Das Resultat war knapp: Nur gerade 51.2 Prozent der bis dahin grundsätzlich atomfreundlichen bernischen Stimmbevölkerung sagten in einer Konsultativabstimmung Ja zu einem zweiten AKW auf ihrem Boden. Die Atomlobby jubilierte, schliesslich galt der Urnengang als wichtiger Stimmungstest im Hinblick auf eine nationale Abstimmung über neue Atomkraftwerke.
Auch Kurt Rohrbach, der damalige Chef des Stromkonzerns BKW, zeigte sich an diesem Sonntag vom 13. Februar 2011 befriedigt mit dem Ausgang der Abstimmung. Er habe ein knappes Resultat erwartet in dieser emotionsgeladenen Sache, sagte Rohrbach damals. Das Berner Volk habe sich für die Versorgungssicherheit entschieden.
Keinen Monat später waren die Pläne für den BKW-Prestigebau von Mühleberg II Makulatur, ebenso wie jene für die neuen AKW im aargauischen Beznau und dem solothurnischen Gösgen. Rund 9500 Kilometer entfernt verursachten ein Erdbeben und ein Tsunami in Japan die grösste Nuklearreaktorkatastrophe seit Tschernobyl. Fukushima hatte den ohnehin knappen politischen Support weggefegt. Und die Lenker der drei Schweizer Stromkonzerne, die alles auf den Bau neuer AKW gesetzt hatten, waren angezählt.
Alpiq-Chef Giovanni Leonardi war schon im September 2011 weg, Axpo-Boss Heinz Karrer fand 2013 an der Spitze des nach verlorenem Kampf gegen die Minder-Initiative verzweifelten Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse eine neue Berufung und BKW-Direktor Rohrbach ging 2015 zu dessen kleinen Bruder und übernahm das Präsidium des bernischen Handels- und Industrieverbands (HIV).
Den Chefposten bei der BKW hatte er bereits 2012 gegen das Amt des Vizepräsidenten in dem vom Kanton Bern kontrollierten Stromunternehmen eingetauscht – freiwillig, wie frühere Wegbegleiter sich erinnern, aber eben auch mit einer sicheren Auffangstation als «vollamtliches» Mitglied des Verwaltungsrats.
Suzanne Thoma übernahm und setzte die nur ein Jahr nach der Katastrophe von Fukushima präsentierte neue BKW-Strategie um – und baute den bernischen Stromproduzenten zu einem nationalen Energieunternehmen mit starkem Dienstleistungsgeschäft aus.
2016 trat Rohrbach als Vizepräsident des Unternehmens zurück, bei dem der studierte Elektroingenieur ETH seine ganze berufliche Karriere absolviert hatte, 2021 gab er auch das HIV-Präsidium ab. Fortan wollte er mehr Zeit nehmen für sich und für sein Hobby: für die Hundezucht, die er mit seiner Frau, einer Tierärztin, führt, und für die Rennen, in denen seine Windhunde einen künstlichen Hasen jagen und dafür auch Preise einheimsen.
Nun ist Rohrbach zurück – als oberster Krisenmanager im Lande. Der Bundesrat hat ihn per 1. November zum Delegierten für die wirtschaftliche Landesversorgung ernannt – ad interim, für ein halbes Jahr oder vielleicht länger, bis die Stelle definitiv besetzt werden kann.
Und so ersetzt der 67-jährige Rohrbach den in der Pandemie äussert glücklos agierenden 66-jährigen Werner Meier, einen Alpiq-Manager, der das Milizamt seit 2016 bekleidete und seinen Rücktritt bereits im Sommer angekündigt hatte.
Der Job scheint nicht sehr beliebt zu sein, die Schlange an valablen Kandidaten und Kandidatinnen, die sich auf das im Juni publizierte Inserat gemeldet haben, ist eher kurz. Und der Favorit soll in letzter Minute abgesagt haben, ist zu hören. Parmelins Wirtschaftsdepartement will sich dazu nicht äussern. Klar ist aber: Es braucht mehr Zeit.
Deshalb hat sich Parmelin an Rohrbach gewandt, den er schon länger kennt. Die Wege der beiden haben sich immer wieder gekreuzt – etwa in der Energiekommission, in welcher Parmelin als Nationalrat Einsitz nahm und Rohrbach als BKW-Chef angehört wurde, oder bei zahlreichen Wirtschaftsanlässen, an denen Parmelin als Bundesrat und Rohrbach als Economiesuisse-Vorstandsmitglied teilnahm. Und Rohrbach hat Parmelin auf seine erste Wirtschaftsmission als Wirtschaftsminister nach Japan begleitet im Sommer 2019.
Parmelin, auf der Suche nach einer Zwischenlösung, hat also Rohrbach kontaktiert und war offensichtlich überzeugend: Der Ex-BKW-Chef hat eingeschlagen und zugesagt, für einen Winter die Rolle des obersten Landesversorgers zu übernehmen. Von einem «Lucky Punch» ist im Wirtschaftsdepartement die Rede – weil Rohrbach in der jetzigen Energiekrise das nötige Fachwissen mitbringt, weil er gleich «verfügbar» war und nicht noch zuvor irgendwelche Interessenkonflikte bereinigen musste.
Und vielleicht auch, weil Rohrbach weiss, wie das ist, wenn die Lichter ausgehen. Denn als Bereichsleiter Energie bei der BKW war er verantwortlich, als das Orkantief Lothar am 26. Dezember 1999 mit Spitzengeschwindigkeiten von rund 240 Kilometer pro Stunde auch über die Schweiz fegte. 14 Menschen starben hierzulande am Sturmtag, «Lothar» verursachte riesige Schäden in den Wäldern und an Gebäuden, die sich später auf insgesamt 1,35 Milliarden Franken summieren sollten, unterbrach Eisenbahnlinien und schnitt Tausende von Haushalten für mehrere Tage vom Strom ab. Es dauerte Tage, bis die Hunderten BKW-Leitungsmonteure wieder alle Haushalte ans Stromnetz angeschlossen hatten.
Rohrbach wird das Amt als oberster Schweizer Krisenmanager in Teilzeit ausführen – im November zu 60, ab Dezember zu 80 Prozent. So will es das Gesetz. Sein Nachfolger soll dann zu 100 Prozent tätig sein. Die nötige gesetzliche Revision dafür ist aufgegleist, ebenso wie für die Reform des im Milizsystem organisierten und in Vergessenheit geratenen «Schönwetteramts», das zuerst mit Millionenverlusten bei der Hochseeschifffahrt für Negativschlagzeilen sorgte und sich dann in der Coronakrise als völlig unbrauchbar erwies. So jedenfalls der Tenor.
Im zuständigen Wirtschaftsdepartement sieht man das anders: «Das Amt hat auch sehr viel richtig gemacht», betont Sprecher Urs Wiedmer und verweist darauf, dass es unter anderem einen entscheidenden Beitrag zur bei der Sicherstellung der Logistik geleistet hat etwa mit Aufhebung Nacht- und Sonntagsfahrverbot.
Aber es ist auch im Wirtschaftsdepartement unbestritten: Das Amt braucht dringendst Reformen. Dies hat die von Bundesrat Parmelin in Auftrag gegebene Administrativuntersuchung bestätigt. Am Grundprinzip wird festgehalten: Die wirtschaftliche Landesversorgung soll auch in Zukunft in Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft sichergestellt werden – insbesondere auch bei der Pflichtlagerhaltung. Doch das Amt soll personell von heute 32 auf 44 Stellen aufgestockt werden.
Der Chef oder die Chefin soll zwar weiterhin eine Person mit «ausgewiesener Wirtschaftskompetenz» sein, wie es heisst, aber künftig vollamtlich im Dienst der Landesversorgung stehen. Das auch, weil das heutige Konstrukt mit einem 40-Prozent-Nebenamt sich als untauglich erwiesen hat. «Sogar in normalen Zeiten», wie Parmelins Departement festhalten musste.
Doch bis die neue Organisation steht und die gesetzlichen Anpassungen durch sind, vergehen noch ein paar Monate. Und mehr als ursprünglich versprochen: Die bundesrätliche Vernehmlassungsvorlage war für Ende Jahr vorgesehen, doch «aufgrund der hohen Belastung durch Energiekrise und vor allem weil man auch noch Lehren aus der aktuellen Krise integrieren will, verschiebt sich die Revision auf Mitte 2023», wie Wiedmer erklärt. Und bis dahin übernimmt Kurt Rohrbach.
Für das Krisenmanagement dieses Landes ist neu ein 80% Pensum vorgesehen..
Momoll das stimmt mich zuversichtlich