Grüne und Umweltverbände mussten am Mittwoch zwei bittere Pillen schlucken. Der Bundesrat wies das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall der Klimaseniorinnen zurück. Die Schweiz erfülle die Anforderungen bereits. Parallel dazu kündigte Energieminister Albert Rösti eine Kehrtwende beim AKW-Bauverbot an.
Es war erst 2017 vom Stimmvolk beschlossen worden. Nun soll es schon wieder aus dem Gesetz gekippt werden. Die Reaktionen waren entsprechend heftig. Die Grünen drohen mit dem Referendum, und selbst Mitte-Präsident Gerhard Pfister verteidigte im «Tages-Anzeiger» den von Parteikollegin Doris Leuthard angestossenen Atomausstieg.
Rösti nannte vor den Medien mehrere Gründe, warum der Bundesrat den Bau neuer Atomkraftwerke ermöglichen will. So brauche die Schweiz viel mehr Strom, aufgrund der Dekarbonisierung und des Bevölkerungswachstums. Gleichzeitig hielt er den Ball flach: In der Vorlage sollen weder straffere Verfahren noch Subventionen enthalten sein.
Als cleverer Stratege weiss der Berner SVP-Bundesrat, dass er im Hinblick auf die praktisch sichere Volksabstimmung nicht zu weit gehen darf. Was aber ist vom Entscheid zu halten? Ohne ideologischen Scheuklappen kann man ihn durchaus begrüssen. Man sollte sich alle Optionen offenhalten, auch neue Entwicklungen bei der Kernenergie.
Gleichzeitig spricht so gut wie gar nichts für den Bau eines neuen Atomkraftwerks. Die Schweizer Stromkonzerne betonten am Mittwoch unisono, dass sie keine entsprechenden Pläne hätten. Neue Reaktoren der heutigen Generation entstünden nur dort, wo der Staat direkt selber baue oder wo die Anlagen «in hohem Mass» staatlich gefördert würden.
Selbst bürgerliche Politiker sehen ein, dass es ohne Subventionen nicht geht. Sie schielen gemäss der «NZZ am Sonntag» auf den milliardenschweren Fördertopf für erneuerbare Energien. Das wäre im Minimum ein Verstoss gegen Treu und Glauben. Doch selbst wenn man diese Quelle anzapfen würde, wäre der Weg zu einem neuen AKW sehr weit.
Ausgerechnet die atomfreundliche NZZ, die den Entscheid des Bundesrats vom Mittwoch ausdrücklich begrüsst, verweist auf die «gigantischen» Hürden. Es brauche voraussichtlich drei Volksabstimmungen und mehrere Bewilligungsverfahren, bis hierzulande ein neues Kernkraftwerkprojekt lanciert werde: «Ein Baustart vor 2040 ist unwahrscheinlich.»
Das widerspricht den Einschätzungen der Atomlobby. Der lange Zeithorizont ist ein wesentlicher Grund, warum die Strombranche von «Atomkraft? Ja gerne» wenig hält. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Die meisten weltweit im Einsatz befindlichen Reaktoren sind alt. Eine erneute Katastrophe wie in Tschernobyl und Fukushima ist nicht auszuschliessen.
Damit könnte ein Neubauprojekt in der Schweiz zu einer teuren Investitionsruine werden. Denn die Baukosten werden auf zehn Milliarden Franken geschätzt. Und die Subventionen sind nicht das einzige Problem. Es ist fraglich, ob ein Kernkraftwerk rentabel betrieben werden könnte, wegen des massiven Ausbaus von Solar- und Windstrom in Europa.
Er führt in den Sommermonaten zu einem Überschuss, der den Marktpreis in den negativen Bereich drückt. «Die Betreiber von Atomkraftwerken müssen für das Einspeisen des produzierten Stroms dann Geld bezahlen, weil sie nicht spontan ihren Betrieb runterfahren können», schreibt die NZZ. Es ist der Nachteil der viel gerühmten Bandenergie.
Es würden «Kosten verursacht für Strom, den niemand braucht», sagte Christian Schaffner, Direktor des Energy Science Center (ESC) der ETH Zürich, dem «Blick». Und ein AKW nur für den Winterbetrieb wäre noch fragwürdiger. Eine solche Anlage ist im Unterhalt sehr aufwendig und teuer, die Rentabilitätsfrage würde sich erst recht stellen.
Man kann auf neue Technologien hoffen, etwa Flüssigsalzreaktoren oder Small Modular Reactors (SMR). Noch aber ist offen, wie und wann sie einsatzbereit sein werden. Und auch in diesem Fall stellt sich die Kostenfrage und ob sie rentabel betrieben werden können. Auf sie zu setzen, wäre eine ziemlich gewagte Wette mit höchst unsicheren Gewinnchancen.
Die AKW-Debatte erinnert deshalb an eine Nebelpetarde. Selbst für die NZZ wäre es am besten, «wenn der Bau von neuen Reaktoren gar nicht nötig würde, weil die im Stromgesetz verankerten Ausbauziele erreicht werden». Also mit möglichst wenig Widerstand von Umwelt- und Landschaftsschützern gegen neue Solar-, Wasser- und Windanlagen.
Das löst nicht das Problem einer drohenden «Stromlücke» im Winter. Doch die Schweiz ist mit der Wasserkraft gut aufgestellt, und es gibt Fortschritte bei den Speichertechnologien. So präsentierte die ETH Zürich am Mittwoch ein Projekt, bei dem mit überschüssigem Solarstrom Wasserstoff erzeugt und in Eisen gespeichert wird.
Das wirkt abenteuerlich, doch schon 2026 soll es im Winter ein Fünftel des Strombedarfs auf dem Zürcher Campus Hönggerberg decken. 2026 wohlgemerkt, nicht 2040 oder irgendwann. In solche Projekte müssen Zeit, Geld und Energie investiert werden. Und nicht in abstruse AKW-Fantasien, die sich als gewaltige Fehlinvestition erweisen würden.
Mittlerweile sage ich: Kippt das Moratorium, wenn ihr wollt. Denn wie geschrieben, sind wir zum Glück soweit, dass der Markt entscheidet.
AKW werden nur noch dort gebaut, wo Staaten massiv subventionieren. Private Investoren finden sich keine mehr, wie im Artikel dargestellt.
Interessant ist einfach, dass FDP und SVP überall dort gegen staatliche Interventionen sind, wo es ihrer Klientel nichts nützt. Staatliche Subventionen von AKW (und Bauern) stehen nie zur Diskussion.
Aber dann würden halt ein paar Krösusse nicht unglaublich Geld scheffeln können.
Die Atomenergie muss nur korrekt versichert und nicht mehr Subventionen als die erneuerbaren erhalten.
Problem gelöst.