Kommt der Rupperswil-Mörder vorzeitig frei? So schätzt ein Psychiater die Chancen ein
«Es geht nicht um eine Entlassung oder Lockerung des Vollzugs, sondern um die Frage, ob überhaupt geprüft werden soll, ob eine Therapie im Grundsatz denkbar ist.» Das sagte Adrian Schuler, Sprecher der Aargauer Staatsanwaltschaft, zum Entscheid des Verwaltungsgerichts im Fall des Vierfachmörders von Rupperswil. Das Gericht hatte angeordnet, dass die Abklärungen, ob Thomas N. im Gefängnis eine «freiwillige deliktorientierte Therapie» machen darf, fortgesetzt werden müssen.
Der Täter sei bereit, «den langwierigen und herausfordernden Therapieverlauf anzugehen», heisst es im Entscheid des Gerichts. Thomas N. argumentiert weiter, es gebe keine belastbaren Argumente, die gegen seine Behandlungswilligkeit und -fähigkeit sprächen. Zudem habe der Psychiatrisch-Psychologische Dienst Zürich bereits festgestellt, «dass die Ausgangsvoraussetzungen für eine rückfallpräventive Therapie vorlägen».
Ziel des Täters, der seine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies absitzt, ist die Entlassung aus dem Gefängnis. Seine lebenslange Strafe wird nach 15 Jahren erstmals geprüft, dies dürfte im Frühling 2031 der Fall sein. Thomas N. hält fest, dass er in rund fünf Jahren «aus der lebenslänglichen Freiheitsstrafe zufolge ausserordentlich guter Führung entlassen» werden könnte. Er spekuliert zudem darauf, bei erfolgreicher Therapie die anschliessende Verwahrung vermeiden zu können.
Psychiater: Änderung im Persönlichkeitsprofil nötig
Der forensische Psychiater Thomas Knecht sagt gegenüber Tele M1, der Gerichtsentscheid komme für ihn überraschend. Aus seiner Sicht seien «die Vorzeichen für einen therapeutischen Erfolg relativ ungünstig». Der Tatbestand bei Thomas N. – der vierfache Mord, verbunden mit dem sexuellen Missbrauch eines Jugendlichen zuvor – sei extrem, sagt Knecht. Beim Täter wäre eine riesige Veränderung im Persönlichkeitsprofil nötig, dies sei mit rein psychotherapeutischen Methoden kaum erreichbar.
Laut dem Psychiater bräuchte es bei Thomas N. einen fundamentalen Persönlichkeitswandel, der nicht nur oberflächliche Einstellungen und Werthaltungen betreffe. Knecht nennt insbesondere sadistische Neigungen und sexuelle Störungen, die durch rein psychologisch-verbale Interventionen nur wenig beeinflussbar seien. Dazu kommt, dass der Mörder als sehr manipulativ beschrieben wird, also die Gefahr besteht, dass er Therapeuten und Gutachter beeinflusst.
Psychiater Thomas Knecht sagt, es gebe eine ganze Liste von Faktoren, die eine Behandelbarkeit infrage stellten, manipulatives Verhalten stehe darauf «ziemlich weit oben». Auch die Gutachter, die Thomas N. im Strafverfahren beurteilten, äusserten «Bedenken hinsichtlich der therapeutischen Erreichbarkeit». Sie begründeten dies mit sehr hohen manipulativen Anteilen und Täuschungstendenzen.
Es gibt keine Vergleichsfälle in der Schweiz
Knecht sagt, der Entscheid des Gerichts bringe für Thomas N. zumindest theoretisch eine neue Chance. Allerdings müsse ein Gutachter zuerst entscheiden, ob der Täter behandelbar sei. Dabei gehe es einerseits um die Diagnose der Störungen und das Ausmass der Abnormitäten. Man müsse aber auch berücksichtigen, dass Persönlichkeitsveränderungen im mittleren Lebensalter – Thomas N. ist heute 42-jährig – nur in kleinen Schritten vor sich gehen könnten – wenn überhaupt.
Die Kernfrage sei nun: «Ist es realistisch und möglich, innert nützlicher Frist beim Täter die nötigen Veränderungen zu erreichen, damit man ihn guten Gewissens in die Freiheit entlassen kann?» Aus der Distanz sei es relativ schwierig, diese Frage präzis zu beantworten, weil es in der Schweiz keine Vergleichsmöglichkeiten geben. «Heute kann kein Therapeut von sich behaupten, er habe gleich schwere Fälle mit Erfolg behandelt.»
Knecht hat selber schon Therapien mit Verwahrten durchgeführt, dabei sei es aber darum gegangen, diese Personen psychisch zu stärken, damit sie «ihre perspektivlose Situation durchstehen können». Ziel sei es in diesen Fällen gewesen, dass die Täter nicht depressiv oder suizidal würden, führt der Psychiater aus. Ob es hingegen möglich sei, mit einer Psychotherapie eine Entlassungsperspektive zu erreichen, sei für ihn sehr fraglich.