Wie kommt die Schweiz möglichst schnell wieder zu geregelten Beziehungen mit der EU? Das ist die zentrale Frage, die das pro-europäische Lager umtreibt.
Immer klarer wird: Seit der Bundesrat die Verhandlungen zum Rahmenabkommen abgebrochen hat, erodieren die Bilateralen. Die Sondierungsgespräche der Regierung mit der EU-Kommission kommen nicht vom Fleck – und der Bundesrat wirkt planlos.
Drei politische Gruppierungen machen nun Druck auf die Regierung – mit zwei Rezepten. Da sind erstens Operation Libero und Grüne. Sie gehen den Weg über die Volksrechte und präsentieren am Dienstag im Berner Medienzentrum den Text ihrer Europainitiative. Sie will das Thema Europa in der Bundesverfassung verankern.
«Das Ziel der Initiative ist: Wir wollen eine institutionelle Lösung», sagt Sanija Ameti, Co-Präsidentin von Operation Libero. «Damit sollen alte Abkommen aufdatiert und neue Abkommen abgeschlossen werden können.»
Zweitens schaltet sich neu die Europäische Bewegung Schweiz (früher Nebs) in die Diskussion ein. Sie wählt den parlamentarischen Weg. Sie hat über einen Bundesbeschluss – ein Beschluss der Bundesversammlung ohne rechtssetzende Wirkung – einen eigenen Lösungsansatz erarbeitet. Und zwar will sie den Bundesrat dazu bringen, «die EU umgehend um die Aufnahme von Verhandlungen zu ersuchen», wie Präsident Eric Nussbaumer sagt, der auch SP-Nationalrat ist.
Der Entwurf des Bundesbeschlusses liegt CH Media vor. Er umfasst drei Artikel. Der erste bekräftigt das Legislaturziel des Bundesrats vom 21. September 2020: «Die Schweiz verfügt über geregelte Beziehungen mit der EU.» Artikel zwei formuliert das Bestreben der Schweiz zu Assoziierungsabkommen für die sektorielle Teilnahme am EU-Binnenmarkt. Und hält fest, dass die Schweiz die institutionellen Fragen mit der EU regelt.
Artikel drei besagt: «Der Bundesrat ersucht die Europäische Union umgehend um einen Verhandlungsbeginn.» Zudem betont er, dass die Assoziierung der Schweiz als Drittland bei den EU-Programmen Horizon Europe, Erasmus+ und Digital Europe prioritär anzustreben sei.
«Es muss jetzt endlich klar werden, was die Schweiz europapolitisch will. Der Bundesrat braucht einen klaren Auftrag der Bundesversammlung», sagt Präsident Nussbaumer. «Mit dem Bundesbeschluss können wir ihn in weniger als einem Jahr erteilen. Es braucht dafür keinen Umweg über eine Volksinitiative, der Jahre dauern würde.»
Klar ist: Die Europainitiative von Operation Libero und Grünen käme frühestens in fünf Jahren zur Abstimmung. Die Sammelfrist beträgt 18 Monate. Der Bundesrat muss dann die Initiative innerhalb von einem Jahr beraten, das Parlament innerhalb von zweieinhalb Jahren.
Die Europäische Bewegung Schweiz stützt sich bei ihrem Vorgehen auf einen Beschluss der Aussenpolitischen Kommission (APK) des Nationalrats von Dienstag. Die APK fordert den Bundesrat in einer Kommissionsmotion auf, mit der Publikation des Europaberichts auch den Entwurf eines Bundesbeschlusses zu verabschieden.
Der Europabericht ist überfällig. Er soll Antworten geben auf politische Vorstösse zum Verhältnis mit der EU. Den Entwurf eines Bundesbeschlusses könnte das Parlament nach eigenem Gutdünken umgestalten.
Das Parlament will erzwingen, dass es formell Stellung nehmen kann zu den nächsten Schritten in der Europapolitik. Das war ihm seit dem Abbruch des Rahmenabkommens nicht mehr möglich. Entsprechend schlecht ist die Stimmung. Die beiden Kommissionen haben den Eindruck, sie würden vom Bundesrat mit Informationen auf dem Niveau von Medienmitteilungen abgespiesen.
Für Sanija Ameti, Co-Präsidentin von Operation Libero, ist klar: «Wir begrüssen jeden Vorstoss des Parlaments, der eine verbindliche Lösung der institutionellen Frage mit sich bringt.» Beim Bundesbeschluss stelle sich allerdings die Frage, wie «griffig» er sei. «Der Gradmesser dafür ist unser Initiativtext.»
Ameti setzt vor allem auf das Europagesetz, das die APK des Nationalrats in einer parlamentarischen Initiative verlangt. Darin sollen «die institutionellen Regeln für die Weiterführung und Erleichterung der Beziehungen mit der EU» geklärt werden. Der Nationalrat stimmte dem Gesetz mit 127:58 Stimmen zu - bei sieben Enthaltungen. Im Moment liegt die parlamentarische Initiative bei der APK des Ständerats.
«Das Warten auf Godot hat kein Ende», kritisiert Sanija Ameti. Natürlich sei schon klar, weshalb die Regierung keinen Schritt tun wolle. «Bundesrat und Regierungsparteien stehen vor einer Zerreissprobe, sobald sie Stellung nehmen müssen zu einer verbindlichen institutionellen Lösung.»
Formal lancieren Operation Libero und Grüne die Europainitiative vermutlich erst gegen Ende Jahr. Dennoch machen sie den Text schon am Dienstag publik. «Er soll als Leitfaden dafür dienen, was ein Europagesetz leisten muss», sagt Ameti. «Lehnt das Parlament das Europagesetz ab, machen wir mit unserer Initiative den nächsten Schritt vorwärts.» (aargauerzeitung.ch)
Bundesrat und Regierungsparteien stehen vor einer Zerreissprobe sobald sie Stellung beziehen müssen.
Wenn wir auf Godot warten, oder die Wahlen 2023, läuft einfach der letzte Rest der Regelungen auch noch aus.