Ich sitze zwischen einem BDSM Sexstuhl, einem Stahlkäfig, einem Andreaskreuz, einem Bett und um mich herum sind Dildos in allen Farben und Formen. Die roten Vorhänge sind zugezogen, die blauen Neonröhren an. Im Raum riecht es nach Vanille-Duftkerzen und altem Zigarettenrauch. Gegenüber von mir sitzt Nina*. Sie mietet das «SM-Zimmer» alle paar Wochen, um als Sexarbeiterin zu arbeiten.
Bis vor zwei Jahren war Nina in Teilzeit Sexarbeiterin und Reinigungskraft. Wegen der Pandemie lohnte es sich nicht mehr, als Reinigungskraft zu arbeiten, und seither ist sie hauptberuflich selbstständige Sexarbeiterin.
Ihre Arbeit kann sie sich selbst einteilen. Sie arbeitet meistens ein bis zwei Wochen in einer Wohnung, die sie irgendwo in der Schweiz anmietet, und geht dann für zwei Wochen nach Hause in den Kanton Schwyz. Sex hat sie nur, wenn sie Lust hat. Wenn sie nicht in Stimmung ist, schaut sie sich die Anfragen erst gar nicht an. Zu ihrer Kundschaft gehören ausschliesslich Männer.
Während den Wochen, in denen sie arbeitet, arbeitet sie sieben Tage 8 bis 22 Uhr durch und hat täglich zwischen zwei bis sieben «Gäste» – wie sie ihre Kunden nennt. Mit zwei bis drei Wochen Arbeit im Monat kann sie sich ein Leben finanzieren. Sie verdient dann zwischen 5’000 und 10’000 Franken oder noch mehr im Monat. Tendenz jedoch eher sinkend: «Viele Frauen bieten 30 Minuten für 80 Franken an. Das tut weh. Sie zerstören die Branchenpreise.»
Warum übst du den Beruf als Sexarbeiterin aus?
Nina: Ich war auf einer Plattform unterwegs, wo man Sexpartner:innen sucht. Als mich da jemand fragte, warum ich das gratis mache, wenn ich auch Geld damit verdienen könnte, habe ich mich nach langem Überlegen dafür entschieden, mich künftig für Sex bezahlen zu lassen. Seither bin ich Sexarbeiterin.
Wie findet dich deine Kundschaft?
Über Internetinserate.
Nehmen wir an, dein Job würde ausgeschrieben. Was würde im Stelleninserat stehen?
Dass Menschenkenntnis wichtig ist – ich würde mich fast schon als Psychologin bezeichnen. Viele Männer kommen zu mir, weil sie zu Hause ihre sexuellen Bedürfnisse nicht ausleben oder ansprechen können. Bei mir wollen sie diese loswerden. Wir reden viel darüber. Ausserdem bin ich leidenschaftlich und offen. Und natürlich habe ich gerne Sex. (lacht)
Welche Grenzen setzt du zwischen dir und deinem Beruf?
Privat ist privat. Ich muss keine Männer vor meiner Wohnungstüre haben. Bisher ist mir das immer gut gelungen, ich habe sogar meine Autonummer sperren lassen.
Mit welchen Stigmata haben Sexarbeiterinnen zu kämpfen?
Wir sind schlechte Frauen. Wir sind schuld daran, dass Männer zu uns kommen. Wenn es uns nicht geben würde, würden sie es ja nicht machen. Das ist die allgemeine Meinung.
Wie gehst du damit um?
In der Öffentlichkeit erzähle ich niemandem, wie ich mein Geld verdiene, um meine Familie zu schützen. Meine Schwester, meine Tochter und mein Schwiegersohn wissen davon. Sie haben es gut aufgenommen. Wenn ich mich austauschen möchte, mache ich das mit meiner Freundin, mit der ich zusammenarbeite. Ansonsten erzähle ich, dass ich (immer noch) als Reinigungskraft mein Geld verdiene.
Sind das die einzigen schlechten Erfahrungen, die du machst?
Richtig schlechte Erfahrungen musste ich bisher nicht machen. Ich hatte Glück. Es gibt viele Frauen, die überfallen werden. Wenn mich zum Beispiel drei Männer anfragen, bin ich vorsichtig – da steckt oft etwas dahinter.
Welche Vor- und Nachteile bringt der Beruf mit sich?
Ein Nachteil ist, dass man nicht offen kommunizieren kann, was man macht. Als positiv empfinde ich, dass man so viel Neues kennenlernt. Man lernt viele Menschen, Orte und Wohnungen kennen.
Wenn dir alle auf der Welt zuhören würden, was würdest du ihnen erzählen?
Hört auf, so verklemmt zu sein!
Ich verabschiede mich wieder und frage Nina, ob sie heute noch arbeiten müsse. Sie antwortet: «Ja, ich darf.»
*Zum Schutz ihrer Familie möchte sie anonym bleiben. Deshalb wurde der Name geändert.