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Politologen: «Diskussion um DSI führt zu besserem Entscheid»

Politologen: «Diskussion um DSI führt zu besserem Entscheid»

12.02.2016, 17:5013.02.2016, 09:05
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Egal ob alt Bundesrätin, Eishockeyspieler, Filmemacher, Autor, Abt oder Verwaltungsratspräsident der Swiss: Selten hat sich in der Schweiz ein so breit abgestützter Widerstand gegen eine Abstimmungsvorlage formiert wie jetzt gegen die SVP-Durchsetzungs-Initiative. Die daraus entstehenden Diskussionen seien positiv für die Abstimmung, sind sich die Politologen einig.

So etwas hätten sie noch nie erlebt, sagen die Politologen Georg Lutz und Mark Balsiger unisono. Daniel Kübler, Vorsitzender der Direktion des Zentrums für Demokratie Aarau, findet das aktuelle Geschehen «aussergewöhnlich»: «So stark polarisierende Vorlagen sehen wir nicht oft.»

«Dringender Aufruf»

Wie stark die Durchsetzungs-Initiative der SVP die Gemüter bewegt, sieht man nur schon an der prominenten Unterstützung des Widerstands. Es gibt beispielsweise das «Komitee gegen die unmenschliche SVP-Initiative». Über 50'500 Personen haben bisher den «dringenden Aufruf» unterzeichnet und rund 809'000 Franken gespendet. Mit dem Geld sollen möglichst viele Plakate gegen die SVP-Initiative aufgehängt werden können.

Plakate für und wider die DSI.
Plakate für und wider die DSI.
Bild: KEYSTONE

Die Reihen der Erstunterzeichnenden sind prominent besetzt: Die alt Bundesräte Ruth Dreifuss, Pascal Couchepin und Elisabeth Kopp gehören ebenso dazu wie beispielsweise Autor Peter Bichsel, Bruno Gehrig, Verwaltungsratspräsident der Swiss, Abt Urban Federer vom Kloster Einsiedeln, Rapper Knackeboul oder SBB-Verwaltungsratspräsident Ulrich Gygi.

Gegen die DSI: Ruth Dreifuss.
Gegen die DSI: Ruth Dreifuss.
Bild: KEYSTONE

Weiter gibt es das NGO-Komitee gegen die Durchsetzungs-Initiative, ein Bündnis aus 54 Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International Schweiz, Evangelische Frauen Schweiz, der Verband Autorinnen und Autoren der Schweiz (AdS), der Syna oder Männer.ch.

Grosse Beteiligung als Phänomen

Dazu kommen unter anderem rund 180 Rechtsprofessoren, die einen Aufruf unterschrieben haben. Sämtliche Ständeräte – ausser denjenigen der SVP und dem unabhängigen Thomas Minder – haben eine Erklärung gegen das Begehren unterzeichnet. Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative genauso ab wie der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse.

«Es ist neu, dass sich so viele Personen aus der Zivilgesellschaft derart engagieren», sagt Politologe Mark Balsiger, und spricht von einem Phänomen. Als 1992 bei der EWR-Abstimmung die Wogen ebenfalls hochgingen, seien es vor allem etablierte Akteure gewesen, die gekämpft hätten. «Diese Entwicklung ist positiv, denn ich habe das mangelnde Engagement der Zivilgesellschaft lange beklagt», sagt der Politologe im Gespräch mit der Nachrichtenagentur SDA.

Balsiger führt den grossen Einsatz auf «mehrere problematische Volksinitiativen» der letzten Jahre zurück, die die Schweiz in eine schwierige Lage manövriert hätten. «Das waren Weckrufe. Niemand will sich Vorwürfe machen, passiv gewesen zu sein.»

Positive Auswirkung

Demokratieforscher Daniel Kübler ist über die Entwicklung ebenfalls erfreut. Die Elite übernehme die Rolle, den Abstimmungskampf zu führen und die Vorlage zu erklären. «Die grosse Mobilisierung von Befürwortern und Gegnern der Initiative führt dazu, dass die Stimmberechtigten besser informiert sind. Daraus ergibt sich ein qualitativ besserer demokratischer Entscheid», sagt er.

Die mögliche Befürchtung, dass sich die Schweizer durch die aktive Abstimmungsempfehlung der sogenannten Elite bevormundet fühlen, teilt Balsiger nicht: «Der Stimmbürger ist dankbar, wenn er sich an jemandem orientieren kann, den er kennt und respektiert.» Am 28. Februar wird über vier Vorlagen abgestimmt, da kämen viele Stimmbürger an ihre Grenzen.

Auch Politologe Georg Lutz, der als Projektleiter am Forschungszentrum Sozialwissenschaften FORS und als Professor für Politikwissenschaften an der Universität Lausanne tätig ist, geht davon aus, dass sich die Diskussionen positiv auf die Stimmbevölkerung auswirken.

Demo gegen die Durchsetzungs-Initiative am Zürcher Helvetiaplatz

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Demo gegen die Durchsetzungsinitiative am Zürcher Helvetiaplatz
Am Samstag, dem 6. Februar 2016 versammelten sich Gegner der Durchsetzungsinitative in Zürich zu einer Demo. (Bild: Leserreporter)
quelle: watson/leserreporter
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«Die Demokratie hat eine grosse Legitimation in der Schweiz»

Egal wie das Volk an der Urne entscheidet, das Ende der Schweiz wird es nicht sein, darin sind sich Balsiger und Kübler einig. «Die Demokratie hat eine grosse Legitimation in der Schweiz», betont Kübler. Diese könne auch durch einen Graben zwischen Elite und Basis nicht gefährdet werden.

Balsiger geht sogar noch einen Schritt weiter und zweifelt, dass sich ein Graben bildet: «Wir sind das politischste Volk der Welt – dank den Abstimmungen, die uns alle drei Monate umtreiben.» Das präge und führe dazu, dass die Politik nahe bei den Bürgerinnen und Bürgern sei. «Deshalb ist in der Schweiz zwischen der politischen Elite und den normalen Leuten bislang kein Graben entstanden. Dies im Gegensatz zu den allermeisten anderen europäischen Ländern.»

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Konsequenzen könne ein Ja zur Durchsetzungs-Initiative dennoch für diejenigen haben, die sich nun erstmals stark für ein Nein engagieren. Balsiger: «Sie setzen ihre Glaubwürdigkeit ein und könnten gravierende Blessuren erleiden. Das würde sie in Zukunft womöglich abschrecken.»

(sda)

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16 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Beggride
12.02.2016 18:17registriert November 2015
Ich hoffe wirklich in Gedanken an unseren Wohlstand und unseren internationalen, dass nicht so viele Blinde und Dumme in unserer Gesellschaft leben. Leider sieht es beim Durchschauen von verschiedenen Kommentaren bei 20min etc. so aus. Zu viele Naivlinge und Kinder, die kommentieren: "jetzt ist mein Ja noch entschlossener" wie kann man nur so behindert sein echt?
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rodolofo
12.02.2016 19:24registriert Februar 2016
So hat diese unsägliche "Pfusch-Initiative" doch auch ihre nützlichen Seiten: Sie weckt uns auf!
Wenn wir jetzt gegen diese schikanöse "Mehrheits-Diktatur", die ein 2-Klassen-Rechtssystem schaffen will, indem die Taten von AusländerInnen anders gemessen und bestraft werden, als die Taten von "InländerInnen", nicht ABWEHREN, dann wird die Saat von Hass und Misstrauen bald aufgehen!
Und wer weiss, was dann als nächstes kommt?
Vielleicht ein 3-Klassen-Rechtssystem für AusländerInnen, falsche SchweizerInnen und richtige SchweizerInnen?
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Rockymocky
12.02.2016 18:49registriert Juni 2015
Ich hoffe die schweizer Bevölkerung versteht wie wichtig diese Abstimmung ist, um ein Welt- und Kulturoffenes Land zu bleiben. Die SVP geht mit dieser Initiative entschieden zu weit.
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