Der Bundesrat hat die «Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle» (NAGRA) 2011 beauftragt, mindestens je zwei Standorte für die Lagerung von hochradioaktiven (HAA) sowie schwach- bis mittelradioaktiven (SMA) Materialien vorzuschlagen. Nun schlägt die NAGRA vor, die Suche auf Jura Ost (Bözberg, AG) und Zürich Nordost (Weinland, ZH/TG) einzuschränken – für beide Arten von Abfällen.
Die NAGRA hat auf vier Kriterien fokussiert: Die Wirksamkeit der Gesteinsbarriere, die Langzeitstabilität, die Zuverlässigkeit der Voraussagen und die bautechnische Machbarkeit. Zwar erfüllen alle sechs ursprünglich eruierten Standorte die Sicherheitsanforderungen. Jura Ost und Zürich Nordost schneiden in der Gesamtbilanz aber deutlich am besten ab.
Nein, theoretisch werden weiterhin andere Standorte in Betracht gezogen. «Es ist noch keine Region definitiv ausgeschieden», sagte Franz Schnider, Vizedirektor des Bundesamts für Energie (BFE). Das wäre allerdings überraschend. Der gestern kommunizierte Beschluss dürfte richtungsweisend sein.
In den fünf Schweizer Atomkraftwerken fallen jedes Jahr rund 75 Tonnen verbrauchter Brennstoff an. Je nach Laufzeit der Anlagen ergibt dies hochradioaktiven Abfall im Umfang von 3000 bis 4300 Tonnen. Deutlich grösser ist die Menge von schwach- oder mittelradioaktiven Abfällen, die teilweise auch aus der Medizin stammen. Das Gesamtvolumen wird auf 100'000 Kubikmeter geschätzt – das entspricht der Grösse der Zürcher Bahnhofshalle.
Bevor sie in ein Endlager gebracht werden können, müssen die radioaktiven Abfälle zuerst gekühlt werden. Laut der Nachrichtenagentur SDA lagerten Ende 2013 3600 Kubikmeter bei den Atomkraftwerken, 1700 Kubikmeter in den Lagerhallen der Zwischenlager in Würenlingen AG und 1500 Kubikmeter in Lagern des Bundes. Als Endlager eignen sich diese nicht. Denn wer weiss schon, wie die Welt in Tausenden von Jahren aussieht?
Bei den hochradioaktiven Materialien dauert es rund 200'000 Jahre, bis die Strahlung auf ein in der Natur vorkommendes Niveau zurückgeht. Beim schwach- und mittelaktiven Abfall sind es rund 30'000 Jahre.
Das Kernenergiegesetz (KEG) schreibt vor, dass die in der Schweiz anfallenden radioaktiven Abfälle grundsätzlich im Inland entsorgt werden müssen. Was heisst grundsätzlich? Theoretisch erlaubt das KEG in Ausnahmefällen die Ausfuhr von radioaktiven Abfällen – allerdings mit einer Rücknahmepflicht. «Es ist ein Problem, das wir selbst kreiert haben und entsprechend auch eine Lösung finden müssen», sagte gestern der zuständige BFE-Leiter.
Am weitesten fortgeschritten sind die Pläne in Finnland, dort ist ein Tiefenlager für radioaktive Abfälle im Bau. Es soll im Jahr 2022 in Betrieb genommen werden. Auch Schweden hat bereits Standorte auserkoren, dort wird ab 2019 gebaut.
Die Regionen, die prioritär als Endlager infrage kommen, sind naturgemäss äusserst skeptisch. Der Zürcher Baudirektor Markus Kägi – an der Pressekonferenz notabene als Vertreter des Ausschusses der Kantone anwesend – machte aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. «Die Einengung der Anzahl Standorte kann man für verfrüht halten», sagte er. Auch der Kanton Aargau ist unzufrieden: «Wir wollen kein Endlager», sagte Baudirektor Stephan Attiger. Man trage bereits heute grosse Lasten im Verkehrs- und Energiebereich. Vorbehalte gibt es sogar aus dem Ausland: Der Landkreis Waldshut bemängelt, dass beide vorgeschlagenen Standorte nahe der deutschen Grenze liegen. Nidwalden reagiert dafür mit Befriedigung darauf, dass der Wellenberg nicht mehr im Fokus steht.
Die Ergebnisse der NAGRA werden nun vom Nuklearsicherheitsinspektorat, der Kommission für nukleare Sicherheit, Bundesstellen und den Kantonen überprüft. Der Bundesrat entscheidet voraussichtlich 2017, ob er den Entscheid der NAGRA stützt. Der definitive Standortentscheid soll 2027 fallen. Danach geht die Vorlage ins Parlament und – sofern das Referendum ergriffen wird – vors Volk. Erst im fernen Jahr 2060 dürften die ersten Brennstäbe ihre ewige Ruhe im Gestein finden.