Wenn die katholische Kirche in einer moralisch-politischen Frage Zweifel hat, dann entscheidet nicht alleine der Papst, was die kirchliche Lehre ist – sondern die Glaubenskongregation. Sie wurde im Februar dieses Jahres aktiv, als es in einer sogenannten Responsum ad dubium (Antwort auf einen Zweifel) klarstellte: Homosexuelle Paare werden nicht gesegnet!
Die kirchliche Basis will diese Einschätzung aber nicht überall mittragen. Die Bistümer von St. Gallen und Basel haben sich deutlich vom Vatikan-Papier distanziert. In der Stadt Zürich geht man noch weiter: Am Montagabend lud der Seelsorger Meinrad Furrer «alle Liebenden» zur Segnung auf dem Zürcher Platzspitz ein. Und mit «alle» meinte er alle: Den Segen verteilte er auch gleichgeschlechtlichen Paaren.
Meinrad Furrer bestätigt, dass sich die Aktion der katholischen Pfarreien der Stadt Zürich gegen die Auffassung des Vatikans richtet. «Es ist eine Stellungnahme gegen die Aussage, gleichgeschlechtliche Liebe sei sündig.» Er sei der Überzeugung, dass die kirchliche Lehre zu Themen über Beziehungen und Sexualität revidiert werden müsse. Doch das sei zweitrangig. «Ich tue öffentlich, was ich schon immer getan habe, zum Beispiel in Segensfeiern für Liebende aller Art», sagt Furrer.
Dass es nun eine besondere Aktion für «queere Liebende» gebe, liege auch an den «Verletzungen», die solche Menschen erleben würden. Der Seelsorger erklärt: «Die jahrhundertealte Verurteilung sitzt tief. In religiösen Kreisen ist diese Tendenz noch stärker.» Mit der Segnung wolle er ein «heilsames Zeichen» setzen, indem er die Paare gutheisst und bei Gott um seine «Kraft und Liebe» bitte.
Die Zürcher Kirchen schliessen sich mit dieser Aktion einer Reihe anderer Institutionen an, die dem Schreiben aus dem Vatikan widersprechen wollen. In Deutschland hat sich etwa eine Reihe von katholischen Pfarreien zur Bewegung «Liebe gewinnt» zusammengeschlossen, um wie in Zürich am 10. Mai «Segensgottesdienste für Liebende» anzubieten.
Insofern wirkt es glaubhaft, wenn Meinrad Furrer die Ansicht dementiert, es handle sich dabei nur um eine «PR-Aktion». Der Zürcher Seelsorger sieht aber auf Nachfrage ein, dass eine Verbindung zur «Ehe für alle»-Referendumsabstimmung nicht von der Hand zu weisen sei: «Mit der Ehe für alle hat das insofern zu tun, dass man weiss, dass in Ländern mit einer Öffnung der Ehe die psychische Gesundheit von queeren Menschen sich verbessert hat.»
Er selbst scheint die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu befürworten. «Ein ‹Ja› zur ‹Ehe für alle› sollte selbstverständlich sein für Personen, die sich wünschen, dass die Menschen gesund und selbstbestimmt leben können.» Als Würdenträger der katholischen Kirche fügte er aber hinzu, dass es zwischen dem kirchlichen und zivilrechtlichen Ehe-Verständnis Unterschiede gebe. Er betont jedoch: «Darum geht es hier nicht. Hier geht es um einen Segen, der ausdrückt, dass man eine Lebensform gutheisst und ihr nur das Beste wünscht.»
Der leise, aber doch hörbare kirchliche Support für die «Ehe für alle» kommt beim Ja-Komittee gut an. «Es freut uns natürlich sehr, dass auch die Kirche die gleichgeschlechtliche Liebe mit einem solchen Zeichen gutheisst», sagt Jan Müller vom Pro-Lager. Er verstehe, dass die Aktion ungewöhnlich sei und zeigt Verständnis dafür, dass der Vorwurf der «Heuchelei» aufkomme. «Von der Kirche war häufig nur eine diskriminierende Deutung der Bibel zu lesen. Aber genau deshalb ist es gut, wenn sich Pfarreien wie hier in Zürich für eine Abkehr von der Homophobie aussprechen. Gerade im Hinblick auf die Abstimmung», so Müllers Begründung.
Dass das am 10. Mai passiert, kommt nicht ohne Grund. Als Gedenktag des Noah (in der orthodoxen Kirche) wird damit der Regenbogen angesprochen, der laut Bibelerzählung nach der Sintflut und der Rettung durch Noahs Arche, allen Menschen gewidmet wurde.
Bei der öffentlichen Segnung gleichgeschlechtlicher Paare handelt es sich laut Angaben Furrers um eine Schweizer Premiere. Bisher seien diese heimlich erfolgt. Für Furore sorgte im Herbst 2014 der damalige Pfarrer von Bürglen UR, als er ein lesbisches Paar segnete. Der zuständige Churer Bischof forderte seinen Rücktritt, er behielt jedoch seinen Posten, nachdem sich der Kirchenrat und grosse Teile der Pfarrei hinter ihm stellten.
Solche Konsequenzen muss Furrer, dessen homosexuelle Orientierung öffentlich bekannt ist, nicht fürchten. Er ist als Seelsorger direkt bei der katholischen Kirchgemeinde der Stadt Zürich angestellt, eine Beauftragug durch das Bistum liegt nicht vor.