«Das ist in der europäischen Medienlandschaft einzigartig»
Matthias Ackeret: watson hat eine App in der App veröffentlicht. Was ist das genau?
Megan Silberbauer: Es ist am ehesten vergleichbar mit einem Social-Media-Modus also ein Nutzungserlebnis wie bei Instagram oder TikTok, allerdings mit einem markanten Unterschied.
Und der wäre?
Megan Silberbauer: Die Leute können zwar wie bei TikTok mehr oder weniger unendlich langes Doomscrolling betreiben. Aber der Content ist deutlich News- und Allgemeinwissen-lastiger.
Wählt die Social-Media-Generation, eigentlich Ihre Zielgruppe, keine Newsmedien wie watson mehr an?
Megan Silberbauer: Doch, das schon. Aber sie tun es öfter und bleiben länger, wenn sie Newsangebote in einer Form vorfinden, die derjeniger ähnelt, mit der sie medial sozialisiert worden sind - und das sind eher TikTok und Instagram, als die NZZ und die Tagesschau. Wichtig ist aber noch etwas anderes.
Was?
Megan Silberbauer: Im Gegensatz zu Metas Vernetzungs-Mantra haben wir ein aufklärerisches Markenversprechen, nämlich das Leitmedium für unsere Generation zu sein. Formal können wir dieses Markenversprechen nur noch erfüllen, wenn wir uns an das erlernte Nutzerverhalten der Generation Social Media anpassen. Sonst erreichen wir mit unseren Inhalten die Leute irgendwann nicht mehr.
Und welche Inhalte spielen Sie im Flow-Modus aus?
Nicole Christen: Es sind ausschliesslich watson-Inhalte und es sind alle watson-Inhalte aller Zeiten in allen Formen. Also News, Quizzes, Videos, Slideshows, einfach alles, was die Redaktion als «flow-worthy» erachtet. Das System fördert aktives Entdecken und verbindet moderne Interaktionsmuster mit redaktioneller Qualität und Relevanz.
Also Flow ist redaktionell kuratiert?
Nicole Christen: Nein, und das ist das einzigartige an unserem an Social Media angelehnten Gefäss, wenn Sie so wollen: die Redaktion schliesst einzig Inhalte für die Ausspielung in Flow aus, wenn die zu alt oder formal unpassend sind. Alles, was für Flow freigegeben ist, spielt ein Algorithmus userbasiert aus. Niemand sollte einen Inhalt doppelt sehen, bei jeder Session in Flow gibt es neue Inhalte zu sehen.
Nicole Christen (34), UX/UI Designerin bei watson seit Juli 2023
Und wie ist da die Gewichtung zwischen Spass und Ernst?
Megan Silberbauer: Der Algorithmus spielt zu 60 Prozent aktualitätsbezogen, also eher news-seitigen Content aus, allerdings in allen Formen, sprich Video, Bild, Text. Rund 40 Prozent der Inhalte sind Unterhaltungs- oder Allgemeinwissen-Formate wie zeitlose Quizzes oder Slideshows. Zwischen den Slides sind in einem definierten Rhythmus Werbeformate eingebunden.
Welche Vorteile ziehen die Userinnen und User daraus?
Megan Silberbauer: Sie können offenbar vor allem besser mit News Zeit totschlagen. Wir hatten über den Tag bisher vier klar sichtbare Traffic-Peaks, wobei der letzte am «Hauptabend» jetzt kein Peak mehr ist, sondern ein Plateau. Die Leute geraten wohl vor dem TV in den Flow-Modus und bleiben drin, bis sie einschlafen. Die UseTime auf watson ist seit der Einführung von Flow um rund 60 Prozent gestiegen, das ist ein Quantensprung.
Was erhoffen Sie sich damit? Dass alle Userinnen und User auf den neuen Modus wechseln?
Nicole Christen: Nein, bis jetzt ist das auch nicht der Fall, wir ziehen mit Flow ja auch auf eine andere User-Population. Diejenigen, die medial mit Social-Media-Plattformen im weitesten Sinn sozialisiert worden sind. Denen wollen wir ein Mediennutzungs-Erlebnis bieten, das ihren erlernten Nutzungsgewohnheiten entspricht.
Was zeichnet die aus?
Nicole Christen: Drei Dinge: Explorative Swipe- und Streichgesten, direkter Zugang zu Kommentaren sowie die Möglichkeit, direkt mit Feedback wie Likes oder Shares auf Inhalte reagieren zu können. All diesen Bedürfnissen tragen wir mit Flow Rechnung. Das ist in der europäischen Medienlandschaft einzigartig, kommt aber offenbar sehr gut an.
Hat die neue App auch Vorteile für Werbetreibende?
Megan Silberbauer: Ja, klar. Bisher sind wir mit watson Flow zwar noch nicht allzu aggressiv im Werbemarkt aufgetreten. Wir haben die Funktionen erst schrittweise in den Apple- und Google-Apps ausgerollt und die Kinderkrankheiten beseitigt. Programmatic-Werbeplätze sind aber bereits buchbar. Gleichzeitig arbeiten wir kontinuierlich daran, die Sichtbarkeit zu optimieren und das Inventar Schritt für Schritt zu erweitern.
Das hört sich noch nicht wirklich ausgereift an.
Megan Silberbauer: Eine App ist nie fertig ausgereift, aber Programmatic und iO werden besser eingebunden und somit auch leichter buchbar werden. Aber wirklich interessant ist der Flow-Modus aber für unsere Content-Marketing-Formate, insbesondere die Co-Creation-Produkte im Bereich Video. Die kommen da öfter, länger und besser zur Geltung als im Feed-Modus. Und das erst noch bei einem jüngeren Zielpublikum.
Ist Flow eine Selbstentwicklung und wie sind Sie dabei vorgegangen?
Megan Silberbauer: Das Gefühl, dass wir watson weg vom klassischen Feed- hin zum Swipe-Wesen entwickeln müssen, hatten wir schon vor fünf Jahren. Dann folgten Jahre der Konzeption, externer Beratung, Design, Gremienläufen. Sobald allerdings der Plan und das Budget standen, waren wir in der Umsetzung sehr flink. Von der ersten Zeile Code bis zum Start des Rollouts vergingen keine fünf Monate. Das war quasi der Schlusssprint in einem Marathon.