Anklägerin über Rupperswil-Mörder: «Therapie soll nicht automatisch zur Entlassung führen»
Eigentlich schien der Fall Rupperswil abgeschlossen, nachdem Thomas N. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und Verwahrung verurteilt wurde. Doch vor zwei Monaten wurde ein überraschender Entscheid des Aargauer Verwaltungsgerichts publiziert: Dieses ordnete an, dass Abklärungen zu treffen seien, ob der Vierfachmörder eine Therapie machen dürfe. Dies könnte seine Chancen auf eine Freilassung erhöhen – das Gegenteil davon, was Barbara Loppacher erreichen wollte. Die Staatsanwältin kämpfte im Fall Rupperswil dafür, dass Thomas N. nie mehr auf freien Fuss kommt.
In wenigen Tagen jährt sich die Tat von Rupperswil zum zehnten Mal. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf diese Zeit vor zehn Jahren zurück?
Barbara Loppacher: Die damaligen Tage sind mir natürlich präsent geblieben. Gerade die Vorweihnachtszeit erinnert mich bis heute daran, wie tief dieses Ereignis in die betroffenen Familien und die Gemeinde hineingewirkt hat. Mit zeitlichem Abstand gelingt es besser, die Eindrücke einzuordnen.
Rupperswil war ein sehr brutales Verbrechen. Belasten Sie die Bilder und Erkenntnisse, oder können Sie das mit professioneller Distanz ausblenden und vergessen?
Bei einem derart schweren Delikt hinterlassen die Erkenntnisse Spuren – das wäre anders gar nicht denkbar. Professionelle Distanz bedeutet aber nicht, dass man emotional unbeteiligt ist. Vielmehr lernt man, die Eindrücke klar zu trennen und in geordneten Bahnen zu verarbeiten.
Die Ermittlungen dauerten mehrere Monate. Hatten Sie jemals Zweifel, dass der Täter gefunden wird, und wie sind Sie mit dem öffentlichen Druck umgegangen?
Ermittlungen entwickeln sich allzu oft nicht linear. Es gibt Phasen, in denen Hypothesen geprüft und wieder verworfen werden müssen. Zweifel im Sinn von Unsicherheit über die eigene Arbeit hatte ich nicht, wir folgen bei diesen Abläufen einer klaren Struktur. Der öffentliche Druck war spürbar, aber wir müssen ihn aushalten und bei unserer Arbeit trotzdem immer diese sorgfältige, methodische Arbeit in den Vordergrund stellen.
Ist es korrekt, dass drei Schritte für die Festnahme von Thomas N. entscheidend waren: Google lieferte seine IP-Adresse, weil er nach der Opferfamilie gegoogelt hat. Gemäss Antennensuchlauf ging er täglich mit seinen Hunden raus, aber nicht an jenem Montagmorgen. Er hinterliess in einer Alkohol-Verkehrskontrolle seine DNA.
Zu einzelnen Ermittlungshandlungen oder deren Gewichtung können wir aus Gründen des Amts- und Verfahrensgeheimnisses keine Details nennen. Der Fall ist seit mehreren Jahren abgeurteilt. Wir müssen uns hier also auch an die Informationshoheit des Gerichts halten. Wichtig ist schlussendlich: Die Untersuchung stützte sich auf eine Vielzahl kriminaltechnischer, digitaler und klassischer Ermittlungsansätze. Entscheidend war am Ende das Gesamtbild, nicht ein einzelner Schritt.
Thomas N. könnte schon im Jahr 2031 theoretisch freikommen. Beunruhigt Sie das?
Als Staatsanwältin habe ich im Jahr 2018 vor Bezirks- und Obergericht eine lebenslängliche Verwahrung beantragt, um sicherzustellen, dass der Täter nicht mehr auf freien Fuss kommt. Dieser Antrag war unser Fazit aus den beiden Gutachten. Daran hat sich aus unserer Sicht bis zum heutigen Tag nichts geändert.
Gemäss einer geplanten Gesetzesverschärfung wird die Frist für eine bedingte Entlassung aus der lebenslangen Freiheitsstrafe auf 17 Jahre verlängert. Genügt das, oder sollte ein Gericht in schweren Fällen eine längere Frist festlegen können?
Die Diskussion um Verlängerung zeigt, dass die Gesellschaft ein legitimes Bedürfnis nach Sicherheit hat. Entscheidend ist, dass die Rechtsordnung klare, praktikable Kriterien vorgibt. Ob 17 Jahre in jedem Fall genügen oder ob Gerichte grössere Flexibilität benötigen, ist letztlich eine politische Frage, welche die Gesellschaft, das heisst, Politik und Bevölkerung beantworten müssen.
Wie lange sollte ein Täter, der vier Menschen auf diese Weise umbringt, mindestens im Gefängnis verbringen, unabhängig von der Gefährlichkeitseinschätzung?
Die gesetzlichen Vorgaben und die Rechtsprechung setzen uns als Staatsanwaltschaft klare Grenzen, an die wir gebunden sind. Grundsätzlich führen schwere Gewaltdelikte wie vorsätzliche Tötungen zu sehr hohen Strafen. Aus meiner beruflichen Erfahrung kann ich sagen: Wenn mehrere Menschen ermordet werden, wird in aller Regel eine lebenslängliche Freiheitsstrafe durch die Staatsanwaltschaft beantragt und von den Gerichten auch ausgefällt. Dass unser System dennoch regelmässige Prüfungen vorsieht – etwa zu möglichen therapeutischen Entwicklungen oder zur Frage einer späteren Entlassung – gehört zum rechtsstaatlichen Verfahren. Bei Taten dieses Ausmasses ist das jedoch für viele schwer nachvollziehbar.
Kann die Gefährlichkeit von Thomas N. aufgrund der Diagnosen der Gerichtspsychiater überhaupt angemessen beurteilt werden?
Die Einschätzung der Gefährlichkeit liegt bei den Fachpersonen und den Gerichten. In schweren Fällen schreiben die Vorgaben des Bundesgerichts vor, dass strafrechtliche Entscheide auf fachpsychiatrischen Gutachten basieren. Ob diese Einschätzungen im Einzelfall zutreffen, kann ich als Staatsanwältin nicht beurteilen. Wir haben uns an das gesetzlich vorgesehene Verfahren zu halten. Es ist bekannt, dass Risikobeurteilungen – gerade bei schweren Delikten – anspruchsvoll sind und unterschiedliche fachliche Einschätzungen möglich bleiben. Umso wichtiger ist es, dass die Gerichte die vorliegenden Gutachten sorgfältig prüfen und würdigen.
Haben sie die Befürchtung, dass Psychiater bei einer erfolgreichen Therapie von Thomas N. fast gezwungen sein könnten, ihn irgendeinmal freizulassen?
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen schreiben klar vor, dass die Sicherheit der Bevölkerung oberste Priorität hat. Eine Therapie kann allenfalls eine Prognose verbessern, aber sie soll nicht automatisch zu einer Entlassung führen.
Hat sich Thomas N. unterdessen einmal persönlich bei den Hinterbliebenen gemeldet oder entschuldigt? Hatten Sie seit dem rechtskräftigen Urteil Kontakt zum Täter?
Zu allfälligen Kontakten zwischen Täter und Angehörigen kann sich die Staatsanwaltschaft nicht äussern. Dies, weil die Vollzugsbehörden nach rechtskräftigem Urteil für die verurteilte Person und deren Kontakte zuständig sind und nicht die Staatsanwaltschaft.
Wie hoch schätzen Sie die Erfolgschancen der Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts zur Therapie von Thomas N. ein?
Das Bundesgericht prüft solche Fragen unabhängig und sehr sorgfältig. Wir haben die Beschwerde eingereicht, weil wir – angesichts der ausserordentlichen Schwere des Falles und der öffentlichen Sicherheitsinteressen – eine bundesgerichtliche Überprüfung als notwendig erachten. Mehr lässt sich zum heutigen Zeitpunkt leider schlicht nicht sagen.
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