Ein veritabler Geheimdienst-Thriller sorgt seit vergangener Woche für Schlagzeilen: In einer gemeinsamen Recherche haben die «Washington Post», das ZDF und die «Rundschau» von SRF aufgedeckt, dass sich die Firma Crypto AG aus Zug ab 1970 während Jahrzehnten im Besitz des US-Geheimdienstes Central Intelligence Agency (CIA) und des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) befand. Die wahren Eigentümer versteckten sich hinter einer in Liechtenstein domizilierten Stiftung.
Die Crypto AG – die auch vom Ruf der Schweiz als neutralem Land und Standort für vertrauenswürdige Spitzentechnologie profitierte – verkaufte Chiffriergerätean an Regierungen und Privatkunden in der ganzen Welt. Was ihre Kunden nicht wussten: In die vermeintlich nicht zu knackenden Algorithmen der Verschlüsselungstechnologie baute die Crypto AG in enger Abstimmung mit CIA und BND Sicherheitslücken ein, mit deren Hilfe die Geheimdienste die Kommunikation abfangen konnten.
So wurden über Jahrzehnte über hundert Staaten ausspioniert. Die beiden Geheimdienste fingen abertausende von geheimen Nachrichten ab, die zwischen Regierungsstellen, Behörden, Botschaften oder militärischen Stellen übermittelt wurden. In einem CIA-Dokument, welches den drei an der Recherche beteiligten Redaktionen vorliegt, wird die unter den Decknamen «Minerva», «Thesaurus» und «Rubikon» geführte Aktion als «Geheimdienstcoup des Jahrhunderts» bezeichnet.
Noch weitgehend im Dunkeln liegt die Antwort auf die Frage, wie viel die Schweizer Behörden über die «Operation Minerva» wussten. Die Cryptoleaks-Recherche legt nahe, dass man bei der Justiz, den Nachrichtendiensten und möglicherweise bis hinauf zum Bundesrat über die Hintergründe der Crypto AG informiert war. Doch viele der in CIA-Dokumenten genannten Personen streiten eine Mitwisserschaft ab.
Um die Rolle der offiziellen Schweiz zu beleuchten, hat der Bundesrat den ehemaligen Bundesrichter Niklas Oberholzer damit beauftragt, bis im Juni einen Bericht zur Affäre vorzulegen. Auch die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Parlaments, die für die Aufsicht über die Geheimdienste zuständig ist, befasst sich mit der Sache.
Klar ist bisher lediglich: Zu mindestens zwei Zeitpunkten gingen bei den Schweizer Behörden offizielle Hinweise dazu ein, dass die Chiffriergeräte der Crypto AG manipuliert sein könnten und dahinter ausländische Geheimdienste stecken könnten.
Am 28. April 1977 beendete der damalige Entwicklungschef und Vizedirektor der Crypto AG, Peter Frutiger, von einem Tag auf den anderen sein Arbeitsverhältnis, wie er der NZZ am Sonntag erzählte. Gemäss Berichten der Washington Post hingegen wurde Frutiger vom CEO der Firma, Heinz Wagner, entlassen.
Unbestritten ist: Der an der ETH ausgebildete Elektroingenieur Frutiger war in die Geheimnisse der Crypto AG eingeweiht. Er nahm an Gesprächen mit Vertretern von CIA und BND teil und war über die technisch komplexen Hintertüren, welche die Geheimdienste in die Chiffriergeräte einbauen liessen, im Bild.
Mindestens drei Vertretern der offiziellen Schweiz erzählte Frutiger nach dem Ende seiner Tätigkeit für die Crypto AG über die Hintergründe der Firma: Kurt Bolliger, Leiter der Flieger- und Fliegerabwehrtruppen, René Lécher, Chef des Nachrichtendienstes der Flieger- und Fliegerabwehr und dem ehemaligen Bundesanwalt Hans Walder, dessen Amtszeit 1974 geendet hatte.
Weil trotz seinen Hinweisen nichts geschah, schickte Frutiger mehrere eingeschriebene Briefe nach Bern – bekam aber nie eine Antwort. Es ist unklar, ob Frutigers Informationen an die obersten Verantwortlichen – Bundesanwalt Rudolf Gerber, Bundespolizei-Chef André Amstein und die für Verteidigung und Justiz zuständigen Bundesräte Rudolf Gnägi und Kurt Furgler – weitergeleitet wurden. Gemäss Recherchen von CH Media nahm ein Ermittler der Bundesanwaltschaft Untersuchungen auf, wurde jedoch von seinem Chef zurückgepfiffen.
Möglicherweise bringen die Nachforschungen des vom Bundesrat eingesetzten Ex-Bundesrichter Oberholzer oder jene der GPDel Licht ins Dunkel. Bei der Untersuchung der Geschehnisse Ende der 1970er Jahre können sie sich dabei nur beschränkt auf Befragungen abstützen können: Die allermeisten damals verantwortlichen Vertreter von Crypto AG, Justiz, Nachrichtendiensten und Bundesrat sind unterdessen verstorben.
Die wohl heikelste Phase für die gemeinsame Operation von BND und CIA begann am 18. März 1992. Hans Bühler, ein im Aussenverkauf tätiger Mitarbeiter der Crypto AG, wurde in Teheran verhaftet und verbrachte 292 Tage im Gefängnis, wo er immer wieder verhört wird. Die Iraner haben Verdacht geschöpft, dass mit den Chiffriergeräten aus der Schweiz etwas nicht stimmen könnte. Die Schweiz weigert sich, das geforderte Lösegeld zu bezahlen, um Bühler freizubekommen und auch die CIA will davon nichts wissen. Schliesslich bringt der BND rund eine Million deutsche Mark auf, die via Crypto AG ans iranische Regime fliessen.
Bühler selber wusste bis zum Moment seiner Festnahme nichts über die Manipulationen an den Chiffriermaschinen und die Rolle der ausländischen Geheimdienste bei der Crypto AG. Seine Verhaftung weckt das Interesse von Journalisten an den Hintergründen der Firma. In der Folge erscheinen zahlreiche Bücher, Artikel und Fernsehsendungen zum Thema. Die Hinweise auf eine Beteiligung von ausländischen Geheimdiensten mehrten sich.
Als anonyme Quelle bestätigte etwa Ex-Crypto-Entwicklungschef Peter Frutiger im Jahr 1994 gegenüber der «Rundschau» des Schweizer Fernsehens, dass die Amerikaner und die Deutschen die Chiffriermaschinen manipuliert hatten und abhören könnten. Crypto-CEO Michael Grupe bestritt die Vorwürfe in der Sendung vehement und konnte genügend Zweifel an den Vorwürfen streuen, um die Operation zu retten, wie es in einem CIA-Dokument heisst. Der deutsche BND steigt dennoch 1993 aus.
Im Gegensatz zu 1978 sind Ermittlungen der Schweizer Behörden nach der Verhaftung Hans Bühlers aktenkundig – wenn auch nur äusserst dürr dokumentiert. Die Bundespolizei (Bupo) begann mit einer Voruntersuchung. Geleitet hat sie der heutige Vizedirektor des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB), Jürg Bühler. Diese Voruntersuchung förderte jedoch «keine konkreten Verdachtsmomente für ein strafbares Verhalten» zutage, wie der damalige Bupo-Chef Urs von Daeniken gegenüber der «Rundschau» sagte. Deshalb sei auch kein Strafverfahren eröffnet wurde.
Wie ernsthaft sich die Bundespolizei der Sache annahm, ist jedoch unklar. In einem CIA-Dokument heisst es: «Sie schienen nicht sehr gut hinzuschauen.» Die Bupo sei eingeweiht gewesen und habe auch den Militärischen Nachrichtendienst (MND) informiert: «Die Bupo (…) hat den militärischen Nachrichtendienst kontaktiert. Hohe Beamte der Organisation hatten generell Kenntnis von der Rolle Deutschlands und der USA im Zusammenhang mit der Crypto AG und trugen dazu bei, diese Beziehung zu schützen.» Der damalige MND-Chef, Divisionär Peter Regli, äussert sich nicht zur Affäre.
In den CIA-Papieren, welche der «Rundschau» vorliegen, heisst es auch, der damalige Verteidigungsminister, Bundesrat Kaspar Villiger (FDP), sei über die wahren Eigentümer der Crypto AG informiert gewesen, was Villiger vehement abstreitet. Auch Villigers Zuger Parteikollege Georges Stucky, Nationalrat und Verwaltungsratsmitglied bei der Crypto AG, soll eingeweiht gewesen sein. Der damalige Justizminister Arnold Koller (CVP), der im CIA-Dossier nicht namentlich erwähnt wird, liess ausrichten, er habe keine Kenntnis von den Hintergründen der Zuger Firma gehabt.
Dass diese Reaktion aber im Fall Crypto AG ausblieb und weder die Botschafter, noch die Regierungen offiziell gerügt wurden, zeigt eigentlich nur, dass der BR nicht überrascht war, was nur bedeuten kann, dass sie Bescheid wussten, wenn nicht gar mitarbeiteten.