Schweiz
Food

Ist Bio wirklich nicht gesünder als Lebensmittel mit Pestiziden

Des legumes bio photographies avec un logo sur un sac papier lors de la conference de presse annuelle de Bio Suisse le mercredi 19 juin 2024 a Chietres. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)
Bio-Gemüse in einem Laden.Bild: keystone

Ist Bio wirklich nicht gesünder als Lebensmittel mit Pestiziden?

Bezüglich Ernährung sei ihm kein Vorteil durch Bio-Produkte bekannt, sagte kürzlich Exposom-Forscher Benedikt Warth im Interview. Die Frage ist heiss umstritten.
26.05.2025, 18:5626.05.2025, 18:56
Sabine Kuster / ch media
Mehr «Schweiz»

Wer Schweizer Bio-Produkte will, zahlt dafür im Laden durchschnittlich ein Drittel mehr. Und mitten in die Diskussion über überteuerte Bio-Lebensmittel sagte der österreichische Lebensmittelchemiker und Exposom-Forscher Benedikt Warth kürzlich: «Aus lebensmittelsicherheitsrelevanter Sicht gibt es keinen Vorteil durch Bio-Produkte.» Also kein Vorteil für die menschliche Gesundheit.

Wenn das stimmt, dann würden wohl viele Konsumentinnen und Konsumenten künftig zum billigeren Gemüse und Fleisch greifen. Doch hier liegt das Problem: Die Beweislage ist nicht eindeutig. Die Messungen und Analysen sind derart komplex, dass es zu viele Studien gibt, die einander widersprechen: Während eine grosse französische Studie 2018 zum Beispiel ergab, dass Bio-Konsumenten ein 25 Prozent geringeres Krebsrisiko haben, zeigt eine grosse englische Studie von 2014 keinen Unterschied – ausser beim Lymphdrüsenkrebs, da war das Erkrankungsrisiko um 21 Prozent gesenkt.

Hinzu kommt: Die Debatte wird emotional geführt und ist in zwei Lager gespalten. Das sagt Biologe Samuel Fuhrimann vom Swiss Tropical and Public Health Institute (Swiss TPH) in Basel, der über Pestizide forscht: «Das hilft nicht. Die Evidenz wird je nachdem ausgelegt.» Und er sagt, es fehlten Daten und einheitliche Messungen.

Toxikologe des BLV scherte aus

Die Unsicherheit vergrösserte sich, nachdem Jürg Zarn, der Leiter des Fachbereichs Toxikologie Pflanzenschutzmittel beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), Anfang Jahr die Prüfverfahren von Pestizid-Auswirkungen kritisiert hatte. Gegenüber dem Tages-Anzeiger sagte Zarn, die Tests mit Ratten und Mäusen seien nicht geeignet, um mögliche Krebs- und Fortpflanzungsrisiken beim Menschen zweifelsfrei aufzudecken.

Zwar zahlt eine Pestizidherstellerfirma rund zehn Millionen Franken für toxikologische Tests und Versuche mit jeweils rund 2000 Tieren. Doch Zarn sagte: «Die toxikologischen Methoden der Bewertungen von Pestiziden sind nach wissenschaftlichen Kriterien ungenügend und gefährden damit möglicherweise die öffentliche Gesundheit.» Er ist Hauptautor einer Studie, welche die Pestizid-Risikobewertungen der WHO von 2004 bis 2021 untersucht hat.

Darin wird die Berechnungspraxis kritisiert, bei der auf Kontrollgruppen aus früheren Tierversuchen zurückgegriffen wird. Dadurch erhöht sich die Grenze, ab der ein Risiko sichtbar wird. Auch dürften Firmen ihre Rohdaten als PDFs einreichen, kritisierte Zarn, was es den Behörden erschwere, eigene Analysen der Daten durchzuführen. Zarn sagte: «Es braucht meistens viele Jahre, bis ein Zusammenhang zwischen der Erhöhung bestimmter Krebszahlen und der Nutzung eines Wirkstoffs deutlich wird – und noch länger, bis dieser erhärtet werden kann.»

Wir wollten Zarn zum Nutzen biologischer Ernährung befragen, doch das BLV verweigerte dies: Die Fragen würden nicht nur Zarns Fachbereich betreffen, antwortete die Medienstelle. Stattdessen wurden die Fragen schriftlich beantwortet und zusätzlich ein Interview mit BLV-Vizedirektor Michael Beer angeboten, der auch Leiter Lebensmittelsicherheit und Ernährung sowie Co-Leiter Zulassungsstelle Pflanzenschutzmittel ist. Da Beer nicht Toxikologe ist, begnügten wir uns mit den schriftlichen Antworten des BLV.

Auf die Frage, ob die heute zugelassenen Pestizide unbedenklich seien, antwortete das BLV: «Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe gehören zusammen mit Medikamenten zu den Substanzen, die toxikologisch am besten geprüft sind.» Die Zulassung werde nur erteilt, wenn die Gefahren und Risiken für Mensch, Tier und Umwelt als akzeptierbar beurteilt würden. Die Zulassungen würden periodisch und gezielt aufgrund der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse überprüft.

Mehr Risiken beim Hantieren mit Pestiziden

Mehr Hinweise auf ein Risiko als bei Konsumenten gibt es bei Landwirten. Forschende der Unisanté in Lausanne wollten 2017 das Risiko für Berufe in der Landwirtschaft in der Schweiz zu ermitteln, doch sie stellten fest, dass dazu Daten fehlen zum Beispiel zur Menge der verwendeten Wirkstoffe. Die Autoren der Studie verweisen daher auf Daten aus dem Ausland, die zeigen: Der Umgang mit Pestiziden begünstigt Parkinson.

Das BLV schrieb dazu: «Die analysierten Studien reichen bis in die 1950er-Jahre zurück, als noch deutlich toxischere Produkte (Organophosphate, Organochlorine) eingesetzt wurden. Viele der damaligen Wirkstoffe sind in der EU und der Schweiz mittlerweile verboten.»

Es finden allerdings auch neue Studien ein erhöhtes Parkinson-Risiko bei Landwirten – abhängig von der Art des Betriebes, wie eine Nature-Studie Anfang Jahr zeigte, die auf Daten von 2002 bis 2016 aus Frankreich beruht: Zur höchsten Risikogruppe gehörten Personen in der Schweine- und Rinderzucht, im Obst-, Wein- und Ackerbau. Pferde- und Kleintierhalter sowie Landschaftsgärtner und Förster hatten das geringste Risiko.

Klare (Überlebens-)Vorteile im Bio-Landbau haben nebst den Landwirten die anderen, welche mit Pestiziden in direkten Kontakt kommen: Bodenlebewesen und Insekten. Auf Bio-Grasland findet man über 50 Prozent mehr Insekten, wie zum Beispiel eine Studie aus Österreich2020 zeigte.

bio traktor
Ein Traktor auf einem Feld.Bild: shutterstock

Bei den Schweizer Bio-Bauern gibt es zudem ein Plus an Wohlbefinden: Sie sind zufriedener als jene, die einen konventionellen Betrieb führen. Das zeigte die FarmCoSwiss-Kohortenstudie im April. Bio-Bäuerinnen und -Bauern geht es bezüglich geistiger und körperlicher Gesundheit, Lebenszufriedenheit und Sinnhaftigkeit besser. Samuel Fuhrimann sagt: «Bio-Bauern haben eine andere Einstellung und Mission zu ihrer Arbeit. Das macht vermutlich glücklicher.»

Ein anderer wichtiger Faktor sind die Subventionen, die es Bio-Betrieben ermöglicht, Ernteausfälle abzufedern. In Costa Rica, Uganda und Südafrika sind Bio-Bauern dagegen gestresster, weil ohne Pestizide die Unsicherheit bezüglich Ernteerträge steigt. In der Schweiz schnitten Bio-Bauern bezüglich der sozialen Beziehungen etwas schlechter ab als solche in der herkömmlichen Landwirtschaft. Das sei möglicherweise auf die arbeitsintensivere und isolierte Natur der ökologischen Landwirtschaft zurückzuführen, schreibt Swiss TPH.

Die Umwelteinflüsse lassen sich kaum auseinander dividieren

Wie verwirrend Ergebnisse solcher Studien bei den Menschen sein können, wenn man ins Detail geht, zeigte 2020 eine US-Studie zu Landwirten: Sie ergab, dass nicht bei allen Pestiziden das Parkinson-Risiko steigt. Beim Insektizid Diazinon war das Parkinson-Risiko sogar niedriger. Nicht überraschend war: Wer keine giftresistenten Handschuhe benutzte, hatte ein höheres Krankheitsrisiko. Und: Das Risiko stieg, wenn die Landwirte zusätzlich eine Kopfverletzung hatten, denn ein Schädel-Hirn-Trauma begünstigt Gehirnerkrankungen.

So ist es auch bei den Konsumenten: Die Umwelteinflüsse (zum Beispiel Pestizide via Trinkwasser) und die Lebensstile sind so vielfältig, dass es schwierig ist, den Einfluss der Pestizide in der Nahrung auf ein Krankheitsrisiko zu isolieren. Ziemlich sicher aber ist er nicht so stark wie der Einfluss von Rauchen: Auch da dauerte es zwar Jahrzehnte, bis die schädliche Wirkung anerkannt wurde. Der Einfluss von Rauchen ist aber so deutlich, dass er in praktisch jeder Gesundheitsstudie auffällt.

Experte: «Die Risiken sind überschaubar»

Auch Pestizidexperte Fuhrimann vom Swiss TPH sieht in konventionell angebauten Lebensmitteln aus der Schweiz keine grosse Gefahr: «Die Risiken sind überschaubar. Zahlreiche besonders gefährliche Pestizide sind heute verboten, und die geltenden Grenzwerte werden meist eingehalten.» Allerdings seien Effekte von Pestizid-Mischungen bislang noch unzureichend erforscht.

Zurück in die Gemüseabteilung. Ein paar gesicherte Fakten gibt es bezüglich Bio doch noch. Solche Produkte enthalten – wie mehrfach nachgewiesen wurde – weniger Pestizid-Rückstände, Schwermetalle und Nitrate, die vom Dünger stammen. Tierische Bio-Produkte enthalten weniger Rückstände von Antibiotika.

In einigen Studien wurden bei Bio-Gemüse leicht mehr Vitamine und mehr gute Fettsäuren wie Omega 3 nachgewiesen, andere fanden keinen signifikanten Unterschied. Die Sortenwahl oder der Reifegrad spielen bei Vitaminen eine grössere Rolle. Deutlicher nachgewiesen werden mehr sekundäre Pflanzenstoffe wie Polyphenole, Flavonoide oder Antioxidantien, die gesundheitsfördernd sind. Zudem: Verarbeitete Produkte enthalten gemäss den Bio-Suisse-Richtlinien keine künstlichen Zusatz- und Aromastoffe.

Letztes Jahr zeigte ein Review verschiedener Studien des amerikanischen National Institute of Health (NIH) solche Vorteile ebenfalls. Doch die Autoren kamen zum Schluss: «Widersprüchliche Ergebnisse und methodische Einschränkungen erschweren es, den gesundheitlichen Nutzen einer geringen Pestizid-Exposition durch den Verzehr von Bio-Lebensmitteln schlüssig zu belegen.»

Aber wie war das mit dem eingangs erwähnten 25 oder eben 21 Prozent geringeres Krebsrisiko? Auf den ersten Blick würden wohl viele Konsumenten für diesen Benefit die teuren Bio-Produkte kaufen. Doch Achtung: Ein 25 Prozent tieferes Risiko bedeutet nicht 25 Prozent weniger Krebsfälle. Das absolut reduzierte Risiko liegt in dieser Studie nur bei 0,6 Prozent – von 1000 Krebserkrankungen können demgemäss mit Bio-Ernährung 6 verhindert werden. (nib/aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Büchsen-Fruchtsalat vs Bio-Smoothie
1 / 4
Büchsen-Fruchtsalat vs Bio-Smoothie
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Spektakuläre Aufnahmen aus der Tiefsee zeigen ersten lebendigen Koloss-Kalmar
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
55 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Simih
26.05.2025 19:34registriert Oktober 2019
Ja, immer nur an den eigenen Ranzen denken. Ich kaufe kein Bio weil ich die Pestizide nicht auf meinen Tomaten haben will. Ich kaufe Bio weil ich mir wünsche, dass unsere Gewässer nicht mich systematischen synthetischen Pestiziden verseucht sind, weil ich mir wünsche dass unsere Bienen an sauberen Blumen saugen können, weil ich mir wünsche, dass die Bodenfauna gesund bleibt, weil ich mir wünsche dass Insekten fressende Vögel wieder mehr Futter finden.
Ich selbst bekomme eh schon genug Gummi über Reifenabrieb, genug Stickoxide im Morgenverkehr, die paar Pestizide sind da nicht mehr relevant.
1266
Melden
Zum Kommentar
avatar
The litterbox incident
26.05.2025 19:44registriert März 2025
Bei Bio geht's ja nicht nur um den Einsatz von Chemikalien. Da ist auch das Versprechen dabei, dass die Pflanze in echter Erde und nicht in einer Chemieplörre gewachsen ist, bzw. dass das Tier ein schönes Leben hatte. Ich persönlich zahle dafür gern etwas mehr... auch wenn der Aufpreis für Bioware bei den Grossverteilern zuweilen schon hart an der Grenze zur Abzocke kratzt. Aber zumindest hier auf dem Land bekommt man zum Glück massig leckere Sachen auch direkt ab Hof.
798
Melden
Zum Kommentar
avatar
You will not be able to use your remote control.
26.05.2025 19:39registriert April 2016
Ich kaufe immer BIO Zigarettenfilter, weil dann ist Rauchen gesünder.

🤦

Ich kaufe BIO, damit die Welt weniger vergiftet wird.
566
Melden
Zum Kommentar
55
Für Gelder auf Sparkonti erhält man kaum mehr Zins
Die Zinsen auf Sparkonti in der Schweiz sind deutlich gesunken. Das kurze Hoch bei den Sparzinsen ist laut einer Studie des Online-Vergleichsdiensts Moneyland vorbei.
Zur Story