit Ende März an, also in eineinhalb Monaten. Erste Ergebnisse daraus könnten aber schon vorher publiziert werden. Das hängt von AstraZeneca ab.
Je länger es jedoch geht, desto nutzloser wird das AstraZeneca-Vakzin für die Schweiz. Deshalb ist man mittlerweile in Gesprächen mit anderen Herstellern, Curevax und Novavax haben Zulassungsanträge gestellt. Die bestellte Menge an Moderna-Dosen wurde zudem erhöht. «Wir müssen die Daten zu diesem Impfstoff bald haben», sagt Christoph Berger. Wenn sich das Zulassungsverfahren noch bis im Spätfrühling oder gar bis zum Sommer hinziehe, dann brauche man das AstraZeneca-Vakzin nicht mehr. «Bis dahin werden wir genügend andere Impfstoffe zur Verfügung haben.»
Die WHO versucht derweil zu beschwichtigen: Man solle weiter impfen und zwar in allen Altersklassen, empfiehlt sie. Es gebe keine Hinweise darauf, dass der AstraZeneca-Impfstoff gegen schwere Verläufe von Covid-19 nicht schütze, sagte Alejandro Cravioto, der Vorsitzende eines Expertenrats, der die WHO berät.
AstraZeneca selbst arbeitet zurzeit daran, seinen Impfstoff so zu optimieren, dass er auch gegen die südafrikanische Mutation wirksam ist. Wann und ob eine aktualisierte Version auf den Markt kommt, ist unklar.
Die Idee mit spenden finde ich hingegen moralisch verwerflich.