Sieben Jahre nachdem das Schweizer Stimmvolk mit der Annahme der Energiestrategie 2050 den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen hat, kommt das Thema erneut auf das politische Parkett.
Energieminister Albert Rösti möchte den Bau von Atomkraftwerken grundsätzlich wieder ermöglichen. Es gelang ihm, eine Mehrheit des Bundesrates von seinem Vorhaben zu überzeugen. Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung überzeugte er hingegen nicht.
Wie eine repräsentative Umfrage von watson zeigt, sprechen sich 51 Prozent gegen die AKW-Pläne des SVP-Bundesrats aus. 48 Prozent der Befragten sind dafür.
Auf die Resultate angesprochen, schreibt UVEK-Kommunikationschefin Franziska Ingold:
Ergänzend heisst es vom UVEK, dass es sich bei der geplanten Aufhebung des Neubauverbots für Atomkraftwerke nicht um eine Abkehr von erneuerbaren Energien handle. «Der Ausbau von Wasserkraft, Solar- und Windenergie und Biogas bleibt mittelfristig das oberste Ziel.» Die Kernenergie solle lediglich als ergänzende Option zur Verfügung stehen, um Versorgungslücken zu schliessen.
Versorgungslücken, die es gemäss Aline Trede nicht geben wird. Zumindest nicht, «wenn die erneuerbaren Energien so ausgebaut werden, wie es das Stromgesetz vorsieht», sagt die Fraktionspräsidentin der Grünen.
Trede stört sich daran, dass Bundesrat Rösti infrage stellt, dass die Energiewende in der Schweiz gelingen wird.
Zu den Umfrageresultaten sagt die Grünen-Fraktionspräsidentin: «Es überrascht mich, dass die AKW-Debatte so schnell wieder salonfähig geworden ist». Die Ergebnisse zeigen, dass Röstis Kampagne funktioniere.
Der Energieminister möchte der Volksinitiative «Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)» mit einem indirekten Gegenvorschlag Rechnung tragen. Wie dieser formuliert sein soll, darüber liegen jedoch noch keine Informationen vor.
Auch darüber ärgert sich die Grünen-Chefin. «Ich habe es noch nie erlebt, dass man in einer solchen Situation kein konkretes Projekt vorgelegt bekommt. Es braucht gar keinen Gegenvorschlag, wir könnten einfach über die Blackout-Initiative abstimmen.»
Eine Meinung, die Gerhard Pfister teilt. Der Mitte-Präsident geht sogar einen Schritt weiter und bezeichnet Röstis Vorgehen als «staatspolitisch bedenklich». Pfister sagt:
Dass der Nein-Anteil in der watson-Umfrage trotz des «Ja» zum Atomausstieg 2017 und zum Stromgesetz 2024 nur bei 51 Prozent liegt, hat gemäss Pfister einen Grund: «Die vertiefte Meinungsbildung und Auseinandersetzung mit der aktuellen AKW-Materie hat bei der Bevölkerung noch nicht stattgefunden. In der Umfrage ging es ja erst um Röstis Vorschlag.»
Wenn Aspekte wie Kosten, Finanzierung und Endlagerung von Atommüll zur Sprache kämen, werde der Nein-Anteil weiter steigen. Pfisters Fazit: «Sowohl die Volksinitiative als auch ein möglicher indirekter Gegenvorschlag sind bereits jetzt gescheitert. Ich bin mir sicher, dass ein Referendum zustande und durchkommen wird.»
Auch Grünen-Fraktionspräsidentin Aline Trede macht sich bei einem Referendum – das sie bereits angekündigt hat – keine Sorgen. Das Referendum zu ergreifen sei zwar mühsam, weil es den Ausbau der erneuerbaren Energien verzögere, «aber es wird sehr klar zugunsten der erneuerbaren Energien ausfallen».
Dass Albert Röstis Bestrebungen im Bundesrat eine Mehrheit fanden, dürfte auf die Mithilfe der FDP zurückzuführen sein. Die Umfrageergebnisse zeigen, dass über 80 Prozent der FDP-Wählenden dafür sind, dass der Bau von neuen Atomkraftwerken wieder möglich sein soll.
Damit kehren die Freisinnigen von ihrem Entscheid von 2017 ab. Damals hat die FDP die Energiestrategie 2050 und damit den Atomausstieg unterstützt.
Darauf angesprochen, relativiert der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen. Die Delegiertenversammlung habe 2017 hauchdünn die Ja-Parole beschlossen, «diverse Kantonalsektionen und Parlamentarier, auch ich, sind davon abgewichen».
Der AKW-Ausstieg sei den Freisinnigen immer ein Dorn im Auge gewesen. Wasserfallen fügt an:
Sie habe eklatante Falschaussagen beinhaltet. Etwa, dass man unbeschränkt Strom aus dem Ausland importieren könne. «Da wurde das Volk hinters Licht geführt», so Wasserfallen.
Dass die Pläne des Bundesrats in der watson-Umfrage mit 48 Prozent nach einem Jahrzehnt des Schlechtredens von Kernkraftwerken fast eine Mehrheit erreichen, sei überraschend und gleichzeitig ein deutliches Zeichen dafür, dass die Bevölkerung das AKW-Neubauverbot aufheben wolle.
Angesprochen auf die finanziellen Aspekte eines Atomkraftwerkes, winkt Wasserfallen ab. Wenn man von Kosten spreche, sollte man mit einrechnen, welche Kosten bei einer Strommangellage entstehen würden:
Was die Installation und die rund drei- bis viermal längere Lebensdauer, den tieferen Bedarf an Netzausbau und die nicht notwendige saisonale Speicherung anbelange, habe Kernenergie – etwa im Vergleich mit Photovoltaik – eine deutlich bessere Kosten-Nutzen-Bilanz.
Auch der Solothurner SVP-Nationalrat Christian Imark vertritt die Meinung, dass das Stimmvolk die Energiestrategie 2050 aufgrund von falschen Annahmen angenommen hat. «Unter diesen Umständen wundert es mich nicht, dass nun ein Anliegen wie die Aufhebung des AKW-Neubauverbots mehrheitsfähig ist», so Imark zu den Ergebnissen der Umfrage. Und unterstreicht:
Als Energieminister Albert Rösti Mitte August seine Pläne bekannt gab, das 2017 beschlossene AKW-Verbot kippen zu wollen, war alsbald von einer Missachtung des Volkswillens die Rede. Diese Ansicht ist Imark – der das Stromgesetz unterstützt hat – zuwider. Röstis Vorgehen sei absolut richtig:
Viele Optionen gebe es nicht. Kernkraft zum jetzigen Zeitpunkt auszuschliessen, wäre daher verantwortungslos. Imark glaubt ausserdem, dass Röstis Pläne den erneuerbaren Energien einen Push geben könnten. «Die Branche der erneuerbaren Energien hat jetzt die Möglichkeit, zu zeigen, dass sie ihre Ziele erreichen kann.»
FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen vertritt ebenso die Haltung, dass von Missachtung des Volkswillens keine Rede sein könne. Es sei völlig legitim, über ein politisches Vorhaben auch mehrmals abzustimmen. Wasserfallen sagt:
Er argumentiert, dass die Aufhebung des AKW-Neubauverbots und die Förderung von erneuerbaren Energien gleichzeitig möglich seien. «Wasserkraft, Photovoltaik und Kernenergie sind der Mix von heute und der Zukunft. Sie sind CO₂-frei und können in der Schweiz produziert werden. Dies macht uns unabhängig vom Ausland.»
Auch Grünen-Fraktionspräsidentin Aline Trede betrachtet den Volkswillen nicht als missachtet. Eine Volksinitiative – die Grundlage für Röstis indirekten Gegenvorschlag – dürfe immer eingereicht werden. Beides bringe aber nichts.
Trede ist sich sicher: «Selbst wenn das Stimmvolk das AKW-Neubauverbot aufheben würde, ein AKW wird in der Schweiz nie mehr gebaut. Weil es ohne Subventionen nicht rentiert.»
Was genau meinen Sie mit „Dies macht uns unabhängig vom Ausland“?
Mit der Kernkraft machen wir uns im Gegenteil stark vom Ausland abhängig!
Wohnt der Typ in Leibstadt oder meint er mit "Bevölkerung" seine Kollegen von der Stromlobby?
Wenn man SOFORT jede freie Dachfläche mit ungefährer Südausrichtung mit Solarpanels ausrüsten würde UND allen überschüssigen Strom des tages in Pumpspeicherwerke speichern würde, eventuell weitere Stauseen dazu umbauen, hätten wir instant keine "potentielle Strommangellage" mehr
Das dauert aber keine 25 jahre (wie AKW-bau sondern monate bis 3-5 Jahre und amortisiert sich in wenigen Jahren.
Aber es tut mir leid, dass ich einer FDP hier ratschläge zu betriebswirtschaftlich sinnvollem agieren gebe...