Noch ist alles freiwillig. Haushalte, Industrie und die öffentliche Verwaltung sollen ihren Gasverbrauch drosseln, damit wir gut durch den Winter kommen, wie Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) und Energieministerin Simonetta Sommaruga (SP) am Mittwoch vor den Medien sagten. Der Bundesrat hat sodann das Reduktionsziel der EU übernommen: 15 Prozent Gas sparen von Ende Oktober bis März. In den nächsten Tagen lanciert er eine Spartipp-Kampagne. Droht eine unmittelbare Mangellage, folgen Sparappelle. Ist die Mangellage Tatsache, kann Wirtschaftsminister Guy Parmelin Unternehmen mit Zweistoffanlagen befehlen, von Gas auf Öl umzusatteln.
In einer nächsten Eskalationsstufe könnte der Gesamtbundesrat Mindesttemperaturen in öffentlichen Gebäuden, Büros und Haushalten vorschreiben. Das Potenzial bei Privatwohnungen ist gross: Ihr Anteil am Gasverbrauch beträgt 40 Prozent. Reduziert man die Temperatur nur um ein Grad, verbraucht man - vorsichtig gerechnet, wie es aus dem Umfeld der Bundesbehörden heisst - fünf bis sechs Prozent weniger Energie. Kurzum: Wer im Winter die Raumtemperatur von 23 auf 19 Grad herunterschraubt, lindert den von Putin befeuerten Gasmangel.
Voraussichtlich am nächsten Mittwoch präsentiert der Bundesrat eine Verordnung mit konkreten Umsetzungsvorschlägen. Bis dann dürfte er klären, wie stark die Temperatur in mit Gas geheizten Wohnungen bei einer Mangellage noch aufgedreht werden darf. Man wähnt sich an die Covid-19-Verordnung erinnert, mit welcher der Bundesrat das Privatleben bis ins Detail regulierte. Zwischenzeitlich durften sich in Wohnungen noch fünf Personen treffen, an letzten Weihnachten zehn bei Anwesenheit Ungeimpfter. Die Busse im Übertretungsfall: 100 Franken.
Einige relevante Alltagsfragen beantwortete der Bundesrat am Mittwoch nebulös. Wie warm darf es in einer Wohnung maximal noch sein? Wer kontrolliert das? Auf Bitte nach Klärung schreibt ein Sprecher des Wirtschaftsdepartements: «Ihre Fragen sind Gegenstand der Verordnungsentwürfe, die nächste Woche vom Bundesrat zur Kenntnis genommen werden und in einer Konsultation (bei Kantonen, Verbänden und weiteren mitinteressierten Kreisen) zur Diskussion gestellt werden.»
Eine Zahl liess sich Parmelin entlocken. Temperaturen unter 18 Grad gälten als Mangel. Der Mieterinnen- und Mieterverband (MV) hält auf seiner Website fest, eine Wohnung müsse hierzulande ausreichend beheizbar sein. Ausreichend heisse 20 bis 21 Grad. Gemäss einem Bundesgerichtsurteil haben Mieter Anspruch auf eine Mietreduktion, wenn die Mindesttemperatur dauerhaft um drei bis fünf Grad unterschritten wird. Eine Frage, die die Bundesjuristen jetzt wohl klären müssen, lautet: Kann der Bundesrat diese Regel auf dem Verordnungsweg aushebeln?
Ein grosses Thema auch: Wie setzt man staatlich befohlene Temperatursenkungen um? Wirtschaftsminister Guy Parmelin beantwortete die Frage mit einer Analogie. «Wir schicken keine Polizisten los, die kontrollieren, ob jemand in seinen eigenen vier Wänden Drogen konsumiert», sagte er. Er glaube, dass die soziale Kontrolle spielen werde, dass Nachbarn Energiesünder denunzieren. Das jedenfalls sagte er mit Blick auf ein mögliches Benützungsverbot privater Saunen und Swimmingpools. Schon Gesundheitsminister Alain Berset liess im letzten Dezember durchblicken, dass Polizisten nicht einfach nach Gutdünken an zufällig ausgewählten Haushalten aufkreuzen, um zu prüfen, ob sich mehr als zehn Personen um einen Weihnachtsbaum scharen und sich darunter mindestens ein Ungeimpfter befindet.
Zweifel an der Praxistauglichkeit von Temperaturbefehlen hegen Politiker. «Wer soll das kontrollieren?», fragt sich der Solothurner SVP-Nationalrat Christian Imark. Es sei schwer vorstellbar, dass Polizisten, ausgerüstet mit einem Thermometer, bei Privatwohnungen klingeln und Bussen verteilen, wenn es in der Wohnung ein Grad zu warm sei. Der Energiepolitiker begrüsst es aber, dass der Bund zu einem sparsamen Umgang mit Gas aufruft.
Das tut auch der Mieterinnen- und Mieterverband (MV). So unterstützt er die Kampagne zur freiwilligen Senkung der Raumtemperatur «voll und ganz», wie Vizepräsident Michael Töngi sagt. Für den Nationalrat (Grüne, LU) lanciert der Bund seinen offiziellen Appell sogar viel zu spät. Eine behördlich verordnete Temperatursenkung mit Bussen bei Nichtbefolgung lehnt er aber ab.
Man müsse zum Beispiel Rücksicht nehmen auf Personen, die bei einer tieferen Raumtemperatur vielleicht gesundheitliche Problem bekämen. Für Töngi ist indes klar, dass bei einer Gasmangellage alle einen gerechten Sparbeitrag leisten müssen. Der Mieterinnen- und Mieterverband verlangt auch, der Bund solle die steigenden Energiepreise für finanziell schwache Haushalte sozial abfedern.
Die Bundesverwaltung soll derweil, so der Bundesrat, mit gutem Beispiel vorangehen: Geräte abstellen, die nicht laufen müssen. Lichter löschen, die nicht brennen müssen. Oder eben die Raumtemperatur drosseln. Wie genau das geschehen soll, klärt der Bund derzeit ab. Doch was sagt eigentlich das Arbeitsrecht? Eine Antwort gibt das Staatssekretariat für Wirtschaft in einer Wegleitung zum Arbeitsgesetz. Als «arbeitsphysiologisch gute Bereiche für Lufttemperaturen» gelten demnach: 21 bis 23 Grad im Büro im Winter. 23 bis 26 Grad im Büro im Sommer. 18 bis 21 Grad bei Arbeiten, die man stehend und gehend verrichtet. 16 bis 19 Grad bei mittelschwerer körperlicher Arbeit wie Montagen. (aargauerzeitung.ch)