Mit militärischen Ehren ist Bundespräsident Joachim Gauck heute von seinem Schweizer Amtskollegen Didier Burkhalter in Bern empfangen worden. Der ranghöchste deutsche Politiker weilt für zwei Tage zu einem «offiziellen Besuch» in der Schweiz. Seine Reise erfolgt zu einem Zeitpunkt, in dem das einst fast ungetrübte Verhältnis der beiden Nachbarländer durch verschiedene Konflikte belastet ist.
Früher war es üblich, dass eine der ersten Auslandreisen eines deutschen Staatsoberhaupts nach der Wahl zum Nachbarn im Süden führte. Bei Gaucks Vorgänger Christian Wulff war dies der Fall, er reiste im September 2010 als erstes in die Schweiz. Faktisch aber hatte er den Besuch von seinem Vorgänger Horst Köhler «geerbt», der vier Monate zuvor abrupt zurückgetreten war. In seiner ersten Amtszeit von 2004 bis 2009 hatte Köhler die Schweiz ignoriert. Joachim Gauck brauchte immerhin fast zwei Jahre, bis er den Weg in die Schweiz fand. Womit klar ist: Es gibt für einen deutschen Bundespräsidenten wichtigere Ziele.
Am ersten Tag ist nach dem offiziellen Programm ein Treffen mit Wirtschaftsvertretern geplant. Am Mittwoch wird Joachim Gauck mit Schweizer Experten zum Thema «Direkte Demokratie» sprechen, danach reist er nach Genf, wo ihn die Kantonsregierung zum Mittagessen empfängt. Am Nachmittag besucht der evangelische Pastor aus der früheren DDR das Reformationsmuseum und anschliessend das Kernforschungszentrum CERN. Am Abend fliegt er zurück nach Berlin.
Das Amt des Bundespräsidenten ist in erster Linie repräsentativ. Joachim Gauck hat nur wenig Einfluss auf die deutsche Politik. Zwar kann er den Bundestag auflösen und einem Gesetz seine Unterschrift verweigern, doch in der Regel hält er sich dabei an die Vorgaben der Bundesregierung. Sein Besuch hat deshalb vor allem atmosphärische Bedeutung. In konkreten Fragen kann er kaum etwas bewirken.
Die Deutschen sind nicht gerade beliebt, doch mit keinem Land pflegt die Schweiz so enge Beziehungen wie mit dem «grossen Kanton». Das gilt besonders für die Wirtschaft: Das gegenseitige Handelsvolumen betrug 2012 knapp 100 Milliarden Franken. Baden-Württemberg allein hat für Schweizer Exporteure die gleiche Bedeutung wie die USA, der zweitgrösste Handelspartner der Schweiz. Umgekehrt ist die Schweiz das liebste Auswanderungsland der Deutschen. Rund 300'000 leben hier, hinzu kommen knapp 60'000 Grenzgänger. Politisch aber hat sich das Verhältnis abgekühlt. Dies zeigen diverse ungelöste Probleme.
Steuerstreit: Seit Jahren sorgt deutsches Schwarzgeld auf Schweizer Banken für Zoff zwischen den beiden Ländern. Der frühere deutsche SPD-Finanzminister Peer Steinbrück griff die Schweiz wiederholt mit martialischen Worten an (Stichwort Kavallerie). Ein Abkommen, das den Streit mit einer Abgeltungssteuer beilegen wollte, wurde 2012 von der rot-grünen Mehrheit im deutschen Bundesrat versenkt. Dies und der Kauf von CDs mit gestohlenen Bankdaten sorgten für eine Welle von Selbstanzeigen deutscher Steuersünder, darunter Promis wie Uli Hoeness und Alice Schwarzer. Nach einer gewissen Beruhigung sorgte zuletzt der Prozess gegen Hoeness für neue Missstimmung. Vor allem von Seiten der SPD wurde die Schweiz harsch kritisiert.
Fluglärm: Ein neuer Staatsvertrag soll die verfahrene Situation um die An- und Abflüge vom Flughafen Zürich über süddeutsches Gebiet lösen und die von Deutschland einseitig verhängte Verordnung ersetzen. National- und Ständerat, die 2002 ein deutlich vorteilhafteres Vertragswerk noch abgelehnt hatten, stimmten letztes Jahr zähneknirschend zu. Doch nun bockt Deutschland, der Vertrag steckt im Bundestag fest. Politiker aus der betroffenen Region in Baden-Württemberg verlangen, dass der Vertrag zu ihren Gunsten nochmals verschärft wird.
Grenzverkehr: Deutsche Handwerksbetriebe beklagen sich seit Jahren über das Schweizer Entsendegesetz. Es verlangt, dass sie sich mindestens acht Tage im Voraus anmelden, wenn sie in der Schweiz arbeiten wollen. Das Gesetz soll Lohndumping verhindern, doch deutsche Firmen können damit praktisch keine kurzfristigen Aufträge in der Schweiz annehmen. Für sie ist das Gesetz nichts anderes als verkappter Heimatschutz.
Verärgert sind auch deutsche Pizzakuriere, die sich seit kurzem beim Zoll anmelden müssen und damit faktisch nur noch zu Bürozeiten in die Schweiz liefern können. Umgekehrt klagen Schweizer Detailhändler über den regen Einkaufstourismus von Schweizer Kunden ins billigere Nachbarland.
Neat-Zubringer: 2017 wird der Gotthard-Basistunnel eröffnet, doch Deutschland ist mit dem Ausbau der Zufahrtsstrecke im Rückstand. Das betrifft namentlich die182 Kilometer lange Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel. Deutschland verpflichtete sich 1996 in einem Staatsvertrag zu einem Ausbau bis 2020, doch Mehrkosten und Proteste lärmgeplagter Anwohner führen zu einer deutlichen Verzögerung. Die Deutsche Bahn spricht nun von einer Inbetriebnahme im Jahr 2029. Verkehrsministerin Doris Leuthard erklärte letztes Jahr in Berlin, man wolle eine Vertragsverletzung nicht einfach hinnehmen.
Für die erwähnten Probleme ist Angela Merkel die richtige Adresse, und der Bundesrat würde sie wohl liebend gerne empfangen. Zwar macht die Kanzlerin regelmässig Ferien im Engadin – wo sie sich Anfang Jahr beim Langlaufen die Hüfte brach – doch in ihren achteinhalb Amtsjahren reiste sie genau einmal zu einem offiziellen Besuch nach Bern: im April 2008, für knapp drei Stunden.
Ihr Vorgänger Gerhard Schröder kam zwar vor und nach seiner Amtszeit oft und gerne zu uns, doch in seinen sieben Kanzlerjahren reichte es ebenfalls nur für eine Kurzvisite. Daran zeigt sich, wie weit die Schweiz in der Prioritätenliste der deutschen Politik nach hinten gerutscht ist. Zumal bei der Bundeskanzlerin aus dem Osten die emotionale Nähe fehlt, die viele westdeutsche Politiker der Nachkriegszeit mit der idyllischen Schweiz verband.
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