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Sinkende Preise und junge Sexarbeiterinnen in Zürich

Eine leuchtende Frauenreklame des Roland Kinos, aufgenommen am Donnerstag, 14. November 2013 in Zuerich. (KEYSTONE/Ennio Leanza)
An der Zürcher Langstrasse dürfen Prostituierte seit dem 1. Juni wieder arbeiten. Bild: KEYSTONE

Preiszerfall im Sex-Gewerbe: Corona treibt blutjunge Prostituierte in die Schweiz

Vor einer Woche hob auch der Kanton Zürich das Prostitutionsverbot auf. Seither kommen vermehrt 18- bis 20-jährige Sexarbeiterinnen in die Schweiz. Sie müssen ihre Dienstleistungen für einen tieferen Preis anbieten, weil es zu wenig Kunden gibt.
08.06.2021, 05:4509.06.2021, 08:35
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Samstagabend an der Langstrasse in Zürich: Trotz miesem Wetter versammelt sich das Partyvolk zu Hunderten auf und neben den Trottoirs. An den Hausmauern lehnen Sexarbeiterinnen, die das Geschäft wittern. Rund um die Piazza Cella stehen sie dicht an dicht, lächeln und sprechen ab und an eine vorbeigehende Männergruppe an.

Es ist das erste Wochenende, seit im Kanton Zürich das Prostitutionsverbot aufgehoben wurde. Über ein halbes Jahr lang war Sexarbeit in Zürich aufgrund der Pandemie verboten. Die in der Branche arbeitenden Frauen und Männer wichen teilweise in Kantone aus, wo die Regelungen lockerer waren. Viele reisten heim ins Herkunftsland.

Auffällig viele junge Frauen

Jetzt sind sie zurück. Auffällig sei allerdings, dass sich unter ihnen sehr viele neue und sehr junge Frauen befänden. Das beobachtet Beatrice Bänninger, Leiterin von Isla Victoria, einer Beratungsstelle für Sexarbeitende. «Viele von ihnen stammen aus Ungarn oder Rumänien und sind zwischen 18 und 20 Jahre alt.» Oft sei es das erste Mal, dass sie diesen Job ausübten und viele wüssten nicht, was auf sie zukommt, so Bänninger. «Das macht mir grosse Sorgen.»

Lelia Hunziker, Geschäftsführerin der FIZ Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration, stellt Ähnliches fest. Die Push-Faktoren in den Herkunftsländern seien durch die Coronakrise grösser geworden. «Die wirtschaftliche Situation insbesondere von niedrig qualifizierten Arbeitenden hat sich verschlechtert. Gerade in den osteuropäischen Ländern entschieden sich deswegen viele für die Migration – und für die Sexarbeit», sagt Hunziker.

Eine weitere Beobachtung, die unterstützende Organisationen machen, ist der zunehmende Preiszerfall. Derzeit gebe es viel mehr Sexarbeiterinnen als Kunden, die eine erotische Dienstleistung kaufen wollten, so Bänninger von Isla Victoria. «Und wo das Angebot grösser ist als die Nachfrage, dort sinken bekanntermassen die Preise.» Was in der Marktwirtschaft üblich sei, habe für Sexarbeitende fatale Auswirkungen. Bänninger sagt: «Die Freier erhalten einen grösseren Verhandlungshebel. Sie verlangen Praktiken, die mit einem gesundheitlichen Risiko verbunden sind, ungeschützten Sex zum Beispiel, und die Frauen können kaum ablehnen, weil sie das Geld dringend brauchen.»

Mehr Krankheiten und ungewollte Schwangerschaften

Solche Tendenzen habe man bereits während des Verbots in den vergangenen Monaten beobachten können. Gemäss eines Expertinnenberichts des Netzwerks ProCoRe steckten sich während des Prostitutionsverbots mehr Sexarbeiterinnen mit einer Geschlechtskrankheit an oder wurden ungewollt schwanger. Die Frauen, die während dieser Zeit trotzdem gearbeitet hätten, seien einem grossen Druck ausgesetzt gewesen. Dabei sei es auch zu mehr Gewalt gegenüber Sexarbeiterinnen gekommen, auch habe es Fälle gegeben, wo Freier nach erhaltender Dienstleistung, ohne zu bezahlen, gegangen seien.

FIZ-Geschäftsführerin Hunziker sagt, es sei sicherlich eine Verbesserung, dass das Verbot endlich aufgehoben wurde. Doch die Situation mit den vielen neuen Sexarbeitenden und dem fortschreitenden Preisabfall, müsse jetzt beobachtet werden. «Vor allem ist jetzt wichtig, dass die beratenden Organisationen diese Menschen erreichen und ein Vertrauensverhältnis aufbauen.» Je weniger Erfahrungen die Frauen hätten, umso wichtiger wäre Vernetzung. «Sexarbeit ist stark reguliert. Viel muss beachtet werden. Das Risiko, von falschen Personen Unterstützung zu bekommen und dann ausgebeutet zu werden, ist gross.»

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230 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Raembe
08.06.2021 06:19registriert April 2014
Also sry, wer von Jmd ungeschützten Sex verlangt ist ein absolutes Schwein. Speziell wenn man die Situation von Strassenstrich-Prostituierten dafür ausnutzt.

Als Mann ekle ich mich manchmal richtig von meinen Geschlechtsgenossen, wenn ich sowas höre.
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mMn
08.06.2021 06:39registriert September 2020
Interessanter Artikel... Corona hat viele Auswirkungen. Ich hoffe gewisse Kreise (Konservative und sonstige Verblendete), die das Sexgewerbe immer versucht auszugrenzen, an den Rand der Stadt in Boxen zu vertreiben, lernen endlich, dass diese Menschen zu unserer Gesellschaft gehören wie alle anderen.

Dass die Krankheiten und ungewollten Schwangerschaften unter dem Verbot zugenommen haben, wundert mich überhaupt nicht.
Ein Verbot ist hier schlicht Augenwischerei und brandgefährlich, da es Menschenhandel und anderen üblen Zeitgenossen ungemein in die Hände spielt.
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Glenn Quagmire
08.06.2021 09:08registriert Juli 2015
Ein Freier, der ungeschützten Sex verlangt, kann doch gerade so gut Russisches Roulette spielen. Nicht nur das er eine Gefahr für die Frauen ist, umgekehrt kann Mann sich auch bei Ihnen anstecken und dann ein paar Tage später schön die nächste damit anstecken wo sich dann das ganze Spielchen wiederholt.

Einfach widerlich!
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