Die 25-jährige Norah Steiner setzt sich auf den Bistro-Stuhl in einem französischen Café in Luzern. Sie bestellt einen Verveine-Tee, «ich ernähre mich jetzt vegan», und zieht ihre Multifunktions-Jacke aus. Dann sagt sie das, was die Gynäkologen schockiert, das Umfeld irritiert und die Gesellschaft nicht akzeptiert: «Ich möchte keine Kinder, deshalb will ich mich sterilisieren lassen.»
Diesen Wunsch hegt sie schon lange. Mit 19 Jahren hat sie zum ersten Mal ihre Frauenärztin gefragt, ob das möglich sei. «Sie war schockiert, dass ich dieses Wort überhaupt in den Mund nehme», sagt Norah. Die Ärztin habe sofort abgeblockt und gesagt, dass diesen Eingriff niemand durchführe. Zumindest nicht bei einer Frau, die noch kein Kind geboren habe.
Jetzt, mit 25 Jahren, hat sie es noch einmal gewagt und ihre neue Frauenärztin darauf angesprochen. Wieder passiert dasselbe: Auch diese tat sich schwer, mit ihr über ihren Wunsch zu reden. «Ich konnte nicht einmal meine Fragen stellen. Offenbar sind die Ärzte gehemmt, darüber zu sprechen.» Erst als die Luzernerin der Gynäkologin vermittelte, dass sie alles nur «rein theoretisch» wissen wolle, habe sie einige Antworten bekommen.
Sibil Tschudin ist leitende Ärztin der Abteilung für Gynäkologische Sozialmedizin und Psychosomatik am Universitätsspital Basel. Sie sagt: «Die Sterilisation ist eine Entscheidung fürs Leben.» Gelange eine Frau mit diesem Wunsch zu ihr, nehme sie sich Zeit, in Gesprächen herauszufinden, warum die Frau den Eingriff will und nicht eine andere Verhütungsmethode. «Mit dem sorgfältigen Abwägen und Überprüfen bewahren wir Frauen auch davor, dass sie den Schritt Jahre später bereuen.» Dies komme nämlich nicht selten vor. «Wir hatten schon zahlreiche Fälle, in denen eine Frau die Unterbindung wieder rückgängig machen wollte», sagt Tschudin.
Norah ist es sich gewohnt, anzuecken. Mit ihrem Lebensentwurf sorgt sie immer wieder für Unverständnis und Irritation. Gerade ist sie dabei, ihr ganzes Hab und Gut zu verschenken. Denn bald wandert sie von Luzern bis an den Atlantik. Mit dem Segelboot will sie nach Südamerika übersetzen. Wenn möglich, geht es dort weiter über den Pazifik und dann von Asien mit dem Zug zurück nach Europa. Für diese Reise lässt sie sich mehrere Jahre Zeit. Es ist nicht das erste Mal, dass sie für eine längere Zeit verreist. Ihr halbes Leben war sie unterwegs, erkundet ständig die Welt.
Das Thema Sterilisation lässt ihr auch in Übersee keine Ruhe. Denn für sie ist klar: «Ich verhüte und wenn ich trotzdem schwanger werde, treibe ich ab.» Jedoch ist das nicht in allen Ländern möglich. Deshalb hat sie sich bereits im Voraus überlegt, wo sie von so einem Ort aus hinfliegen müsste, um abzutreiben.
Warum will die junge Frau denn partout kein Kind? «Es gibt bereits genug Menschen auf dieser Welt», sagt Norah. Es sei nicht nötig, ein leibliches Kind zu haben, besonders, wenn der Kinderwunsch nicht vorhanden sei. Sie könne sich vorstellen, irgendwann ein Pflegekind aufzunehmen oder sich als «Gotti» um ein Kind zu kümmern. Aber selber schwanger werden will sie nicht. «Das stelle ich mir schlimm vor.»
Doch nicht nur die Ärzte weisen ihren Wunsch zurück: «Ich fühle mich von der ganzen Gesellschaft nicht ernst genommen.» Auch ihr Umfeld witzelt darüber, dass sie keine Kinder kriegen will. «Das kommt dann noch», «du hast nur noch nicht den richtigen Mann kennengelernt» oder «du hast dann bestimmt noch vor mir Kinder», sind Dinge, die sie zu hören bekommt.
Dieser Erwartungsdruck regt die 25-Jährige auf. «Es ist so stark in den Köpfen verankert, dass frau einfach ein Kind will, und wird gar nicht hinterfragt.»
Eine, die es hinterfragt hat, ist die deutsche Autorin und Gender-Studies-Wissenschaftlerin Sarah Diehl. In ihrem Buch «Die Uhr, die nicht tickt. Kinderlos glücklich» befasst sie sich mit freiwillig kinderlosen Frauen.
In einem Interview mit «SRF Kulturplatz» führt sie aus: «Aus dem Kinderkriegen wird ein natürliches Bedürfnis gemacht – das finde ich unmöglich. Damit wird der Frau im Grunde ihre Entscheidungsfreiheit und -fähigkeit abgesprochen.» Eigentlich wollte sie für ihr Buch auch Männer befragen, doch sie bemerkte schnell, dass sie nicht über die Kinderlosigkeit nachdenken.
In Deutschland sieht die Situation ähnlich aus wie in der Schweiz: Auch dort weigern sich die Ärzte, die Sterilisation bei jungen Frauen durchzuführen. Eine Gruppe Frauen hat deshalb den Verein «Selbstbestimmt steril» gegründet. Ihr Ziel ist es auf einer Plattform, eine interaktive Karte mit Gynäkologinnen und Gynäkologen zu gestalten, die die Sterilisation bei jungen Frauen durchführen. Ausserdem können sie sich dort austauschen und von ihren Abweisungen berichten.
Für die Schweiz existiert bisher keine solche Liste. Norah fände dies jedoch wünschenswert. Aber viel wichtiger wäre, dass die Frauen mit ihren Gynäkologinnen über den Sterilisationswunsch sprechen könnten und ernst genommen würden, wenn sie keinen Kinderwunsch haben. Denn sie weiss: «Ich werde meine Meinung nicht ändern. Auch in zehn Jahren nicht.»
Trotzdem ist das überhaupt kein Grund ihr den Eingriff zu verweigern. Es gibt überhaupt keinen Grund, dass die Ärzte Moral spielen sollen.
Mündige Erwachsene Menschen sollen freie Entscheidungen treffen können. Sie schadet damit niemanden, also wieso interessiert es die Ärzte überhaupt.
Wenn sie es in 10 Jahren dann doch bereut, dann ist es ihr eigenes Problem.