Wenn etwas eskaliert, folgen Taten. Doch was, wenn sich bereits eine Eigendynamik entwickelt hat?
So geschehen ist das mit der Telegram-Gruppe namens «AlbKings». Über 130’000 mehrheitlich albanische Männer haben in diesem Chat Nacktbilder und Sextapes von Frauen veröffentlicht, die sie persönlich kennen. Mitsamt Telefonnummern oder Social-Media-Profilen der Frauen.
Die Bekanntheit der Gruppe verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Praktisch im Minutentakt stellten Männer ihre Ex-Freundinnen oder -Dates bloss und forderten andere Männer auf, diese in den sozialen Medien oder per Telefon zu belästigen. Die Situation eskalierte durch den Suizid einer 27-jährigen albanischen Frau, deren Partner intime Bilder von ihr geteilt hatte.
Erst dann wurden die albanischen Behörden richtig aktiv und übten Druck auf den Messaging-Dienst Telegram aus, die Gruppe «AlbKings» zu löschen. Mittlerweile ist sie gesperrt. Doch eine Recherche von watson zeigt, dass sich das Ganze längst verselbständigt hat. Unzählige Ableger und Nachahmer mit x-tausenden Mitgliedern sind auf Telegram zu finden, in denen Männer weiterhin Nacktbilder und Telefonnummern von Frauen veröffentlichen – auch von Schweizerinnen.
watson verzichtet hier darauf, die Namen weiterer Telegram-Gruppen zu nennen, damit diese nicht mehr Mitglieder gewinnen. Insgesamt wurden aber alleine vom gesperrten Original «AlbKings» drei ähnliche Gruppen gefunden mit jeweils bis zu 30’000 Mitgliedern. Aber es gibt auch Gruppen mit komplett anderen Namen mit zwischen 8000 und 35’000 Mitgliedern. Und nicht nur in Balkan-Ländern: Auch kleinere deutsche Gruppen lassen sich finden, in denen Männer Nacktbilder, Videos und Social-Media-Profile von Frauen herumschicken.
In der Schweiz hat bisher keine ähnliche Gruppe an Bekanntheit gewonnen. Eine Umfrage von watson bei allen kantonalen Polizeikorps hat ergeben, dass bisher auch noch in keinem solchen Fall ermittelt wurde. Die Kantonspolizei Aargau schreibt jedoch: «Uns ist bekannt, dass sich auf Telegram und anderen Social-Media-Plattformen Mitglieder bewegen, die verbotene Pornografie austauschen.»
Abgesehen vom Kanton Freiburg schreiben aber auch alle Medienstellen der Kantonalpolizeien, dass «nicht proaktiv» nach solchen Gruppen in den sozialen Medien gesucht werde – erst wenn es zu einer Anzeige durch Betroffene komme. «Wir würden gerne mehr im präventiven Bereich gewisse Bereiche abdecken», schreibt die Kantonspolizei St.Gallen dazu. Doch: «Leider sind unsere Ressourcen sehr stark mit der Bearbeitung von bereits zur Anzeige gebrachten Fällen gebunden.» Zudem würden sich gewisse Social-Media-Plattformen bei der Aufarbeitung «überhaupt nicht kooperativ» zeigen.
Kritisch betrachtet diese Entwicklung der deutsche Sozialpsychologe Rolf Pohl, der sich mit Männlichkeits- und Geschlechterforschung beschäftigt. Für ihn ist klar, dass es bei den besagten Gruppen darum geht, Frauen an den Pranger zu stellen und die Weiblichkeit abzuwerten. «Diese Männer machen Frauen zu Objekten. Indem sie ihre Kontaktdaten veröffentlichen, deuten sie an, dass alle Frauen bereit sind zu sexuellen Handlungen mit jedermann», sagt Pohl zu watson. Neben einem Rachemotiv stecke bei diesen Männern auch immer ein negatives Frauenbild dahinter – das stets zunehme. «Es ist beängstigend, wie schnell solche Gruppen grösser werden.» Auch der Nachahmungseffekt sei nicht zu unterschätzen.
«Meiner Ansicht nach müssten die Strafverfolgungsbehörden viel mehr proaktiv handeln», sagt Pohl. Den Frauenhass, der über Social-Media-Plattformen verbreitet werde, müsse man eindämmen. «Es wäre sinnvoll, wenn Plattformen regelmässig nach solchen Inhalten gescreent würden, wie man das zum Beispiel im Bereich der Kinderpornografie bereits macht.» Denn auch Kinderpornografie flutet das Internet, wie kürzlich die NZZ schrieb. Obwohl man viel mache, werde es immer schlimmer, sagte ein Ermittler der Zeitung.
Im Bereich der Misogynie, der Frauenfeindlichkeit, gebe es noch viel Potenzial für die Behörden. Pohl ist überzeugt: «Die Dunkelziffer ist riesig, da es noch viele unerforschte Frauenhass-Foren gibt.» Wichtig sei deshalb, dass man darüber diskutiere, wie man die sozialen Netzwerke besser massregeln könne. «Da ist noch nicht viel gemacht worden.»
Wenn Taten erst folgen, wenn etwas eskaliert, hat sich vielleicht bereits eine Eigendynamik entwickelt.
a) gibt es Männer, die Druck ausüben, damit Frau solche macht
b) gibt es Männer, die solche Aufnahmen heimlich machen, mit versteckter Kamera
Wir wissen nicht, wie der Hintergrund ist. Und selbst wenn die Frau diese für einen Partner gemacht hat, dem sie vertraut, sagt das mehr über den Mann aus, als sie: Revenge Porn ist strafbar, zurecht!