Schweiz
Energie

AKW-Neubauverbot: SVP und FDP sind für Aufhebung, Mitte und Grüne dagegen

AKW-Umfrage: «Dann wird das Argument, dass Kernkraftwerke teuer sind, gleich pulverisiert»

Eine repräsentative Umfrage von watson hat gezeigt: Nur eine ganz knappe Mehrheit der Schweizer Bevölkerung ist gegen die Aufhebung des AKW-Neubauverbots. So unterschiedlich interpretieren die Parteien das Resultat.
13.09.2024, 11:2813.09.2024, 16:02
Ralph Steiner
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Sieben Jahre nachdem das Schweizer Stimmvolk mit der Annahme der Energiestrategie 2050 den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen hat, kommt das Thema erneut auf das politische Parkett.

Energieminister Albert Rösti möchte den Bau von Atomkraftwerken grundsätzlich wieder ermöglichen. Es gelang ihm, eine Mehrheit des Bundesrates von seinem Vorhaben zu überzeugen. Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung überzeugte er hingegen nicht.

SVP-Bundesrat Albert Rösti ist ein Unterstützer von Atomenergie.
SVP-Bundesrat Albert Rösti ist ein Unterstützer von Atomenergie.bild: watson

Wie eine repräsentative Umfrage von watson zeigt, sprechen sich 51 Prozent gegen die AKW-Pläne des SVP-Bundesrats aus. 48 Prozent der Befragten sind dafür.

Aufgrund von Rundungen ergeben die Zahlen addiert nicht immer 100 Prozent.

Auf die Resultate angesprochen, schreibt UVEK-Kommunikationschefin Franziska Ingold:

«Bundesrat Albert Rösti nimmt die Ergebnisse der watson-Umfrage mit Interesse zur Kenntnis. Die unterschiedlichen Meinungen in der Bevölkerung zeigen, wie wichtig eine offene Diskussion über unsere zukünftige Energieversorgung ist.»

Ergänzend heisst es vom UVEK, dass es sich bei der geplanten Aufhebung des Neubauverbots für Atomkraftwerke nicht um eine Abkehr von erneuerbaren Energien handle. «Der Ausbau von Wasserkraft, Solar- und Windenergie und Biogas bleibt mittelfristig das oberste Ziel.» Die Kernenergie solle lediglich als ergänzende Option zur Verfügung stehen, um Versorgungslücken zu schliessen.

Grüne: Rösti macht AKW-Debatte wieder salonfähig

Versorgungslücken, die es gemäss Aline Trede nicht geben wird. Zumindest nicht, «wenn die erneuerbaren Energien so ausgebaut werden, wie es das Stromgesetz vorsieht», sagt die Fraktionspräsidentin der Grünen.

Trede stört sich daran, dass Bundesrat Rösti infrage stellt, dass die Energiewende in der Schweiz gelingen wird.

«Als Energieminister sollte Albert Rösti nicht Misstrauen streuen, sondern das deutliche Ja zum Stromgesetz stärken.»
Aline Trede, Fraktionspräsidentin der Grünen
Aline Trede, Nationalraetin GP-BE, Mitte, spricht waehrend einer Medienkonferenz der Gruenen Schweiz zur Anpassung an den Klimawandel, am Montag, 26. August 2024. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Aline Trede, Fraktionspräsidentin der Grünen, ist gegen neue AKW.Bild: keystone

Zu den Umfrageresultaten sagt die Grünen-Fraktionspräsidentin: «Es überrascht mich, dass die AKW-Debatte so schnell wieder salonfähig geworden ist». Die Ergebnisse zeigen, dass Röstis Kampagne funktioniere.

Der Energieminister möchte der Volksinitiative «Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)» mit einem indirekten Gegenvorschlag Rechnung tragen. Wie dieser formuliert sein soll, darüber liegen jedoch noch keine Informationen vor.

Auch darüber ärgert sich die Grünen-Chefin. «Ich habe es noch nie erlebt, dass man in einer solchen Situation kein konkretes Projekt vorgelegt bekommt. Es braucht gar keinen Gegenvorschlag, wir könnten einfach über die Blackout-Initiative abstimmen.»

Der indirekte Gegenvorschlag
Ein Gegenvorschlag ist eine Reaktion des Bundesrats oder des Parlaments auf eine Volksinitiative. Eine Volksinitiative will eine Änderung in der Verfassung vornehmen. Mit einem indirekten Gegenvorschlag kann das Parlament als Alternative eine Gesetzesänderung vorschlagen. Das Initiativkomitee kann sich dann entscheiden, ob es seine Initiative zurückziehen möchte.
Zieht es die Volksinitiative zurück, tritt das Gesetz in Kraft. Zieht es die Initiative nicht zurück, kann das Stimmvolk über die Annahme der Volksinitiative entscheiden. Wird die Volksinitiative angenommen, tritt die Volksinitiative in Kraft. Lehnt das Stimmvolk sie ab, tritt das vorgeschlagene Gesetz in Kraft. Vorausgesetzt, es wird kein Referendum dagegen ergriffen.
quelle: easyvote.ch

Mitte: Röstis Vorgehen ist «bedenklich»

Eine Meinung, die Gerhard Pfister teilt. Der Mitte-Präsident geht sogar einen Schritt weiter und bezeichnet Röstis Vorgehen als «staatspolitisch bedenklich». Pfister sagt:

«Der Plan von Bundesrat Rösti ist es, ein unpopuläres Anliegen wie diese Volksinitiative, die keine Chance hat, mit einem indirekten Gegenvorschlag doch noch umzusetzen.»
Gerhard Pfister, Mitte-Präsident

Dass der Nein-Anteil in der watson-Umfrage trotz des «Ja» zum Atomausstieg 2017 und zum Stromgesetz 2024 nur bei 51 Prozent liegt, hat gemäss Pfister einen Grund: «Die vertiefte Meinungsbildung und Auseinandersetzung mit der aktuellen AKW-Materie hat bei der Bevölkerung noch nicht stattgefunden. In der Umfrage ging es ja erst um Röstis Vorschlag.»

Nationalrat und Parteipraesident Gerhard Pfister, Mitte-ZG, spricht an einem Point de Presse ueber die Gesamterneuerungswahl des Bundesrates von Mitte Dezember, am Freitag, 24. November 2023, in Bern. ...
Mitte-Präsident Gerhard Pfister möchte an den erneuerbaren Energien festhalten.Bild: keystone

Wenn Aspekte wie Kosten, Finanzierung und Endlagerung von Atommüll zur Sprache kämen, werde der Nein-Anteil weiter steigen. Pfisters Fazit: «Sowohl die Volksinitiative als auch ein möglicher indirekter Gegenvorschlag sind bereits jetzt gescheitert. Ich bin mir sicher, dass ein Referendum zustande und durchkommen wird.»

Auch Grünen-Fraktionspräsidentin Aline Trede macht sich bei einem Referendum – das sie bereits angekündigt hat – keine Sorgen. Das Referendum zu ergreifen sei zwar mühsam, weil es den Ausbau der erneuerbaren Energien verzögere, «aber es wird sehr klar zugunsten der erneuerbaren Energien ausfallen».

FDP: Ausstieg ist immer «Dorn im Auge» gewesen

Dass Albert Röstis Bestrebungen im Bundesrat eine Mehrheit fanden, dürfte auf die Mithilfe der FDP zurückzuführen sein. Die Umfrageergebnisse zeigen, dass über 80 Prozent der FDP-Wählenden dafür sind, dass der Bau von neuen Atomkraftwerken wieder möglich sein soll.

Damit kehren die Freisinnigen von ihrem Entscheid von 2017 ab. Damals hat die FDP die Energiestrategie 2050 und damit den Atomausstieg unterstützt.

Darauf angesprochen, relativiert der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen. Die Delegiertenversammlung habe 2017 hauchdünn die Ja-Parole beschlossen, «diverse Kantonalsektionen und Parlamentarier, auch ich, sind davon abgewichen».

Christian Wasserfallen, FDP-BE, spricht im Nationalrat, waehrend der Fruehlingssession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 1. Maerz 2023, in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
FDP-Politiker Christian Wasserfallen ist ein Befürworter von Atomenergie.Bild: keystone

Der AKW-Ausstieg sei den Freisinnigen immer ein Dorn im Auge gewesen. Wasserfallen fügt an:

«Heute hätte die Energiestrategie 2050 bei den FDP-Delegierten keine Chance mehr.»
Christian Wasserfallen, FDP-Nationalrat

Sie habe eklatante Falschaussagen beinhaltet. Etwa, dass man unbeschränkt Strom aus dem Ausland importieren könne. «Da wurde das Volk hinters Licht geführt», so Wasserfallen.

Dass die Pläne des Bundesrats in der watson-Umfrage mit 48 Prozent nach einem Jahrzehnt des Schlechtredens von Kernkraftwerken fast eine Mehrheit erreichen, sei überraschend und gleichzeitig ein deutliches Zeichen dafür, dass die Bevölkerung das AKW-Neubauverbot aufheben wolle.

Angesprochen auf die finanziellen Aspekte eines Atomkraftwerkes, winkt Wasserfallen ab. Wenn man von Kosten spreche, sollte man mit einrechnen, welche Kosten bei einer Strommangellage entstehen würden:

«Dann wird das Argument, dass Kernkraftwerke teuer sind, gleich pulverisiert.»
Christian Wasserfallen, FDP-Nationalrat

Was die Installation und die rund drei- bis viermal längere Lebensdauer, den tieferen Bedarf an Netzausbau und die nicht notwendige saisonale Speicherung anbelange, habe Kernenergie – etwa im Vergleich mit Photovoltaik – eine deutlich bessere Kosten-Nutzen-Bilanz.

SVP: Röstis Vorgehen missachtet Volkswillen nicht

Auch der Solothurner SVP-Nationalrat Christian Imark vertritt die Meinung, dass das Stimmvolk die Energiestrategie 2050 aufgrund von falschen Annahmen angenommen hat. «Unter diesen Umständen wundert es mich nicht, dass nun ein Anliegen wie die Aufhebung des AKW-Neubauverbots mehrheitsfähig ist», so Imark zu den Ergebnissen der Umfrage. Und unterstreicht:

«Die Bevölkerung war der Kernenergie gegenüber in der Vergangenheit immer sehr positiv eingestellt.»
Christian Imark, SVP-Nationalrat
Christian Imark, SVP-SO, National und Staenderstakandidat erscheint im Wahlzentrum an den Eidgenoessischen Wahlen, am Sonntag, 22. Oktober 2023 in Solothurn. Die Schweizer Buergerinnen und Buerger wae ...
SVP-Nationalrat Christian Imark unterstützt das Vorhaben seines Bundesrates Albert Rösti.Bild: keystone

Als Energieminister Albert Rösti Mitte August seine Pläne bekannt gab, das 2017 beschlossene AKW-Verbot kippen zu wollen, war alsbald von einer Missachtung des Volkswillens die Rede. Diese Ansicht ist Imark – der das Stromgesetz unterstützt hat – zuwider. Röstis Vorgehen sei absolut richtig:

«Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, muss er als Energieminister alle vorhandenen Möglichkeiten, in Erwägung ziehen.»
Christian Imark, SVP-Nationalrat

Viele Optionen gebe es nicht. Kernkraft zum jetzigen Zeitpunkt auszuschliessen, wäre daher verantwortungslos. Imark glaubt ausserdem, dass Röstis Pläne den erneuerbaren Energien einen Push geben könnten. «Die Branche der erneuerbaren Energien hat jetzt die Möglichkeit, zu zeigen, dass sie ihre Ziele erreichen kann.»

Lisa Mazzone, Praesidentin Gruene Schweiz, Mitte-links, Nationalrat Nadine Masshardt, SP-BE, Mitte, Nationalrat Juerg Grossen, GLP-BE, Mitte-rechts, und die Befuerworter des Ja, jubeln nach den Hochre ...
Das Stromgesetz wurde im Juni 2024 mit 68,7 Prozent Ja-Stimmenanteil deutlich angenommen.Bild: keystone

FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen vertritt ebenso die Haltung, dass von Missachtung des Volkswillens keine Rede sein könne. Es sei völlig legitim, über ein politisches Vorhaben auch mehrmals abzustimmen. Wasserfallen sagt:

«Wenn man so argumentiert, wie die Linken, hätten wir heute noch kein Frauenstimmrecht.»
Christian Wasserfallen, FDP-Nationalrat

Er argumentiert, dass die Aufhebung des AKW-Neubauverbots und die Förderung von erneuerbaren Energien gleichzeitig möglich seien. «Wasserkraft, Photovoltaik und Kernenergie sind der Mix von heute und der Zukunft. Sie sind CO₂-frei und können in der Schweiz produziert werden. Dies macht uns unabhängig vom Ausland.»

Auch Grünen-Fraktionspräsidentin Aline Trede betrachtet den Volkswillen nicht als missachtet. Eine Volksinitiative – die Grundlage für Röstis indirekten Gegenvorschlag – dürfe immer eingereicht werden. Beides bringe aber nichts.

Trede ist sich sicher: «Selbst wenn das Stimmvolk das AKW-Neubauverbot aufheben würde, ein AKW wird in der Schweiz nie mehr gebaut. Weil es ohne Subventionen nicht rentiert.»

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275 Kommentare
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Händlmair
13.09.2024 11:57registriert Oktober 2017
Herr Wasserfallen, die grössten Abbaugebiete von Uran liegen in Kasachstan, Kanada, Australien, Niger, Namibia, Russland und Usbekistan!

Was genau meinen Sie mit „Dies macht uns unabhängig vom Ausland“?
Mit der Kernkraft machen wir uns im Gegenteil stark vom Ausland abhängig!
23612
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El_Chorche
13.09.2024 11:44registriert März 2021
"«Die Bevölkerung war der Kernenergie in der Vergangenheit immer sehr positiv eingestellt.»"

Wohnt der Typ in Leibstadt oder meint er mit "Bevölkerung" seine Kollegen von der Stromlobby?
20314
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goschi
13.09.2024 11:49registriert Januar 2014
Lieber Christian Wasserfallen

Wenn man SOFORT jede freie Dachfläche mit ungefährer Südausrichtung mit Solarpanels ausrüsten würde UND allen überschüssigen Strom des tages in Pumpspeicherwerke speichern würde, eventuell weitere Stauseen dazu umbauen, hätten wir instant keine "potentielle Strommangellage" mehr
Das dauert aber keine 25 jahre (wie AKW-bau sondern monate bis 3-5 Jahre und amortisiert sich in wenigen Jahren.

Aber es tut mir leid, dass ich einer FDP hier ratschläge zu betriebswirtschaftlich sinnvollem agieren gebe...
19921
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