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Schweizer Nachrichtendienst warnt vor Wahl Donald Trumps

Christian Dussey, Direktor Nachrichtendienst des Bundes NDB, erklaert vor den Medien den Lagebericht Sicherheit Schweiz 2023 des NDB, am Montag, 26. Juni 2023 in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle ...
NDB-Chef Christian Dussey.Bild: keystone

Schweizer Nachrichtendienst warnt vor Wahl Donald Trumps – ohne ihn beim Namen zu nennen

Der Nachrichtendienst hat seinen Lagebericht zur Sicherheit der Schweiz publiziert. Er sagt, die terroristische Bedrohung der Schweiz habe sich noch akzentuiert und er beschreibt, wie russische und chinesische Spione in der Schweiz arbeiten - und weshalb Russland im Krieg gegen die Ukraine die besseren Karten hat.
22.10.2024, 14:1022.10.2024, 14:22
Doris Kleck, Stefan Bühler / ch media
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Einmal pro Jahr präsentiert der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) seinen Lagebericht zur Sicherheit inder Schweiz. Wir präsentieren die wichtigsten Erkenntnisse

Das globale Umfeld und die Achse des Bösen

China, Russland, Nordkorea und Iran: Diese Achse eurasischer Autokraten spielt in verschiedenen Kapiteln eine Schlüsselrolle im Lagebericht. Diese Länder würden vermehrt auch militärisch kooperieren, den Einfluss der USA zurückdrängen sowie freiheitlich-demokratische Ordnungsvorstellungen bekämpfen.

Verschiedene wichtige Regionalmächte wie Indien oder die Türkei wollen allerdings weder von den USA noch von China abhängig sein. Die sich abzeichnende globale Weltordnung sei noch fluide. Doch der NDB geht von einem wachsenden politischen und wirtschaftlichem Druck auf die Schweiz aus. «Es dürfte vermehrt gefordert werden, dass die Schweiz Solidaritätsbeiträge leistet und sich politische positioniert.» Sprich: Die Neutralitätspolitik gerät unter Druck.

Der NDB nennt fünf Konflikte, welche den Westen besonders herausfordern – und denen die vier genannten Autokratien eine Schlüsselrolle spielen. Im Zentrum der Analyse steht der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Der NDB zeichnet ein wenig optimistisches Bild: «Die Zeit spielt gegenwärtig für Russland», hält der NDB fest. Russland verfüge über grössere personelle und auch materielle Vorteile.

epa11672895 Russia's President Vladimir Putin attends a meeting with United Arab Emirates' president at the Kremlin in Moscow, Russia, 21 October 2024. EPA/EVGENIA NOVOZHENINA / POOL
Der Nachrichtendienst sagt, die Zeit laufe für Wladimir Putin.Bild: keystone

Letzteres wegen der Ankurbelung der heimischen Waffen- und Munitionsproduktion sowie der Lieferungen aus Nordkorea und dem Iran. Die Ukraine wiederum habe sowohl bei der Rekrutierung von Soldaten wie auch beim Waffennachschubprobleme. Sie bleibt abhängig von westlicher Hilfe – allen voran aus den USA. Doch dort wiederum droht die Wahl von Donald Trump und damit eine Richtungswechsel in der Aussenpolitik. Zudem rechne Russland mit einer zunehmenden Kriegsmüdigkeit in Europa. Er schreibt auch, Russland habe den Konflikt mit dem Westen langfristig angelegt – und setze darauf, dass sein Anspruch auf eine exklusive Einflusssphäre anerkannt wird.

Was die Wahl von Donald Trump bedeuten würde

Der Bericht nennt weder die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris noch den republikanischen Kontrahenten Donald Trump beim Namen. Doch der NDB macht deutlich, dass am 5. November in den USA eine Richtungswahl ansteht für die künftige Rolle der USA in der Welt – mit ernsthaften Konsequenzen für die Sicherheitslage in Europa.

«Eine isolationistische Aussen- und Sicherheitspolitik und die Reduktion des amerikanischen Verteidigungsengagements in Europa oder auch nur eine unklare Haltung zur Bündnisverpflichtung der Nato hätten äusserst wahrscheinlich negative Folgen für das sicherheitspolitische Umfeld der Schweiz», schreibt der NDB. Oder um es direkter zu formulieren: Die Wahl von Donald Trump würde die Sicherheitslage der Schweiz verschlechtern.

Republican presidential nominee former President Donald Trump speaks at a campaign rally in Concord, N.C., Monday, Oct. 21, 2024. (AP Photo/Nell Redmond)
Donald Trump
Donald Trumps Verhältnis zur Nato ist angespannt.Bild: keystone

Würden die USA ihre Hilfe für die Ukraine drastisch kürzen und die Nato schwächen, wäre das russische Militär wahrscheinlich in einigen Jahren stark genug für einen militärischen Angriff in der selbstdeklarierten Einflusszone an der Nato Ostflanke, schreibt der NDB. Und weiter: Sollten die USA ihre Militärpräsenz in Europa verringern, hätte dies auf jeden Fall gravierende negative Konsequenzen für das Abschreckungspotenzial der Nato gegenüber Russland.

Angriffe auf kritische Infrastrukturen in der Schweiz?

Die Bedrohungslage sei diesbezüglich stabil. Gegen die Schweiz gerichtete, direkte Cyberangriffe staatlicher Akteure auf Betreiber kritischer Infrastrukturen bleibe «äusserst unwahrscheinlich». Hingegen könnten physische Angriffe auf kritische Infrastrukturen auch Auswirkungen auf die Schweiz haben. Die konkretste Bedrohung im Cyberbereich seien kriminelle und oft rein finanziell motivierte Akteure, heisst es im Bericht. Diese suchten eine gute Gelegenheit und nähmen dabei keine Rücksicht auf mögliche Konsequenzen bei einem Ausfall kritischer Infrastrukturen oder der Veröffentlichung sensitiver, sicherheitsrelevanter Daten. Das habe sich etwa beim Ransomewareangriff auf den IT-Dienstleister Xplain gezeigt, der auch für Schweizer Sicherheitsbehörden tätig war.

Der NDB erwartet eine «Konsolidierung und Fähigkeitsentwicklung bei kriminellen Akteuren». Etwa mit dem Modell «Ransome-as-a-Service»: Dabei bieten verschiedene Gruppen ihre Schadsoftware gegen Bezahlung Dritten an, inklusive Plattformen für die Veröffentlich entwendeter Daten sowie Bezahlinfrastrukturen für die Erpressung der Opfer. Vor diesem Hintergrund bleibt das Risiko, dass kritische Infrastrukturen in der Schweiz indirekt Opfer eines Angriffs werden, laut NDB «erhöht».

Weitere Angriffe auf kritische Infrastrukturen führt der NDB auf «hacktivistische Aktionen» zurück. So habe ein Hacker-Gruppe, die sich selber als prorussische bezeichnet, während der Ukraine-Konferenz auf Bürgenstock mehrere sogenannte DDoS-Angriffe gegen Schweizer Unternehmen und Behörden lanciert. Der Schaden solcher Angriffe sei gering, sorge aber für Aufsehen in der Öffentlichkeit. Solange die Kriege in der Ukraine und Nahost fortdauerten, werde es auch solche Angriffe geben, schreibt der NDB.

In dem Kapitel beschreibt er einen konkreten Angriff der Iran-nahen Gruppe Cyber Av3engers. Diese griff über eine Schwachstelle weltweit Industriekontrollsysteme an. «Die Schwachstelle fand sich in Steuergeräten, die unter anderem in Wasserwerken, Fabriken oder Brauereien eingesetzt werden.» Die Steuergeräte seien von einem israelischen Unternehmen hergestellt worden, deshalb habe die Gruppe sie als legitimes Ziel erachtet – egal, wo die Geräte installiert sind.

Ausländische Beeinflussungsaktivitäten und Spionage

Beeinflussungsaktivitäten anderer Staaten sind dann sicherheitspolitisch relevant, wenn sie darauf abzielen, die demokratische Ordnung eines Staates zu unterminieren. Die relevanteste Bedrohung diesbezüglich geht von China und Russland aus. Der NDB stellt eine Zunahme von russischer Desinformation und Propaganda fest. Sehr konkret zeigte sich dies etwa im Vorfeld des Besuch des ukrainischen Präsidenten Selenski in der Schweiz im Januar 2024.

In der Schweiz befinden sich zahlreiche lohnende Spionageziele, wie internationale Organisationen, führende Forschungsinstitutionen und Unternehmen, die Nachrichtendienste aus aller Welt anlocken. «Die Spionagebedrohung bleibt hoch», schreibt der NDB. Zahlreiche Nachrichtendienste würden in ihren diplomatischen Vertretungen getarnte Stützpunkte unterhalten. Es gebe aber auch Hinweise darauf, dass vor allem grössere Dienste in der Schweiz auch Tarnfirmen unterhielten.

Die Schweiz sei häufig nur Schauplatz aber nicht das Ziel von Spionagetätigkeiten. Allerdings würden Russische und Chinesische Dienste ihre Aktivitäten auch gegen die Schweiz richten.

Die grösste Spionagebedrohung gehe von mehreren russische Nachrichtendiensten aus. Nebst der klassischen Spionage umfassen die Aktivitäten auch Propaganda, verdeckte Einflussnahme und die Beschaffung sanktionierte Güter. Die russischen Nachrichtendienste betreiben seit Jahren grosse Informatikstrukturen in der Schweiz. «Die russische Bedrohung durch Spionage und Angriffe im Cyberraum nimmt hier sehr wahrscheinlich zu», schreibt der NDB.

Hacker mit Laptop (Symbolbild)
Cyberangriffe durch Russland dürften zunehmen.Bild: imago-images.de

In Bezug auf China schreibt der NDB, die Bedrohung sei ebenfalls hoch. Die Nachrichtendienste würden nicht nur politische, militärische, wissenschaftliche und technologische Informationen beschaffen sondern auch die hiesige Diaspora überwachen und beeinflussen. Das Repertoire umfasst auch Einschüchterungen, um oppositionelle Aktivitäten zu verhindern.

Anders als Russland setzt China weniger auf nachrichtendienstliche Stützpunkte in den diplomatischen Vertretungen sondern tarnt seine Spione als Geschäftsleute, Touristen oder Journalisten. Stark ist China auch im Cyberbereich. Der NDB geht davon aus, dass China aus der Schweiz heraus IT-Infrastrukturen für Cyberoperationen benützt. Der NDB sieht die Abhängigkeit der Schweiz von chinesischer Informationstechnologie kritisch und warnt, dass dank einem erleichterten Visumregime oder Forschungsaustausch die chinesischen Spione leichter in die Schweiz einreisen können.

Der NDB stellt für die Schweiz drei Entwicklungen fest, welche die Spionagetätigkeiten beeinflussen. Er geht davon aus, dass die Beschaffung von neuen und modernen Rüstungsgüter für zahlreiche Akteure von hohem Interesse seien und die Aufklärungsversuche zunehmen würden. Dann führe die Digitalisierung zu weiteren Zunahme technischer Aufklärungsmöglichkeiten. Diese Bedrohung werden unterstützt und werde auch noch begünstigt durch die Auslagerung von Dienstleistungen und den Drucken, Daten in der Cloud zu speichern. Zudem sei es wahrscheinlich, dass sich die Fronten zwischen den Gross- und Regionalmächten weiter verschärfen und die Nachrichtendienste in der Schweiz deshalb noch offensiver und aggressiver auftreten und sich teilweise auch gegenseitig bekämpfen werden.

Proliferation

Obschon die russische Rüstungsindustrie fast rund um die Uhr produziert, ist das Land auf Material und Ersatzteile aus dem Westen angewiesen. Trotz der umfangreichen Sanktionen gelingt Russland die Beschaffung von Dual-use-Gütern zur Herstellung von Präzisionswaffen und Waffensystemen sowie von Verbrauchs- und Wartungsmaterial nachwievor.

Russland nutzt davor Privatfirmen in Drittstaaten wie Türkei, Serbien, Indien, die zentralasiatischen Staaten sowie China. Für die Schweizer Exportkontrolle stelle dies eine grosse Herausforderung dar, schreibt der NDB. Dies gelte nicht nur für bewilligungsfreie Güter, sondern auch für bewilligungspflichtige Dual-use-Güte. Falsch deklarierte Endempfänger in Drittstaaten seien schwierig zu erkennen. Es stelle sich die Frage nach neuen Exportkontrollmechanismen.

Terrorbedrohung

Die Terrorbedrohung bleibt in der Schweiz erhöht und habe sich 2024 gar noch akzentuiert – wegen dem Hamas Angriff auf Israel, schreibt der NDB. Al-Quaida und der IS riefen dazu auf, jüdische und israelische Ziele weltweit anzugreifen. Die beiden Organisationen seien derzeit nicht fähig, selber Anschläge in Europa durchzuführen. Sie setzen dafür auf die Eigeninitiative dschihadistisch inspirierter Personen angewiesen.

Der IS lancierte dafür im Januar 2024 eine Propagandakampagne und rief zu Anschlägen mit allen verfügbaren Mitteln auf. Synagogen und Kirchen wurden als symbolkräftigste Anschlagsziele dargestellt. «Diese ungewohnt konkreten Anweisungen zur Verübung von Terroranschlägen haben ein hohes Potenzial, radikalisierte Personen in Europa zu Gewalttaten zu inspirieren», schreibt der NDB. Als Täter kämen in der Schweiz in erster Linie radikalisierte Jugendliche in Frage. In dieses Schema passt der Angriff eines Jugendlichen auf einen orthodoxen Juden in Zürich am 2. März 2024.

Bei der Rekrutierung von Einzeltätern hilft die starke Verbreitung dschihadistischer Propaganda im Cyberraum. Das begünstige Radikalisierungsprozesse und spiele als Inspirationsquelle für Gewalt eine wichtige Rolle. Auch in der Schweiz verbreiten Sympathisanten ihre Unterstützung über die sozialen Medien und verbreiten dschihadistische Ideen. Zudem fallen sie auch mit logistischer und finanzieller Unterstützung auf.

Schon mehrfach hat der NDB gesagt, dass sich zunehmend Minderjährige radikalisieren. Dabei spiele die Faszination für Gewalt in der Regel eine grössere Rolle als die Ideologie. Die Online-Predige würden gezielt junge Menschen ansprechen, die auf Sinnsuche sind und Antworten auf Religions- oder auch Alltagsfragen erwarten. Sie würden eine niederschwelligen Einstig in extremistische Denkweisen bieten, weil sie ihre Angebote inhaltlich aber auch in der Aufmachung auf Jugendliche ausrichten. Der NDB schreibt von mehreren Minderjährigen, die sich in der Schweiz online radikalisiert haben. Für die Behörden sei es aber schwierig einzuschätzen, ob von einem Minderjährigen wirklich eine Bedrohung ausgehe: «Wegen der jugendlichen Identitätssuche kann die Ernsthaftigkeit von Aussagen oft nicht bewertet werden», schreibt der NDB.

Auf einem erhöhten Niveau stabil sei die Bedrohung, die von Rechts- und Linksextremen ausgehe. Eine zunehmende Radikalisierung von Minderjährigen stellt der NDB für den gewalttätigen Rechtsextremismus. Er erwähnt explizit die akzelerationistische Szene. In ihren Augen sind westliche Regierungen tief korrupt und vor allem würden sie gegen die Interessen der «weissen Rasse» handeln.

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49 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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TommyGun
22.10.2024 14:24registriert Oktober 2020
Es ist schön das der NDB die derzeitigen Bedrohungen und Herausforderungen so klar und detailliert benennt. Allerdings habe ich in keinster Weise das Gefühl, dass die Politik sich darauf einstellt oder gar vorbereitet.
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PetermitSchlüssel
22.10.2024 14:30registriert Juni 2020
Mir ist nicht klar, warum diese russischen Spione hier in der Schweiz leichtes Spiel. Diese Bande müsste schleunigst und unzimperlich ausgewiesen werden.
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Fernrohr
22.10.2024 14:44registriert Januar 2019
Ich traue dem NDB nicht zu, gegen auch nur eine einzige der aufgezählten Bedrohungen, erfolgeich tätig zu werden. Zu gross sind die Partikularinteressen der Parteien. Waffenausfuhr gegen Neutralität. Schwarzgeldverwalter, sprich: Anwälte gegen Befürworter von Sanktionen. Chinafreundliche Unternehmer gegen was weiss ich! Und vieles mehr. Fast Schildbürgermässige unbeholfenheit. Und nicht zuletzt: es ist ein Nachrichtendienst. Er informiert nur über Beobachtetes.
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