Drei heftige Erdbeben haben am Montagmorgen Teile der Türkei und Syriens erschüttert. Das Epizentrum: Südostanatolien. Ganze Strassenzüge sind eingestürzt. Zehntausende Menschen wurden schlafend in ihren Betten unter den herabstürzenden Gebäudeteilen begraben. Tausende sind tot.
Doch es gibt auch Überlebende. Und um sie unter den Trümmern zu finden, hat Redog, der schweizerische Verein für Such- und Rettungshunde, eine Delegation ins Katastrophengebiet entsandt.
Monika Suter und ihre Hündin Nukka sind eines der Gespanne, das mit Redog in die Türkei gereist ist, um nach Überlebenden zu suchen. Im Interview erzählt die Hundeführerin, wie sie diese Ausnahmesituation erlebt – und warum es mitten im Leid auch schöne Momente gibt.
Sie sind gerade als Hundeführerin in Iskenderun. Was machen Sie da genau?
Meine Hündin Nukka und ich suchen in den Trümmern, die das Erdbeben hinterlassen hat, nach lebenden Personen. Dafür sind wir ausgebildet.
Hatten Sie bereits Erfolg?
Ja! Meine Equipe hat vier lebende Personen gefunden. Allerdings hat nicht Nukka sie aufgestöbert.
Es sind also mehrere Hunde mit dabei – wie gross muss man sich denn Ihre Equipe vorstellen?
Hier in Iskenderun sind wir im Moment fünf Personen: unser Equipenleiter, insgesamt drei HundeführerInnen mit je einem Hund und ein Arzt. Es sind alles unglaublich tolle Leute. Ich bin sehr froh, sind sie alle hier mit mir. Dann gibt es noch eine zweite Equipe sowie die vier Equipen, welche mit der Rettungskette Schweiz im Einsatz stehen. Ich bin ein Teil eines grossen Ganzen hier.
Sie haben in der Nacht von Sonntag auf Montag den Anruf bekommen und es hiess, «jetzt geht’s los». Wie war das für Sie?
Ich war gerade im Nachtdienst auf der Intensivstation. Dann kam der Anruf des Einsatzleiters in Basel: Es habe ein Erdbeben in der Türkei und Syrien gegeben. Ich habe mich sofort für den Einsatz zur Verfügung gestellt, auch mein Arbeitgeber hat zugesagt.
Und was ist Ihnen dann durch den Kopf?
Ich war sehr aufgeregt! Es ist mein erster Einsatz. Eigentlich hat man zu Hause alles bereit. Doch nach dem Anruf bin ich die Packliste von Redog noch einmal durchgegangen und habe mir überlegt: Was muss ich wirklich packen? Man weiss ja nie, wie lange der Einsatz dauert. Gegen Mittag kam dann das Okay, dass ich definitiv dabei sein werde.
Und wie ging es dann weiter für Sie und Nukka?
Mit einem Rega-Flug sind wir in die Türkei geflogen. Das war eine sehr spezielle Erfahrung. Am Anfang waren die Hunde aufgeregt, denn Fliegen ist für sie ungewöhnlich. Auf dem Flug konnten wir dann aber noch einmal etwas schlafen.
Wie war die Ankunft in der Türkei – im Wissen, was dort gerade passiert ist?
Zuerst konnten wir nicht wie geplant landen, denn die Landebahn hier im Erdbebengebiet war beschädigt worden. Darum sind wir in Adana gelandet. Etwa 200 Kilometer mussten wir entsprechend noch mit Fahrzeugen zurücklegen. Am Dienstagmorgen um 4 Uhr kamen wir endlich an unserem Ziel an: Iskenderun, eine völlig zerstörte Stadt. Es war etwa 0 Grad und hat zusätzlich genieselt. Wir hatten den Boden eines Landes unter den Füssen, über dessen Menschen gerade eine riesige Katastrophe hereingebrochen ist.
Wie sieht Euer Rettungseinsatz aus?
Na ja. Alles ist sehr spontan. Nach unserer Ankunft begann für unsere Equipe gleich der Einsatz, vier Schadenplätze haben wir bis 8 Uhr abends durchsucht. Unsere türkische Partnerorganisation GEA* koordiniert dabei, zu welchem Schadenplatz es für uns geht.
Wie ging es nach diesem ersten Einsatz weiter?
Nach diesem ersten Tag sind wir zum ersten Mal in unser Basecamp, um uns etwas hinzulegen und zu essen. Um fünf Uhr wurden wir dann wieder geweckt und waren bis eben unterwegs. Wie es jetzt weitergeht, wissen wir noch nicht. Vielleicht kann ich mich nachher noch wenige Stunden hinlegen. Aber vielleicht geht es auch unmittelbar weiter.
Wie muss man sich dieses Basecamp vorstellen? Leben Sie in einer Unterkunft?
Nein. Wir sind auf einem Militärgelände, wo für uns Zelte aufgestellt wurden. Die Hunde sind hier immer bei uns.
Bei Temperaturen um den Nullpunkt.
So ist es. Während den Einsätzen sind wir in einem kleinen Personenbus unterwegs. Wenn man Glück hat, kann man sich da jeweils etwas aufwärmen zwischen den Einsätzen.
Sie sprechen ganz ruhig, während im Hintergrund immer wieder Sirenen zu hören sind oder das Gespräch kurz vom Einsatzleiter unterbrochen wird. Hilft Ihnen Ihre Erfahrung, als Pflegefachperson auf der Intensivstation, mit diesem Druck umzugehen, dass es bei Ihrem Einsatz um Leben und Tod geht?
Ja, das hilft mir. Denn ich habe Erfahrung darin, mit Angehörigen umzugehen, die Schicksalsschläge erleben. Aber das hier ist eine Extremerfahrung. Es ist ein so grosses Leid. Das kann man sich gar nicht vorstellen oder sich darauf vorbereiten. Aber ich weiss auch, dass der Einsatz hier irgendwann ein Ende hat. Das hilft auch.
Wie erleben Sie die Angehörigen von Verschütteten?
Die Menschen haben noch viel Hoffnung, dass wir ihre Angehörigen lebend finden. Das gibt selbstverständlich einen gewissen Druck. Wir spüren auch die Enttäuschung, wenn wir ihre Angehörigen nicht lebend finden. Die Verzweiflung wird immer grösser, mit jeder Stunde, die vergeht. Gleichzeitig sind die Menschen extrem dankbar, dass wir hier sind. Das merken wir auch. Sie bringen uns Essen oder Getränke. Das ist unglaublich schön. Ich weiss, dass ich hier etwas Gutes tue.
Und wie geht es Nukka?
Für die Hunde ist es sehr anstrengend. Die Umgebung ist ungewohnt, die Geräusche. Sie kommen ebenfalls kaum zum Schlafen. Ich merke, dass es Nukka an die Substanz geht – gerade die Suchen. Denn sie hat hier – im Gegensatz zu den Trainings – nur selten Erfolg. Das haben wir zwar alles trainiert, aber dieser Einsatz unterscheidet sich doch sehr vom Training.
Haben Sie sich aufgrund des Trainings den Einsatz anders vorgestellt?
Es ist vieles anders. Aber ich hatte keine konkreten Vorstellungen von einem Ernstfall, denn meistens kommt es ohnehin anders, als man denkt. Das Wichtigste ist, dass der Hund und der Hundeführer eine gute Ausbildung haben – das ist das A und O. Und Redog hat ein hervorragend ausgebildetes Team. Zudem ist unser Equipenleiter sehr auf unsere Sicherheit bedacht.
Die Ausbildung bei Redog ist sehr zeitaufwendig. Warum haben Sie das überhaupt auf sich genommen?
Mich reizen die Sucharbeiten, das, was ich hier vor Ort mache. Und mich reizt es, etwas zusammen mit dem Hund aufzubauen. Mein Vorgängerhund war aber zu stürmisch für eine Ausbildung bei Redog und ich konnte mir die vielen Trainings auch nicht wirklich vorstellen neben dem Job.
Und warum sind Sie trotzdem bei Redog gelandet?
Mit Nukka war ich zuerst im Sporthundebereich tätig, genau wie mit dem Vorgängerhund. Dort wurde sie als Sanitäts- und Begleithund ausgebildet. Nach einem Schnuppertag bei Redog hat es mir dann regelrecht den Ärmel reingenommen.
Was zeichnet denn Nukka aus, dass gerade Ihr zwei als Gespann für Redog funktioniert?
Ein Redog-Hund muss arbeitsfreudig und mutig sein. Gleichzeitig soll er aber kein Kamikazehund sein, der sich in alles reinstürzt. Nukka bringt das alles mit. Sie ist richtig begeisterungsfähig für alles, das ich mit ihr mache. Und als Labrador hat sie eine gute Grösse. Sie ist eine wirklich tolle Hündin!
Was bedeutet Ihnen die Anwesenheit von Nukka in der momentanen Situation?
Ohne Nukka wäre ich nicht hier. Sie ist mein bester Freund, der auch hier bei mir ist. Sie ist immer da. Ich kann sie auch mal knuddeln. Das hilft sehr.