Das Schweizerische Rote Kreuz steht für Schweizer Werte: Verlässlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität – für schnelle Hilfe ohne Firlefanz.
Doch seit geraumer Zeit kriselt es gewaltig innerhalb der Organisation, die normalerweise bei Krisen hilft – in der Folge gehen die Spenden zurück. Jetzt soll Ex-Bundesrätin Simonetta Sommaruga im Gespräch sein, um das Chaos zu ordnen.
Was ist da los?
Begonnen hat in der öffentlichen Wahrnehmung alles mit dem unrühmlichen Abgang des langjährigen Direktors Markus Mader im Dezember 2022.
Der sogenannte Rotkreuzrat, der Verwaltungsrat des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK), hat am 15. Dezember 2022 entschieden, sich von Mader «zu trennen», wie es damals in einer Pressemitteilung hiess. Per sofort. Mader hatte zu diesem Zeitpunkt über 20 Jahre lang für das SRK gearbeitet und war seit 2008 Direktor der Organisation. Die Abstimmung fiel äusserst knapp aus: mit 6 zu 4 Stimmen. Die vier unterlegenen Ratsmitglieder traten nach der Sitzung umgehend zurück.
Der Entscheid wurde mit einer «unterschiedlichen Auffassung in Führung und Organisation des SRK und der einzelnen Mitgliederorganisationen» begründet. So sollen unter anderem die 24 Kantonalverbände mit dem Zentralismus nicht einverstanden gewesen sein, der unter dem langjährigen Direktor Markus Mader geherrscht haben soll.
Ein regelrechter Sturm der Entrüstung prasselte auf den Rotkreuzrat ein. Dabei habe dieser Personalentscheid bereits seit Jahren im Raum gestanden, sagte die scheidende Präsidentin des SRK, Barbara Schmid-Federer, kürzlich in einem CH-Media-Interview. «Eine Mehrheit des Rotkreuzrats sah in Markus Mader nicht mehr die richtige Person für die anstehenden Veränderungen und die Zukunft.»
Im vergangenen April dann der mediale Paukenschlag: Mader erklärte, dass er im Dezember weder über die Begründung informiert noch angehört worden sei. Eine Recherche von «Blick» ergab, dass Mader bis Ende September 2023 weiterhin seinen vollen Lohn fordert – auch, weil er nach der folgenschweren Abstimmung krankgeschrieben war. Sein Jahreslohn beläuft sich auf eine Viertelmillion Franken.
Zudem wolle er danach bei einem Pensum von 80 Prozent zwei Jahre lang in einer beratenden Funktion tätig sein. Das SRK wollte den Forderungen Maders nicht nachkommen, sondern das Arbeitsverhältnis per Ende September 2023 auflösen. Dies ging aus Dutzenden Mails, Arbeitsverträgen und Protokollen hervor, die dem «Blick» vorlagen.
Gekündigt wurde Mader aufgrund der Krankschreibung bis heute nicht.
Ein externer Untersuchungsbericht hat die Ereignisse im Dezember aufgearbeitet und die Ergebnisse im Mai veröffentlicht. Er kam zu dem vernichtenden Schluss: Der Rauswurf sei zu wenig begründet gewesen.
Der externe Untersuchungsbericht kritisiert nicht nur den Rauswurf von Mader, sondern auch die Führungspersonen des SRK – besonders Präsidentin Barbara Schmid-Federer. Sie zeige «wenig Eignung und Willen zur Führung». Diese Kritik weist die 57-Jährige im CH-Media-Interview aber zurück: «Die im Bericht erhobenen Vorwürfe gegen mich sind völlig unzureichend begründet und deshalb nicht ausschlaggebend für mich.»
Sie sagt aber auch: «Der Bericht hat gezielt eine Dynamik entfacht, die dem Ruf des SRK langfristig zu schaden droht.» Ein Kesseltreiben des Mader-Lagers gegen Schmid-Federer soll stattgefunden haben, so CH Media.
Die ehemalige CVP-Nationalrätin ist seit 2022 Präsidentin des SRK. Beziehungsweise war Präsidentin des SRK. Vergangenen Freitag ist sie nämlich per sofort zurückgetreten – «aus gesundheitlichen Gründen und im Sinne der Institution».
Mittlerweile wird von mehreren Seiten und Unterorganisationen gefordert, dass der ganze Rotkreuzrat zurücktritt. Am 24. Juni 2023 wird der Rotkreuzrat von der Delegiertenversammlung neu gewählt.
Die Querelen in der Führung haben sich auch bei den Arbeitnehmenden bemerkbar gemacht.
Mindestens zwei Whistleblowing-Meldungen seien beim Meldeportal des SRK in diesem Jahr eingegangen, weiss die «Sonntagszeitung». In diesen Meldungen werde der Umgang mit Mitarbeitenden schwer kritisiert. Von einer «toxischen Stimmung» sei unter anderem die Rede.
Beim SRK sind rund 5300 Angestellte sowie ca. 50'000 Freiwillige beschäftigt. Normalerweise arbeiten sie bei einem Arbeitgeber, der hierzulande zu den beliebtesten überhaupt gehört. Zwar haben in letzter Zeit nicht übermässig viele SRK-Mitarbeitende die Organisation verlassen, aber sie scheinen mit ihrem Arbeitsort weniger zufrieden zu sein im Vergleich zu den Vorjahren – das zeigt zumindest der GFK Business Reflector vom März. Bei diesem Ranking stürzte das SRK von Platz zwei auf Platz sechs ab.
Doch warum verlassen die Menschen das Unternehmen nicht einfach? Gegenüber der «Sonntagszeitung» sagte eine Mitarbeiterin: «Wir fühlen uns verpflichtet, den Laden am Laufen zu halten.»
In der Zwischenzeit sind die Spenden eingebrochen. Ein Sprecher des SRK sagte der «Sonntagszeitung», dass gerade potenzielle Neuspender und Neuspenderinnen von den internen Streitereien und der negativen Berichterstattung abgeschreckt würden. So hätten nur gerade 3 Prozent aller Kontaktierten im März auch gespendet, im Vorjahr habe die Quote bei über 5 Prozent gelegen. Zudem sei die Durchschnittsspende gesunken – «von 48 Franken im Vorjahr auf 44 Franken», so die «Sonntagszeitung».
Um wie viel die Spenden aufgrund des Chaos auf Führungsebene genau eingebrochen sind, lässt sich erst Ende Jahr sagen. Doch gerade für Kantonalverbände könnten die Spendeneinbussen einschneidend sein, so die «Sonntagzeitung».
Mittlerweile reagierte auch die Zewo, also die Zertifizierungsstelle, die ein Gütesiegel an Spenden sammelnde Non-Profit-Organisationen verleiht. Diese hatte bereits im Januar 2023 die SRK-Präsidentin Barbara Schmid-Federer zu sich zitiert.
Im Jahr 2021 nahm die Organisation über 116 Millionen Franken ein. Rund 50 Millionen Franken davon kamen von privaten Spenden, Erbschaften und Legaten. 30,1 Millionen Franken wurden von der öffentlichen Hand beigesteuert. Dazu kommen 13,6 Millionen Franken aus Lieferungen und Leistungen sowie 22,6 Millionen Franken als Beiträge anderer Hilfswerke.
Doch wie geht es jetzt weiter mit dem quasi führungslosen und vor sich hin serbelnden Schweizer Vorzeigehilfswerk?
Die «NZZ am Sonntag» schrieb am vergangenen Wochenende, dass die ehemalige Bundesrätin Simonetta Sommaruga das SRK aus der Krise lenken solle. Mehrere Quellen hätten bestätigt, dass bereits erste informelle Sondierungsgespräche stattgefunden hätten. Dabei soll die ehemalige Spitzenpolitikerin ein Engagement für das SRK nicht ausgeschlossen haben.
An der Basis wird sehr gut gearbeitet.
Dies heisst nicht, dass die Direktorin und der Rat nicht ebenfalls Fehler gemacht haben - aber diese gehören intern aufgearbeitet.