Die Volksinitiative «Für eine öffentliche Krankenkasse» hat ganz schlechte Karten. In der ersten SRG-Umfrage sprachen sich 51 Prozent gegen und nur 40 Prozent für das Volksbegehren aus, über das am 28. September abgestimmt wird. Die zweite Umfrage, deren Ergebnisse am Mittwoch veröffentlicht werden, dürfte diesen Trend verstärken.
Das Nein ist programmiert. Dabei haben die Initianten vieles richtig gemacht, anders als bei der ersten Einheitskassen-Vorlage, die 2007 mit 71,2 Prozent Nein massiv verworfen wurde. Ihr Komitee ist breit abgestützt. Sie widerstanden der Versuchung, einkommensabhängige Krankenkassenprämien zu fordern. Und sie wollen weiterhin kantonal unterschiedliche Prämien ermöglichen, was den skeptischen Deutschschweizern entgegenkommen soll.
Für die Vorlage sprechen auch Fehlentwicklungen im heutigen System mit mehr als 60 privaten Krankenkassen. Die Jagd auf junge, gesunde Prämienzahler wird zwar durch den vom Parlament mehrfach verschärften Risikoausgleich zunehmend unattraktiv. Doch immer noch versuchen zahlreiche Kassen, «schlechte» Risiken wegzuekeln. Sie bieten etwa keine Offerte an, wenn man auf dem Vergleichsdienst Comparis die tiefste Franchise von 300 Franken wählt. Kunden mit tiefer Franchise stehen unter Verdacht, hohe Kosten zu verursachen.
Andere Beispiele hat der frühere Ärztepräsident Jacques de Haller im watson-Interview erwähnt: Reine Online-Kassen, die auf Anträge von älteren Menschen gar nicht reagieren in der Hoffnung, diese so abzuwimmeln. Oder jene Kassen, die von ihren Kunden verlangen, Medikamente selber zu bezahlen, bevor sie eine Rückvergütung erhalten. Wer an einer chronischen oder sehr seltenen Krankheit leidet, kann dadurch in existenzielle Bedrängnis geraten. Die Absicht ist klar: Solche «Kostenverursacher» sollen zum Kassenwechsel gedrängt werden.
Derartige Praktiken verstossen zumindest im Geiste gegen die gesetzliche Aufnahmepflicht bei der Grundversicherung. Es ist absehbar, dass die Politik Massnahmen ergreifen wird. Letzte Woche hat der Nationalrat einem Gesetz zugestimmt, das die Aufsicht über die Krankenversicherer verschärft. Mit dem erklärten Ziel, der Einheitskrankenkasse den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Wenn aber die Branche immer stärker reguliert wird, stellt sich die Frage, warum es den «Pseudo-Wettbewerb» unter den Krankenkassen überhaupt braucht. Die «Berner Zeitung» spricht von einem «schlechten Witz» und ist deshalb für die Einheitskasse.
Es gäbe also gute Gründe für ein Ja am 28. September. Trotzdem dürfte die Einheitskasse klar scheitern. Der Grund ist einfach: Zu viele profitieren vom heutigen System, auch der Prämienzahler/Patient/Stimmbürger. Ihn interessiert nur eines: Eine optimale medizinische Versorgung. Was diese gefährden könnte, stösst auf Ablehnung, vor allem in der Deutschschweiz, wo die Prämienlast (noch) erträglich ist.
Verantwortlich dafür ist das Krankenversicherungsgesetz (KVG) von 1996, die letzte Gesundheitsreform, die vor dem Volk Gnade fand. Es brachte zwei wesentliche Neuerungen: Das Versicherungsobligatorium, das schwierige Solidaritätsdebatten unterbindet, etwa wer für die Kosten aufkommen soll, wenn eine nicht versicherte Person schwer erkrankt oder verunfallt. Und zum anderen die Prämienverbilligungen, die eine optimale medizinische Versorgung für die meisten Menschen erschwinglich bleiben lässt.
Der «Aufschrei» bei einem starken Prämienanstieg ist deshalb in erster Linie ein Medientheater. Der Prämienzahler/Patient/Stimmbürger macht vielleicht die Faust im Sack, zahlt aber brav weiter. Oder er wechselt zu günstigeren Versicherungsvarianten wie Hausarztmodell oder Managed Care. Kein Problem, solange dies freiwillig erfolgt. Staatlicher Zwang dagegen stösst auf Widerstand, siehe die Managed-Care-Vorlage, die vor zwei Jahren mit 76 Prozent Nein versenkt wurde.
Diese Abstimmung hat viele ernüchtert, die auf Reformen im Gesundheitswesen hoffen. «Die Gesundheitspolitik steht vor einem Scherbenhaufen», kommentierte die FDP den Entscheid. Denn auch für Managed Care sprachen viele gute Gründe, es war ein in weiten Teilen vernünftiges Reformpaket. Doch die Ärzteschaft bodigte es mit dem Killerargument «Wahlfreiheit». Dieses wird nun auch gegen die Einheitskasse ins Feld geführt, wohl erneut mit Erfolg.
In einem zentralen Punkt kann sie die Versprechen der Initianten ohnehin nicht erfüllen: Die «Prämienexplosion» lässt sich nicht stoppen. Nicht so lange wir immer älter werden und lange gesund bleiben wollen. Und deswegen die bestmögliche Behandlung beanspruchen. So lange dies gewährleistet ist und die Kosten erträglich bleiben, so lange soll sich nichts ändern.
Die öffentliche KK wird auch durch lokale Agenturen Vertreten sein und ist föderalistisch aufgebaut. Von staatlicher Einheitskasse keine Spur. Freie Arztwahl ist möglich wie auch unterschiedliche Modelle.
Die bestehenden Kassen würden entschlakt und könnten sich auf die Zusatzversicherungen konzentrieren. Da wird ja das Geld gemacht.