«Mir stelle s KKM endgüutig ab»: So tönte es kurz vor 12 Uhr 30 am Freitagmittag im Kommandoraum des Kernkraftwerks Mühleberg (KKM). Dann folgte ein Countdown «Drü, zwöi, eis, null.» Ein Angestellter der Betreiberin BKW setzte den Befehl um und drückte zwei Köpfe. Und nahm so das Kernkraftwerk Mühleberg nach 47 Betriebsjahren vom Netz – als erstes der fünf Schweizer Atomkraftwerke.
So, das wars. Ziemlich unspektakulär so ein Knopfdruck. Aber doch historisch. #Muehleberg pic.twitter.com/Qk2vj0t0Hv
— Der Bund (@derbund) December 20, 2019
Diesen historischen Tag nahmen die «Arena»-Macher unter dem Sendungstitel «Strom ohne Atom – geht das?» zum Anlass, einen Blick in die energiepolitische Zukunft zu werfen. Denn das Mühleberg-Aus ist nur der Auftakt: Mit der 2017 vom Volk angenommenen Energiestrategie ist der schrittweise Atomausstieg beschlossene Sache.
Wie sicher sind die vier noch verbleibenden Schweizer Atomkraftwerke? Womit soll die Stromproduktion ersetzt werden, die mit dem Abschalten der AKWs wegfällt? Und wie lässt sich die Versorgungssicherheit aufrechterhalten?
Diese und weitere Fragen diskutierten unter der Leitung von Moderator Sandro Brotz vier Gäste: die grüne Neo-Nationalrätin Marionna Schlatter aus Zürich, SP-Nationalrat Eric Nussbaumer aus Baselland, der im Oktober abgewählte, ehemalige FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Gewerbeverbands und Präsident des Nuklearforums Schweiz, sowie Benjamin Giezendanner, neu gewählter SVP-Nationalrat aus dem «Atomkanton» Aargau.
Dieser stellte sogleich klar, dass der Tag der Mühleberg-Abschaltung kein erfreulicher sei: «Die Schweiz verliert damit einen Teil ihrer Autarkie», sagte Giezendanner. Die rund fünf Prozent, die das KKW Mühleberg bisher zur gesamten Stromproduktion beigetragen hat, müssten nämlich mit teurem Importstrom aus der EU ersetzt werden, der erst noch weniger klimafreundlich sei als Schweizer Atomstrom.
Wenig erstaunlich liess Marionna Schlatter von den Grünen diese Aussage nicht einfach so stehen: «Der günstigste Strom ist heute Solarstrom», hielt sie SVP-Atomfreund Giezendanner entgegen. Die Atomkraft sei heute nicht mehr wirtschaftlich. Die Bevölkerung habe sich klar für den schrittweisen Atomausstieg ausgesprochen.
Nach diesem Anfangsgeplänkel wurden die Kosten für den Rückbau der Atomkraftwerke diskutiert – und die Frage, was mit den radioaktiven Abfällen geschehen soll (die Brennstäbe sind noch eine Million Jahre radioaktiv). Hier setzte der stärkste Debattierer des Abends, der Sozialdemokrat und profilierte Energiepolitiker Eric Nussbaumer, ein erstes Ausrufezeichen. Er bestritt die Diskussion kenntnisreich, doch fürs Publikum einfach verständlich und signalisierte immer Bereitschaft, mit der Gegenseite gemeinsame Lösungen suchen zu wollen.
Nussbaumer erklärte dem Publikum, wie die für den Rückbau der AKWs vorgesehenen Kosten, für welche die Betreiber in einen Fonds einzahlen müssen, in den letzten Jahren nach jeder Überprüfung höher eingeschätzt werden mussten. Die Gefahr bestehe, dass letzten Endes der Bund, sprich der Steuerzahler, einen Teil der Rechnung begleichen müsse: «Das Problem ist, wir wissen nicht, was das eines Tages kosten wird.»
Gewerbeverbands-Direktor Hans-Ulrich Bigler warf Nussbaumer und den Atomkraftgegnern vor, die Sicherheitskosten zu verpolitisieren. Es sei äusserst unwahrscheinlich, dass der Bund eines Tages die Rückbau- und Entsorgungskosten übernehmen müsse.
Hier schaltete sich Marionna Schlatter energisch ein. Es gebe weltweit kein einziges Endlager für hochradioaktive Stoffe. Ein solches Lager, für das in der Schweiz seit 30 Jahren über mögliche Standorte gestritten wird, müsste für 100'000 oder 200'000 Jahre sicher sein. Da könne die Schweiz kaum behaupten, die Kosten auf den Franken genau ausrechnen zu können. «Für mich ist das ein Fass ohne Boden».
Moderator Brotz lenkte die Diskussion auf die Frage nach der Laufzeit der noch ans Netz angeschlossenen vier Schweizer AKWs – und die Frage, was danach kommen soll. Für Fuhrhalter Benjamin Giezendanner war klar, dass nur Versorgungssicherheit und ausreichend «Bandenergie» – welche Sonnen- und Windkraft nicht sicherstellen könnten – den Wohlstand der Schweiz garantieren könnten.
«Wir müssen eine ehrliche Lagebeurteilung machen und dem Volk sagen, was in 10 oder 20 Jahren passiert.» Er müsse ehrlich sagen, er wolle auch kein neues AKW bauen: «Aber es ist wohl die einzige Option». Denn die Rezepte, die man in der Schublade habe, die funktionierten gemäss Giezendanner nicht.
Hier setzte SP-Mann Nussbaumer zu einem schlagfertigen Konter an. Fein säuberlich sezierte er die nicht gegebenen Voraussetzungen für Giezendanners These, nur ein AKW bringe die Lösung: «Sie finden niemanden, der ihnen das finanziert, die demokratischen Voraussetzungen sind nicht gegeben und das Abfallproblem ist nicht gelöst». Ausserdem betrage die Bauzeit mindestens 20 Jahre.
Das wollte Giezendanner nicht auf sich sitzen lassen. Nach einem kurzen Einspieler-Video über den aktuellen Schweizer Strommix teilte er gegenüber der Grünen Marionna Schlatter aus. Mit dem Atomausstieg bekomme die Schweiz ein Problem mit der Bandenergie und insbesondere im Winterhalbjahr sei die Versorgungssicherheit gefährdet. Nur mit dem Import von Dreckstrom aus der EU sei ein Ausgleich zu schaffen: «Unter dem CO2-Aspekt ist das lachhaft!»
Anstatt der angegriffenen Grünen ergriff Sozialdemokrat Nussbaumer das Wort – und konnte sich in der Folge den einzigen Szenenapplaus des Abends zugute schreiben lassen. «Herr Giezendanner, Sie schildern hier immer Probleme. Aber Ihre Antwort dafür nimmt etwa 30 Jahre in Anspruch – nämlich bis der nächste Atommeiler ans Netz gehen würde.» Es brauche den Ausbau der erneuerbaren Energien, um die Versorgungssicherheit sicherzustellen: «Wenn wir, wie Sie das fordern, 30 Jahre lang nichts tun, dann haben wir wirklich ein Problem mit der Versorgungssicherheit!»
Nach diesem Schlagabtausch wurde die Sendung inhaltlich konkreter: Es ging um die Herausforderungen ans Stromnetz, welche ein Ausbau der Erneuerbaren mit sich bringt. Hier fanden SP-Vertreter Nussbaumer und Gewerbeverbandsdirektor Bigler – beide hatten die Energiestrategie 2050 unterstützt – Gemeinsamkeiten. Nicht einig war sich die Runde, ob es ein Gaskombikraftwerk brauche, um den Energiebedarf im Winterhalbjahr zu decken.
Bigler versuchte die Diskussion um die erneuerbaren Energien auf den Widerstand «ausgerechnet von den Grünen» gegen den Ausbau von Speicherkraftwerken zu lenken. «Am einfachsten, schnellsten und unmittelbarsten wäre es, die Staumauern zu erhöhen».
Schlatter konterte, dass es bei einem derart «massiven Eingriff in unsere Landschaft» die Mitbestimmung der Bevölkerung brauche. Das koste Zeit. Bigler betreibe eine Politik, welche die Prozesse zum Ausbau der Erneuerbaren von Anfang an blockiere. Deshalb komme die Schweiz nicht weiter. «Dabei wäre mir der Ausbau von Abertausenden schon bestehenden Dächern mit Solarpanels viel lieber».
Im letzten Teil der Sendung ging es um die Zukunft der Mobilität. Alle Teilnehmer begrüssten grundsätzlich die Dekarbonisierung des Individualverkehrs und den Vormarsch der Elektromobilität. SVP-Mann Giezendanner warf Grünen-Nationalrätin Schlatter vor, das Auto, wie die Atomkraft, seit Jahrzehnten aus «ideologischen Gründen» zu verteufeln.
Schlatter entgegnete, die Art und Weise unserer Mobilität müsse sich ändern – und nicht nur die Antriebstechnologie von Autos.
An dieser Stelle zeigte sich erstmals eine politische Differenz zwischen Grün und Rot. SP-Nationalrat Eric Nussbaumer pflichtete SVP-Mann Giezendanner bei: «Die Mobilitätsbedürfnisse sollen individuell gedeckt werden können». Doch müssten sie mit nachhaltiger Energie betrieben werden.
Damit das klappe, brauche es auch zukünftig Vorschriften, wie man sie bei Benzinmotoren oder Kühlschränken heute schon kenne, grenzte sich Nussbaumer bereits im nächsten Satz wieder vom SVP-Atomfreund ab: «Die Wirtschaft und die Technologie sind nicht automatisch gescheit.»
Und nicht unbedingt gescheiter, aber auf jeden Fall gut unterhalten, wurde kurz danach auch das «Arena»-Publikum ins Wochenende entlassen. Die Frage nach der Schweizer Energiezukunft konnten die Diskussionsteilnehmer, wie zu erwarten war, nicht abschliessend beantworten. Klar ist seit dem Freitag lediglich: Das Kernkraftwerk Mühleberg ist definitiv nicht Teil dieser Zukunft.
«Drü, zwöi, eis, null.»
Hier kannst du die Sendung in ganzer Länge anschauen.
Schon im 90er-Jahre-Film-Klassiker «Cool Runnings» wussten die Schweizer, wie man richtig zählt: «Eis, zwöi, drü!»