Die 36'000 Zuschauerinnen und Zuschauer im Stadion nahmen den Aufruf nicht wahr. Nur für einen Bruchteil einer Sekunde poppte das Bild auf. Doch es war da – das zeigen die Mitschnitte, die Youtube noch nicht gesperrt hat. In der Arena Plus im Rahmen des ESC in Basel wurde am Samstag, 17. Mai, im St. Jakob-Park für die Finanzierung von Islamisten geworben. Dabei erschien auch das schwarze Banner auf dem Videowürfel auf dem Joggeli-Rasen und auf den grossen Bildschirmen. Eine Organisation, die das Symbol nutzt, ist der Islamische Staat (IS).
Auf der Einblendung war zudem der Satz «Fund The Islamic Struggle Without Leaving a Trace» zu lesen, in etwa: «Finanziere den islamischen Kampf, ohne Spuren zu hinterlassen». In grüner Schrift folgt eine Erklärung auf Englisch. Man sei eine Gruppe von «jungen muslimischen Brüdern und von Konvertiten», die eine neue Front bilden wolle, in den USA und weltweit. Konventionelle Spendenaufrufe würden jedoch zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. «Darum haben wir beschlossen, über das Internet Ressourcen zu sammeln.»
Es folgen ein religiöser Gruss auf Arabisch, eine E-Mail-Adresse und eine Kombination aus Buchstaben und Zahlen. Es handelt sich um eine Adresse, auf die Bitcoins überwiesen werden können. Über allem prangt das erwähnte schwarze Banner. Es handelt sich um das islamische Glaubensbekenntnis, die Schahada. Sie alleine ist unproblematisch. Den Wortlaut findet man etwa auf der Flagge Saudi-Arabiens. Auf dem Spendenaufruf ist jedoch eine Variation in weisser Schrift auf schwarzem Grund zu sehen – auf sie greifen, neben dem IS, etwa al-Qaida und die Taliban zurück.
Dass es so lange dauerte, bis der Vorfall bekannt wurde, hat damit zu tun, dass weder die Host City Basel noch die SRG als Veranstalterin des ESC noch die European Broadcast Union (EBU) als deren Auftraggeberin darüber informiert haben. Der Aufruf erschien während des Auftritts von Baby Lasagna alias Marko Purišić, dem kroatischen ESC-Teilnehmer von 2024. Ivan Kralj, ein kroatischer Reiseblogger, filmte den Auftritt und stellte das Material auf Youtube. Doch einige Tage danach wurde ihm von der Videoplattform mitgeteilt, sein Inhalt sei nicht mehr zugänglich – nach Intervention einer Behörde.
«Ich habe das Video nochmals durchgeschaut», erzählt Ivan Kralj der bz. «Dabei hatte ich plötzlich das Gefühl, es habe geflackert. Ich spulte zurück, fast Bild für Bild – da sah ich die Stelle.» Er habe daraufhin die Host City Basel kontaktiert, jedoch bis Anfang Juli nichts mehr gehört. Dann meldete sich Christoph Bosshardt, Leiter des Basler Standortmarketings, und teilte mit, es seien sofort Schritte eingeleitet worden, nachdem man von diesem Aufruf erfahren habe. Er melde sich so spät zurück, weil die ESC-E-Mail-Adresse, an die sich Kralj gewandt habe, nicht mehr in Betrieb sei. Seine Erkenntnisse publizierte Kralj auf seinem Blog «Pipeaway».
Die Spur des versteckten Spendenaufrufs führt nach Australien. Die Videosequenzen, die zur Liveübertragung zum Song «Rim Tim Tagi Dim» von Baby Lasagna gezeigt wurden, würden von einem Drittanbieter aus Australien stammen, sagt Bosshardt zur bz. «Wir haben das Unternehmen informiert.» Der versteckte Schnipsel könne nicht auf den Eurovision Song Contest in Basel hin platziert worden sein, fügt Bosshardt an: «Die Videoeffekte wurden zwar von uns zusammengestellt, die zuständige Person hatte das Rohmaterial aber bereits vor einigen Jahren erworben.»
Bei versteckten Bildern und Texten in Filmen, Videospielen oder Software spricht man von «Easter Eggs». Zumeist handelt es sich bei diesen Ostereiern um Spielereien oder humorvolle Botschaften. Manchmal steckt aber kriminelle Energie dahinter.
Den Bitcoin-Spendenaufruf, der nun im Joggeli auftauchte, gibt es schon länger; er ist gut dokumentiert. In der Terrorismusforschung gilt er als erster bekannter Fall, bei dem eine Kryptowährung dazu genutzt wird, um islamistischen Extremismus zu unterstützen. Die Website der unbekannten Urheber ging 2012 online, im Darknet, dem verborgenen Teil des Internets. Um 2020 verschwand sie wieder.
Aufrufe zur Unterstützung einer kriminellen Organisation sind in der Schweiz strafbar. Die Kantonspolizei Basel-Stadt hat keine Kenntnis vom Vorfall im St. Jakob-Park, wie sie mitteilt. Christoph Bosshardt erklärt, die Sperrungsanträge an Google als Youtube-Eigentümer habe die Abteilung Cybercrime des Kantons Baselland gestellt.
Anzeige erstattet hat Basel-Stadt nicht. «Es ist kein Schaden entstanden», so Bosshardt. Die Verantwortlichen hinter dem Aufruf dürften sich derweil diebisch darüber freuen, den ESC gehackt zu haben. Auch wenn sie das in dieser Form gar nie vorgehabt hatten.
Ich glaub eher, die Organisatoren wollten das unter den Teppich wischen