Der Streaming-Boom in der Pandemie machte Netflix zum Krisengewinner, nun kriselt es beim Branchenpionier selbst. Erstmals seit 2011 sinkt die Nutzerzahl - und der Abwärtstrend dürfte sich noch verstärken. Zeit zu reagieren: Netflix will härter bei Nutzern durchgreifen, die ihre Zugangsdaten teilen.
Kunden, die ihre Login-Daten teilen, sind Netflix ein Dorn im Auge. Kein Wunder, denn es geht um viel Geld. Der Dienst schätzt, dass mehr als 100 Millionen Haushalte als Trittbrettfahrer unterwegs sind. Als das Wachstum noch hoch war, habe man ein Auge zugedrückt, sagte Gründer und Co-Chef Reed Hastings. Mehr noch, man unterstützte das Teilen oder nahm es zumindest mit Humor. Das zeigt folgender Tweet als Reaktion auf ein Angebot eines kostenlosen Abos für sechs Monate:
This is absolutely fake. If you want free Netflix please use someone else's account like the rest of us. https://t.co/PHhwdA3sEI
— Netflix India (@NetflixIndia) January 4, 2020
Legendär ist auch folgender Tweet aus dem Hause Netflix, der förmlich zum Teilen animierte. Der Anbieter warb damit für die hauseigene Serie «Love».
Love is an addiction.
— Netflix (@netflix) March 10, 2017
Netflix hat erstmals seit mehr als zehn Jahren ein Quartal mit Kundenschwund verkraften müssen. Bis Ende März gingen unter dem Strich rund 200'000 Bezahlabos verloren. Statt der erwarteten 2.5 Millionen Neukunden sank die weltweite Nutzerzahl zum Quartalsende auf 221.6 Millionen.
Die Anleger reagierten enttäuscht: Die Aktie büsste am Tag der Bekanntgabe zeitweise fast 40 Prozent ein. Der grösste Kursrutsch an einem einzigen Handelstag seit 2004 liess den Börsenwert von Netflix um mehr als 50 Milliarden Dollar sinken und drückte die Aktie auf den tiefsten Stand seit über vier Jahren.
Netflix will nicht mehr tatenlos zusehen und Trittbrettfahrer zur Kasse bitten. «Wenn Sie etwa eine Schwester haben, die in einer anderen Stadt lebt und Sie Ihr Netflix-Abo mit ihr teilen wollen, ist das super. Wir versuchen nicht, das zu unterbinden», sagte Produktchef Greg Peters. «Aber wir werden Sie bitten, dafür etwas mehr zu bezahlen.» Netflix kann zum Beispiel anhand der IP-Adressen feststellen, von wo Nutzer auf den Dienst zugreifen.
Aktuell läuft in Chile, Costa Rica und Peru ein Versuch. Dieser zeigt, wie es künftig auch in der Schweiz aussehen könnte. Den Nutzern werden dabei zwei Optionen geboten, wie Netflix in einem Blog schrieb:
Bis das System eingefahren sei und weltweit eingesetzt werde, könne es aber noch ein Jahr dauern, sagte Produktchef Greg Peters.
Auch bei anderen Anbietern ist das Passwortteilen gang und gäbe. Gemäss dem amerikanischen Branchenverband «Advertising Research Foundation» (ARF) teilen etwa 45 Prozent der Disney+-Nutzer ihr Passwort mit Verwandten oder Freunden - und damit nur leicht weniger als bei Netflix mit 49 Prozent. Pro Netflix-Konto können bis zu fünf Profile für Personen aus dem gleichen Haushalt angelegt werden. Je nach Abo kann wie bei Disney+ auf bis zu vier Geräten gleichzeitig geschaut werden. Bei Disney+ können maximal sieben Profile angelegt werden. Apple TV kann von bis zu sechs Familienmitgliedern gemeinsam genutzt werden.
Das Marktforschungsunternehmen Parks Associates schätzte im vergangenen Jahr, dass die amerikanischen Streamingdienste 2019 durch geteilte Passwörter rund 2.5 Milliarden Dollar an Einnahmen verloren haben. Bis 2024 könnte der Betrag auf 3.5 Milliarden ansteigen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich Disney+ oder Apple TV diese Beträge entgehen lassen. Sie werden den Netflix-Versuch in Lateinamerika entsprechend genau beobachten.
Um das Wachstum wieder in Gang zu bringen, ist Netflix sogar bereit, an einem seiner grössten Tabus zu rütteln und ein günstigeres Abo mit zwischengeschalteten Werbe-Clips einzuführen. So etwas gab es bei Netflix noch nie - Netflix-Co-Chef Reed Hastings hatte bislang wenig dafür übrig. Er sei zwar nach wie vor ein Fan der Einfachheit von Abos - «aber ich bin noch mehr ein Fan davon, den Verbrauchern eine Wahl zu bieten», sagte er.
Netflix sei nun offen fürs Werbe-Modell. «Wir schauen uns das an und versuchen, das in ein bis zwei Jahren auf die Reihe zu kriegen.» Details wie die Personalisierung der Werbung könne man dabei auch anderen überlassen.
(mit Material von sda)
Nein, dieses Geld habt Ihr nicht verloren. Denn ich werde mir ganz bestimmt keinen eigenen Account zulegen, für die paar Serien, die ich pro Jahr schaue. Und anderen, die ich kenne, geht es ähnlich. Der Abo-Preis rechtfertigt sich aktuell nur, weil man sich das Abo teilen kann. Und wenn das halt nicht mehr geht, dann gibts halt einfach gar kein Abo mehr und wieder mehr Piratenplattformen.