Schweiz
Gesellschaft & Politik

SVP-Motion gegen Familiennachzug: Asyldebatte sorgt für rote Köpfe

Debatte um Familiennachzug bewegt die Schweiz: «Hier wurde eine rote Linie überschritten»

Mit Stimmen der FDP und der Mitte brachte die SVP eine Motion durch, die das Recht auf Familiennachzug für vorläufig aufgenommene Personen abschaffen will. Die SP sieht darin einen Verstoss gegen die Menschenrechte, einen Appell an den Ständerat haben bereits über 120'000 Personen unterschrieben.
25.09.2024, 12:1225.09.2024, 13:43
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Der Entscheid des Nationalrates fiel letztendlich relativ deutlich aus. Mit 105 zu 74 Stimmen unterstützte die grosse Kammer eine Motion der SVP, die vorläufig aufgenommenen Personen das Recht auf Familiennachzug in Zukunft absprechen möchte.

Noch während die Asyldebatte in der grossen Kammer lief, lancierte die SP einen Appell. Dieser fordert den Ständerat auf, «den unmenschlichen und widerrechtlichen Entscheid des Nationalrats zu korrigieren».

Zur geplanten Asyldebatte kam es im Ständerat am Mittwoch jedoch nicht. Die kleine Kammer hat den Antrag auf Entzug des Rechts für Familiennachzug und zwei weitere Vorstösse der SVP an die staatspolitische Kommission zurückgewiesen.

Pascal Schmid, SVP-TG, Marcel Dettling, SVP-SZ, Thomas Aeschi, SVP-ZG, Min Li Marti, SP-ZH, und Christian Imark, SVP-SO, von rechts nach links, warten darauf, ihre Fragen an Bundesrat Beat Jans zu ste ...
Im Nationalrat fand am Dienstag eine ausserordentliche Asylsession statt, im Ständerat am Mittwoch nicht. Bild: keystone

Grünen-Ständerat Mathias Zopfi hat einen entsprechenden Ordnungsantrag eingereicht. Es stellten sich grundrechtliche Fragen bei den Asyl-Vorstössen der SVP, deshalb solle sich die Kommission zuerst differenziert mit ihnen auseinandersetzen, bevor der Rat darüber befindet.

Bis jetzt (Stand 12:00 Uhr) haben in rund 24 Stunden über 120'000 Personen den Appell unterstützt. SP-Nationalrätin Nina Schläfli zeigt sich überwältigt: «Diese grosse Solidarität aus der Zivilgesellschaft macht Mut und bestätigt uns darin, in dieser Frage nicht nachzulassen und bessere Lösungen für vorläufig aufgenommene Geflüchtete zu finden.»

Nina Schlaefli, SP-TG, hoert einem Votum zu, an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 3. Juni 2024 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Nina Schläfli von der SP. Bild: keystone

In einer Mitteilung schreibt die SP:

«Das immense Engagement der Bevölkerung hat Wirkung gezeigt: So hat der Ständerat das Geschäft heute an die zuständige Kommission zurückgewiesen. Die SP begrüsst, dass sich Letztere nun Zeit nimmt, das Dossier gründlich zu prüfen.»

Auch Co-Parteipräsident Cédric Wermuth ist über die Resonanz des Appells erfreut. Auf X schreibt er: «Die Menschen in der Schweiz zeigen weit mehr Herz als der Nationalrat.»

Definition
Vorläufig aufgenommene Personen sind nicht an Leib und Leben bedroht, haben einen negativen Asylentscheid erhalten, können jedoch nicht ausgeschafft werden. Die Gründe dafür sind Unzumutbarkeiten im Heimatland wie Bürgerkrieg, allgemeine Gewalt oder medizinische Notlagen.

Der Begriff vorläufige Aufnahme sei jedoch irreführend, wie CH Media schreibt. Die allermeisten Menschen bleiben definitiv in der Schweiz. Zum Beispiel zwischen 2011 und 2021 erteilte der Bund 65'126 vorläufige Aufnahmen; etwa 35'000 Personen erhielten in diesem Zeitraum in der Folge eine Aufenthaltsbewilligung. Tatsächlich ausgeschafft wurden nur 112 vorläufig aufgenommene Personen.

Steigbügelhalter Mitte

Um die Motion durchzubringen, brauchte die SVP nebst den Stimmen der FDP auch einige Befürwortende aus der Mitte-Fraktion. Und diese hatte sie. 19 der 31 Mitglieder (bei 5 Nein-Stimmen und 5 Enthaltungen) unterstützten das Bestreben der SVP und machten die Annahme so erst möglich.

SP-Nationalrätin Nina Schläfli zeigt sich über das Abstimmungsverhalten der Mitte enttäuscht:

«Dass so viele Mitglieder der Mitte diese extreme Forderung der SVP unterstützen, zeigt den deutlichen Rechtsrutsch im Parlament. Wie die Mitte dies als Familienpartei mit sich vereinbaren kann, muss sie selbst erklären.»

Schläfli bezeichnet den Entscheid des Nationalrates als «höchst problematisch», als einen Verstoss gegen die Menschenrechte und die Bundesverfassung. Die SP-Nationalrätin stört sich zudem an der Begrifflichkeit. Vorläufig aufgenommene Personen seien nichts anderes als Kriegsflüchtlinge.

Sie hätten zwar einen negativen Asylentscheid erhalten, weil sie individuell nicht nachweisen konnten, an Leib und Leben bedroht zu sein. «Trotzdem herrscht in ihrer Heimat weiterhin Krieg oder Bürgerkrieg und sie können nicht zurückkehren», so Schläfli.

Diesen Kriegsflüchtlingen werde mit dem Entscheid des Nationalrates das Recht genommen, ihre Ehepartner und Kinder irgendwann wieder bei sich in Sicherheit zu wissen. «Dies ist unmenschlich, weil es dazu führen kann, dass sich mehr Frauen und Kinder auf den Weg über die gefährliche Mittelmeerroute machen.»

Hürden sind bereits hoch

Nik Gugger war einer der fünf Politiker, die gegen den SVP-Vorstoss stimmten. Der EVP-Politiker, der der Mitte-Fraktion angehört, bedauert den Entscheid des Nationalrates:

«Das, was gestern passiert ist, ist total unverständlich, schockierend und völkerrechtswidrig.»
Niklaus Nik Gugger, Nationalrat EVP-ZH, spricht waehrend einer Medienkonferenz ueber ein Nein zum revidierten Jagdgesetz am Montag, 17. August 2020 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Nik Gugger hat kein Verständnis für den Entscheid des Nationalrates.Bild: keystone

Gugger, langjähriger Aussenpolitiker und Mitglied des Europarates, sagt zu watson: «Im Moment macht sich die Schweiz unglaubwürdig. Eine Mehrheit des Nationalrats ist sich sehr wohl bewusst, dass hier eine rote Linie überschritten wurde.»

Die Hürden für den Familiennachzug seien bereits sehr hoch, so Gugger. «Es kann nicht einfach jeder seine Familie in die Schweiz holen.»

Tatsächlich müssen zahlreiche Bedingungen erfüllt sein, dass eine vorläufig aufgenommene Person ihre Familie nachziehen kann. Ein Gesuchsteller muss mindestens drei Jahre in der Schweiz leben, sich in der Ortssprache verständigen können, wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen und eine genügend grosse Wohnung haben.

Weitere Verschärfungen kamen nicht durch

Die SVP wollte im Rahmen der Asylsession weitere Vorstösse durchbringen, dies gelang ihr trotz Unterstützung der FDP jedoch nicht.

Einer der Vorschläge hatte zum Ziel, dass die Schweiz nicht mehr auf Asylgesuche von Personen eintritt, die via sichere Drittstaaten in die Schweiz gekommen sind. Er scheiterte mit 89 Ja- zu 94 Nein-Stimmen.

Ein anderer Plan war die Schaffung von Transitzonen in Grenzkantonen. Dieses Vorhaben lehnte der Nationalrat mit 97 zu 90 Stimmen ab.

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371 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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livibe
25.09.2024 12:30registriert September 2023
Das ist das denken von der Schweiz, die Realität ist eine andere. Wenn praktisch sich nur die Schweiz an Geritsurteilen fügt. Ein bemerkenswerter Wandel hat sich in den skandinavischen Ländern vollzogen, wo auch mit Beteiligung linker Parteien ein Paradigmenwechsel von idealistischen Ansätzen hin zu pragmatischeren, realitätsnahen Politiken stattfand. Diese Länder, die einst eine sehr liberale Einwanderungspolitik hatten, haben in den letzten Jahren eine restriktivere Haltung eingenommen, was zeigt, dass politische Realitäten oft ideologische Positionen überlagern.
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Marius98
25.09.2024 12:33registriert April 2023
Es braucht dringend Verschärfungen im Asylbereich. Ansonsten wird die SVP zu Recht bei den nächsten Wahlen einen Erdrutschsieg erreichen. Oder die Nachhaltigkeitsinitiative und Grenzschutzinitiative werden angenommen, was mir auch absolut recht wäre.
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@Jeff
25.09.2024 12:38registriert Juli 2023
"Bis jetzt (Stand 12:00 Uhr) haben in rund 24 Stunden über 120'000 Personen den Appell unterschrieben"

Es erfolgte keine Unterschrift, sondern es haben sich 120 000 Mailadressen (kann man z.B. mit yopmail.com generieren) mit Schweizer Namen/Vornamen/Strassen/Orten (kann man z.B. aus search.ch auslesen) und mit gültigem Schweizer Telefonnummerformat (076/078/079+8 Zahlen) für den SP Newsletter angemeldet.

Das müssen nicht unbedingt reale Personen sein, das müssen auch nicht unbedingt Stimmberechtigte sein.

Fallt nicht so leicht auf eine simple SP Marketingkampagne rein
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