So verschieden gehen Deutschland und die Schweiz mit der Strommangellage um
Noch herrscht kein Grund zur Panik. Die Temperaturen sind hoch, die Sonne scheint. Die Schweiz kann ihren Energiebedarf weiterhin mit inländischer Stromproduktion decken.
Kritischer wird es, wenn der Herbst anbricht. Dann können die vorhandenen Produktionskapazitäten die Nachfrage nicht mehr decken. Einerseits, weil mehr Energie benötigt wird. Andererseits, weil die Pegelstände der Flüsse und Stauseen tief sind und weniger davon produzieren.
Sobald die Temperaturen sinken, muss die Schweiz Energie importieren. Etwas mehr als 15 Prozent des Schweizer Energiebedarfs wird mit Gas gedeckt. Und dieses wird aus dem Ausland importiert.
Genau diese Gas-Importe sind momentan der Knackpunkt: Russland hat die Gas-Lieferungen auf 20 Prozent reduziert. Deutschland kann seine Speicher für den Winter nicht wie geplant auffüllen. Das hat auch Auswirkungen auf die Schweiz, weil ein Teil dieser Speicher auch hierzulande gebraucht wird.
Anfang August einigten sich die EU-Länder auf einen Gas-Notfallplan. 15 Prozent soll der Durchschnittsverbrauch in den nächsten acht Monaten sinken. Auch die Schweiz plant, ähnlich viel Gas einzusparen, um Engpässe zu vermeiden.
Während die Schweiz dabei auf Freiwilligkeit setzt, ordnete Deutschland für den 1. September konkrete Massnahmen an. Ein Vergleich:
Massnahmen in Deutschland:
Keine Heizung in Gängen und kalte Pools
In Deutschland kam am Mittwoch der Hammerschlag. Die Bundesregierung ordnete den Stromsparmodus an. «Wir stehen vor einer nationalen Kraftanstrengung und es braucht ein starkes Zusammenspiel von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft», so der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.
Ab dem 1. September bis zum 28. Februar gelten in Deutschland diverse neue Vorschriften:
- Die Beleuchtung von Gebäuden und Denkmälern wird ausgeschaltet.
- Leuchtreklamen müssen von 22 bis 6 Uhr ausgeschaltet werden.
- Ladentüren von Geschäften dürfen zwischen September und Ende Februar nicht mehr dauerhaft offen bleiben.
- Private Pools dürfen nicht mehr mit Gas und Strom geheizt werden.
- Öffentliche Gebäude dürfen nur noch bis zu einer Raumtemperatur von 19 Grad geheizt werden. Soziale Einrichtungen wie Spitäler oder Pflegeheime sind davon ausgenommen.
- Flure, Foyers, Hallen oder Technikräume in öffentlichen Gebäuden dürfen gar nicht mehr geheizt werden.
- Wenn es die Hygiene nicht erfordert, müssen Boiler und Durchlauferhitzer von Waschbecken in öffentlichen Gebäuden ausgeschaltet werden. Die Hände werden kalt gewaschen.
Die neuen Vorschriften sollen dafür sorgen, dass zwei bis zweieinhalb Prozent des Energieverbrauchs in Deutschland eingespart werden können.
Am stärksten davon betroffen sind Verwaltungseinrichtungen und öffentliche Gebäude. Privaten deutschen Unternehmen schreibt die neue Verordnung keine Maximaltemperatur vor. Sie können aber weniger heizen, wenn sie es wollen. Ab dem 1. Oktober sollen weitere Massnahmen in Kraft treten.
Massnahmen Schweiz: Wasserkraft und Stromsparkampagne
Eine Verordnung zum Stromsparen hat die Schweiz noch nicht. Aber auch hierzulande ist die Versorgungssicherheit Thema Nummer eins.
Am Mittwoch traten Energieministerin Simonetta Sommaruga und Wirtschaftsminister Guy Parmelin mit einem Plan mit Massnahmen vor die Medien.
- Die Betreiber von Speicherkraftwerken sollen gegen Entgelt eine bestimmte Menge Energie zurückhalten, die bei Bedarf abgerufen werden kann.
- Der Bund prüft derzeit, ob 300 Notstromaggregate als Reservekraftwerke eingesetzt werden könnten.
- 15 Prozent des Gasbedarfs der Schweiz wird abgesichert, indem diese Menge vorwiegend in den Nachbarländern gespeichert wird.
- Deutschland, Italien, Frankreich und die Niederlande sollen zusätzlich nicht-russisches Gas erwerben, das bei Bedarf von der Schweiz abgerufen werden könnte.
- Zusammen mit der Wirtschaft erarbeitet der Bund eine Stromsparkampagne mit Massnahmen, die von der Bevölkerung und der Wirtschaft einfach umgesetzt werden können. Ende August soll die Kampagne lanciert werden.
Fazit: Deutschland prescht voran, die Schweiz hält sich zurück
Vorneweg: Grund zur Panik gibt es sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz nicht. Zwar sind beide Länder direkt bzw. indirekt vom russischen Gas abhängig, noch hat es aber genug.
Die Versorgungssicherheit sei gegeben, so der Bundesrat am Mittwoch vor den Medien. Die Füllstände der Schweizer Speicherseen liegen aktuell aber knapp unter dem langjährigen Mittel. Zudem musste das Kernkraftwerk Beznau seine Kapazität wegen der Hitze vorübergehend drosseln.
In Deutschland zeigt man sich ob der aktuellen Speicherstände zuversichtlicher als auch schon. Eine Verordnung des Bundes sah vor, dass die Gasspeicherstände bis zum 1. September zu 75 Prozent gefüllt sind. Dieser Stand wurde bereits zwei Wochen früher erreicht.
«Wir kommen mit dem Einspeichern und Sparen gut voran. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die privaten Haushalte in diesem Winter nicht frieren müssen», so Torsten Frank gegenüber der «Rheinischen Post». Frank ist Geschäftsführer von Trading Hub Europe, ein Zusammenschluss der Ferngas-Netzbetreiber.
Deutschland drosselt, die Schweiz setzt auf Freiwilligkeit
Die grösste Unbekannte bleibt aber weiterhin Russland und dessen Gas-Lieferbereitschaft. Darauf bereiten sich die Schweiz und Deutschland ziemlich unterschiedlich vor, wie die vorherige Auflistung der konkreten Massnahmen zeigen.
Der vierstufige Plan des Bundes
Im Massnahmenpaket des Bundes sind einige Punkte noch offen. Energieministerin Simonetta Sommaruga und Wirtschaftsminister Guy Parmelin haben am WEF vereinbart, rasche Verhandlungen für ein Solidaritätsabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz aufzunehmen. Zudem laufen Gespräche mit Frankreich und Italien. Konkreter wird der Bundesrat jedoch noch nicht.
Während Deutschland bereits ab nächster Woche den Energiebedarf zu drosseln versucht, greift die Schweiz zur Stromsparkampagne. Verbote analog zu Deutschland wird es in nächster Zeit kaum geben. Einschränkungen sind im vierstufigen Plan des Bundes im Kampf gegen den Gasmangel erst als dritte Stufe vorgesehen. Hierzulande setzt man auf Eigenverantwortung und Freiwilligkeit.


