Ausgerechnet die Solaranlage auf dem Dach könnte für viele Mieterinnen und Mieter indirekt zum Problem werden und dazu führen, dass sie plötzlich viel mehr bezahlen müssen für den Strom. Denn ein Teil von ihnen ist deswegen vom Preis im offenen Strommarkt abhängig.
Betroffen sind Mieterinnen und Mieter, die in einem «Zusammenschluss zum Eigenverbrauch» (ZEV) wohnen. Darunter werden Überbauungen verstanden, die einen Teil des benötigten Stroms selbst produzieren und nutzen. Meist wird dieser mit Solaranlagen erzeugt, seltener mit Blockheizkraftwerken oder Bioenergieanlagen.
Das Problem dabei: Während Private ihren Stromanbieter nicht selbst wählen dürfen, sondern in der Grundversorgung ihres lokalen Versorgers sind, trifft das für ZEV nicht zu. Wenn ein Zusammenschluss auf einen Verbrauch von 100 Megawattstunden pro Jahr kommt, was etwa 30 Wohnungen entspricht, darf der Betreiber den nicht selbst produzierten Strom, den sogenannten Reststrom, auch am offenen Markt einkaufen. Dieser macht meist den deutlich grösseren Teil des Verbrauchs aus.
In den vergangenen Jahren lohnte sich der Gang in den Markt teilweise. Doch zuletzt sind die Preise dort geradezu explodiert. Wer am Dienstag für das nächste Jahr Strom einkaufte, musste fast 600 Franken pro Megawattstunde hinblättern - über 10 mal so viel wie Anfang Jahr. Zum Vergleich: Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) verrechnet Privatkunden für die Energielieferung im günstigsten Produkt derzeit 90 Franken pro Megawattstunde im Hochtarif und 43 Franken im Niedertarif.
Die Preissteigerung im offenen Markt können ZEV-Betreiber an ihre Mieter weitergeben – was zu Mehrkosten von mehreren Hundert Franken pro Jahr führen kann. Das gilt allerdings nicht für alle: Wenn die Verantwortlichen sich nie für den Markt entschieden, sondern den Reststrom für den ZEV in der Grundversorgung beschafften, gelten auch deren Tarife.
Das Instrument des ZEV gibt es seit 2018. Es sollte die erneuerbaren Energien fördern: Für den Strom, der lokal produziert wird, müssen keine Netzgebühren oder Abgaben bezahlt werden. Die Mieterschaft profitiert davon, dass dieser Strom maximal so teuer verrechnet werden darf wie das Grundangebot des lokalen Versorgers.
Insbesondere bei neuen Überbauungen wird vermehrt auf dieses Mittel zurückgegriffen. Alleine 2019 wurden laut dem Portal Eturnity 400 Zusammenschlüsse gebaut, seither dürfte der Trend deutlich an Fahrt aufgenommen haben. Tausende Mietwohnungen hängen mittlerweile an einem ZEV.
Für Mieterinnen und Mieter in einem solchen heisst es nun: Wenn ihr Vermieter nichts vom Markt wissen wollte, haben sie Glück – besonders, wenn sie in Gebieten von Versorgern wie dem EWZ, der BKW oder des Elektrizitätswerk Nidwalden wohnen, die einen grossen Anteil des Stroms selbst produzieren und ihre Preise stabil halten. Wenn sich die Vermieter aber für den Markt entschieden haben, droht spätestens im Jahr 2024 ein Preisschock.
Wird der Reststrom für ein ZEV auch nur einmal im Markt eingekauft, gibt es kein Zurück. «Wenn ein ZEV die Kriterien für einen Marktzugang erfüllt und sich dazu entscheidet, gilt ?einmal Markt, immer Markt?», sagt EWZ-Sprecher Florian Flämig. «Es besteht keine Möglichkeit, zwischen Grundversorgung und Markt hin und her zu wechseln.»
In den letzten Jahren hätten marktberechtigte Kunden von sehr tiefen Strompreisen profitiert. Da sich die Marktstrompreise jetzt in eine andere Richtung bewegten, könnten gemäss der Energieversorgung die Mehrkosten den Mietern weiterverrechnet werden.
Kein Problem darin sieht die Vermieterin Livit. Bezüglich Mitbestimmung unterscheide sich ein ZEV nicht von anderen Liegenschaften. Schliesslich könnten Mieter ihren Stromanbieter nicht wählen, sagt Sprecherin Barbara Buchegger. Für steigende Energiepreise empfehle man, die Situation zu beobachten und wenn möglich Reserven zu bilden.
Bei Publica, der Pensionskasse des Bundes, hat die Problematik hingegen weitreichende Folgen. «Sie ist einer der Gründe, weshalb die Publica den ZEV nicht forciert hat», sagt Sprecherin Karin Egger. Der Strom in den Liegenschaften stamme ausschliesslich aus der Grundversorgung.
Die Mobimo verwaltet hingegen einige ZEV - etwa die Seehallen in Horgen und den Mattenhof in Kriens. Ein weiterer ist in Aarau geplant. Die Problematik sei Mobimo bewusst und man habe dementsprechend gehandelt, sagt Sprecher Edwin van der Geest. «Der Strom wird in der Grundversorgung beschafft. Das war ein konservativer, bewusster Entscheid.»
Standardmässig mit einem ZEV ausgerüstet werden neue Liegenschaften der Zürcher Pensionskasse BVK. Auch bei Sanierungen werden immer Solaranlagen eingeplant, sagt Sprecher Christian Brütsch. Derzeit verwalte die BVK sieben Zusammenschlüsse, weitere sollen folgen. Grundsätzlich blieben die Liegenschaften in der Grundversorgung, sagt er. Bei «wenigen» seien Verträge im freien Markt abgeschlossen worden. Aussagen zu drohenden Preiserhöhungen sind laut Brütsch noch nicht möglich.
Auf die Bremse tritt nun die Wincasa, die 30 ZEV verwaltet und weitere plant. «Die Problematik ist uns durchaus bewusst», sagt Sprecher Janos Kick. «Aufgrund der aktuellen Marktlage, aber auch generell wird Stand heute bei neuen ZEV-Liegenschaften kein Zugang zum freien Markt beantragt.» Wie viele bereits den Strom von dort beziehen, sagt Kick nicht: Es seien «wenige Einzelfälle».
Zu den Firmen, die für Vermieter ZEV verwalten und Strom beschaffen, gehört Swenex. Für das nächste Jahr gibt Roland Odermatt, der Leiter Vertrieb, noch Entwarnung. «Für jene ZEV, für welche wir den Strom einkaufen, rechne ich mit Preissteigerungen von 10 bis 20 Prozent. Das ist sehr wenig im Vergleich zum Markt, der um mehr als 1'000 Prozent gestiegen ist».
Die vergleichsweise moderate Teuerung begründet er mit der klaren Beschaffungsstrategie. «Wir arbeiten mit Limiten, vergleichbar mit Stop-Loss-Aufträgen an der Börse.» Weil diese schon im Januar überschritten worden seien, habe Swenex dann die letzten Teilbeschaffungen für das ganze nächste Jahr gekauft. Der Preis betrug damals etwa 160 Franken pro Megawattstunde. «Das schien mir sehr hoch. Aber wenn man mit solchen Limiten arbeitet, zählt das Bauchgefühl nicht».
Nicht alle ZEV, die Swenex verwaltet, setzen auf den freien Markt. «Wir haben dort den Eintritt beschlossen, wo sich Kostenvorteile erzielen liessen», sagt Odermatt. Wenn der Strom zwei bis drei Rappen pro Kilowattstunde oder mehr unter dem Grundversorgungs-Tarif eingekauft werden habe können, sei in der Regel der Wechsel erfolgt. «Zurzeit raten wir aber niemandem, der in der Grundversorgung ist, in den freien Markt zu wechseln.»
Bleiben die Preise im Markt so hoch, drohen vielen ZEV-Bewohnern 2024 grössere Preissteigerungen. Dass Mieterinnen und Mieter in einem ZEV in Einzelfällen deutlich mehr bezahlen werden müssen, sei möglich, sagt Stefan Aeschi, Experte für Bau- und Energietechnik beim Hauseigentümerverband. Es seien aber nur wenige betroffen. Zudem hätten diese Mieter in den vergangenen Jahren vom tieferen Strompreis über den Markt profitiert. Daraus abzuleiten, dass Vermieter den Strom in der Grundversorgung beschaffen sollen, könne man nicht. «Eine solche Empfehlung gibt es von unserer Seite her nicht».
Der Mieterverband sieht hingegen Handlungsbedarf. Es müsse geprüft werden, ob ein Wechsel in den Markt für ZEV unterbunden werden könne, sagt Vizepräsident und Grünen-Nationalrat Michael Töngi. «Das wäre gerechtfertigt, weil es sich um einen Zwangskonsum handelt, da die Mietenden nicht frei entscheiden, ob sie dem ZEV angehören wollen».
Sie können zwar den Beitritt zu einem ZEV ablehnen, wenn dieser in einer bestehenden Überbauung neu realisiert wird. Ist er allerdings schon in Betrieb, wenn sie einziehen oder handelt es sich um eine Erstvermietung, haben sie diese Wahl nicht.
«Es war damals bekannt, dass grosse Eigenverbrauchsgemeinschaften in den Strommarkt wechseln können», sagt Töngi. «Nur hat niemand die momentane Entwicklung als Gefahr antizipiert.» Einen schwachen Trost hält Töngi bereit: Immerhin seien auch die Einnahmen aus der Einspeisung des Solarstroms, den ein ZEV nicht selbst braucht, mehr oder weniger stark gestiegen, womit zumindest der Strompreis aus dem Eigenverbrauch sinken dürfe. (aargauerzeitung.ch)
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Der Artikel sollte die versch. Arten von ZEV klarer differenzieren!