Illegale Fichierung und Informationsbeschaffung, krasse Datenlecks und fehlgeleitete Spione, verpasste Warnung des Bundesrats vor dem Einmarsch der Russen in der Ukraine: Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) sorgt immer mal wieder für beunruhigende Schlagzeilen.
Das soll jetzt offenbar ändern. Die Massnahmen, die Bundesrätin Viola Amherd angeordnet hat, sind jedenfalls nicht gerade ein Vertrauensbeweis an die bisherige NDB-Führungsequipe: Mit Ausnahme des Direktors müssen sich alle Mitglieder der Geschäftsleitung neu auf ihre Stelle bewerben.
Der NDB bestätigt entsprechende Informationen von CH Media. «Der Prozess ist Teil der Transformation des Dienstes, die der Direktor des NDB, Christian Dussey, derzeit durchführt», schreibt Sonja Margelist, stellvertretende Kommunikationschefin des Dienstes.
Ebenfalls bestätigt der NDB, dass die Verteidigungsministerin zu diesem Zweck eine Findungskommission eingesetzt hat.
Somit muss sich das Topkader bis hinauf zu Vizechef Jürg Siegfried Bühler neu auf seine Stelle bewerben, wenn es denn will. Einzig der seit 1. April 2022 amtierende Direktor Dussey, 56, ist gesetzt.
«Auch wenn sich der NDB seit seiner Gründung im Jahr 2010 ständig weiterentwickelt hat, muss seine Struktur an die steigenden Anforderungen angepasst werden», hält der NDB fest.
Der NDB nennt Faktoren wie «ein breiteres Spektrum an Bedrohungen und Risiken, das Tempo von Entscheidungen, die Auswirkungen des rasanten technologischen Fortschritts, die Erwartungen der neuen Mitarbeitenden-Generation sowie wandelnde Ansprüche von Kunden und Partnern».
Verteidigungsministerin Amherd sei über die Transformation informiert und unterstütze diese. Dass Amherd in Sachen Besetzung der künftigen Geheimdienstspitze mitreden will, lässt sich unschwer am Umstand ablesen, dass die eingesetzte Findungskommission aus drei Amherd-Vertrauten aus dem VBS und einer Vertreterin des Bundesamts für Polizei (Fedpol) besteht:
Bezüglich Details der neuen Führungsstruktur gibt sich der NDB zugeknöpft. Er schreibt auf Anfrage: «Die neue Direktion wird aus fünf Bereichsleiterinnen/Bereichsleitern und einer stellvertretenden Direktorin/einem stellvertretenden Direktor bestehen. Da das Organigramm des NDB nicht öffentlich ist, geben wir keine weiteren Informationen über die zukünftigen Funktionen.»
Heute besteht die NDB-Leitung laut Staatskalender aus den Bereichen Stab, Steuerung und Lage, Informationsbeschaffung, Informationsmanagement, Auswertung sowie Führungs- und Einsatzunterstützung.
Die Wahl von Dusseys Stellvertreterin oder Stellvertreter müsse von Amherd genehmigt werden, so der NDB. «Die übrigen Mitglieder der Direktion werden von Direktor Dussey bestimmt.» Die ersten Mitglieder der neuen Führung würden bis Ende des ersten Semesters 2023 ernannt, also bis Ende Juni.
Auf die Frage, was mit bisherigen Geschäftsleitungsmitgliedern geschehe, die sich bewerben, aber nicht mehr berücksichtigt werden, hält der NDB fest: «Wie bei jedem Transformationsprozess in der Bundesverwaltung werden im Rahmen des geltenden Rechts individuelle Lösungen gesucht, zum Beispiel andere Aufgaben innerhalb des NDB.»
Geheimdienstchef Christian Dussey sagte kürzlich in der NZZ, dass der Dienst zwar zuletzt in Sachen Intensität der Operationen, Umfang der Aufgaben und Qualität der Arbeit der Mitarbeitenden einen Quantensprung gemacht habe. «Aber wir müssen aus der Vergangenheit lernen und uns an die aktuellen Herausforderungen anpassen. Aus diesem Grund habe ich im Auftrag der Chefin des VBS ein internes Transformationsprogramm eingeleitet.» In einer Demokratie werde «die Effizienz eines Nachrichtendiensts an seiner Leistung und seiner Legitimität gemessen». Diese Legitimität werde «durch das Vertrauen der Bevölkerung, der Medien und der politischen Behörden erlangt».
Der NDB dürfe nicht länger «die Dunkelkammer der Nation» sein. Dussey: «Wir stehen immer vor dem Dilemma, dass wir diskret sein müssen, um effektiv zu sein, aber transparent, um Vertrauen zu erzeugen.» Die Einhaltung des Gesetzes sei für den Dienst «extrem wichtig», sagte der Walliser Dussey. Er sei «froh» über die Kontrolle durch die Aufsichtsbehörde über die Nachrichtendienste (AB-ND), und er kündigte die Einführung von «Ethikkursen» für das Personal an.
Das sind eher neue Töne aus dem Mund eines Schweizer Geheimdienstchefs. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, braucht es anscheinend neues Führungspersonal.
Dussey wurde im November 2021 auf Antrag von Amherd als Nachfolger von NDB-Chef Jean-Philippe Gaudin gewählt. Diplomat Dussey war zuvor Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik, und Ende 2020 wurde er zum Botschafter im Iran ernannt. Diesen Posten erhielt er nicht ohne das Plazet von Markus Seiler, dem heutigen Generalsekretär und starken Mann im Aussendepartement, der selbst von 2009 bis 2017 NDB-Chef war. (aargauerzeitung.ch/cpf)