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GLP-Nationalrätin Bertschy muss Mutterschaftsgelder zurückzahlen

GLP-Nationalrätin muss Mutterschaftsgelder zurückzahlen – was frische Mütter wissen müssen

GLP-Politikerin Kathrin Bertschy ging zum zweiten Mal in eigener Sache vor das höchste Gericht. Jetzt hat sie erneut verloren.
05.11.2024, 12:0705.11.2024, 13:48
Andreas Maurer / ch media
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Mit jeder Geburt beginnt ihr Kampf erneut. Kathrin Bertschy hat zwei Töchter und für beide je einen Leitentscheid des Bundesgerichts erwirkt.

Nach der Geburt ihrer ersten Tochter im Jahr 2018 ging die Berner GLP-Nationalrätin im Frühling 2019 noch während ihres Mutterschaftsurlaubs zurück ins Bundeshaus. Trotzdem wollte sie für diese Zeit Mutterschaftstaggelder kassieren.

Kathrin Bertschy, Nationalraetin GLP, spricht an der Medienkonferenz des Komitees Frauenallianz fuer die BVG-Reform, am Donnerstag, 4. Juli 2024, in Bern. (KEYSTONE/Marcel Bieri)
Kathrin Bertschy bei einer Medienkonferenz im Juli.Bild: keystone

Die Berner Ausgleichskasse schaute aber genau hin und fragte bei den Parlamentsdiensten nach, ob Bertschy an Sitzungen teilgenommen habe. Diese bestätigten dies, worauf die Ausgleichskasse die Gelder zurückforderte.

Bertschy kämpfte dagegen bis vor Bundesgericht. Denn es sei eine paternalistische Sichtweise, dass sich eine Frau im Mutterschaftsurlaub während 24 Stunden am Tag um ihr Kind kümmern müsse. Sie ist Co-Präsidentin des Frauenverbands Alliance F.

Doch sie verlor. Denn das Gesetz ist klar formuliert. Grundsätzlich hat jede Frau Anspruch auf 14 Wochen Mutterschaftsentschädigung. Dieser endet aber vorzeitig, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit wieder aufnimmt.

Bertschy wunderte sich darüber, dass auch ein politisches Amt dazu zählt. Mit ihrem Nationalratsmandat verdiente sie im Jahr vor der Geburt zwar 65'000 Franken pro Jahr. Doch das ist für sie weniger eine Arbeit, sondern vielmehr ein politisches Recht.

Auch das Bundesparlament wunderte sich darüber und schrieb deshalb eine Ausnahme ins Gesetz. Demnach endet der Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung nicht mehr vorzeitig, wenn die Mutter als Ratsmitglied an Sitzungen von Parlamenten (Gemeinde, Kanton oder Bund) teilnimmt und sich dort nicht vertreten lassen kann. Diese Bestimmung trat am 1. Juli 2024 in Kraft.

Die Ausgleichskasse fordert 13'000 Franken zurück

Die biologischen Prozesse waren in Bertschys Fall aber schneller als die juristischen und politischen. Im Frühling 2021 kam ihre zweite Tochter zur Welt. Wieder nahm die Nationalrätin im Mutterschaftsurlaub an Parlamentssitzungen teil und wollte auch diesmal sowohl Sitzungsgelder als auch die Mutterschaftsentschädigung erhalten. Die Ausgleichskasse intervenierte jedoch erneut und forderte 13'000 Franken zurück.

Bertschy kämpfte wieder bis vor Bundesgericht dagegen. Und wieder sieht sie darin einen grundsätzlichen Kampf für Frauenrechte. Für Politikerinnen ist das Problem zwar inzwischen mit der Ausnahmeregelung gelöst, aber nicht für alle anderen Frauen mit einem Nebenverdienst. Deshalb testete die 45-Jährige bei ihrem zweiten Kampf durch die Instanzen eine neue Argumentation.

Diese geht so: Wenn der Verdienst während des Mutterschaftsurlaubs klein ist, sollen die Taggelder trotzdem fliessen. Tatsächlich ermöglicht dies eine Gesetzesbestimmung, solange der Nebenerwerb «marginal» ist.

Die Frage ist also, was «marginal» bedeutet. Die entsprechende Verordnung besagt: 2300 Franken pro Kalenderjahr.

Bertschy hingegen meint: 2300 Franken pro Mutterschaftsphase. Denn es sei «völlig widersinnig», den Betrag herunterzurechnen. Bei der AHV, IV und der Erwerbsersatzordnung würde man auch nicht so rechnen.

Wie viel eine Mutter während des Urlaubs verdienen darf

Das Bundesgericht beschreibt in seinem Urteil, was Bertschys Forderung bedeuten würde. Wer 100'000 Franken pro Jahr verdiene, könnte während des Mutterschaftsurlaubs acht Tage arbeiten. Und je weniger eine Mutter verdiene, desto länger dürfte sie arbeiten.

Diesmal wundert sich das Bundesgericht und stellt in seinem Entscheid fest, dass offenkundig ein «unauflösbarer Widerspruch zu den klaren Vorgaben» des Gesetzes bestehe. Der Grenzbetrag von 2300 Franken beziehe sich auf das Jahreseinkommen eines Nebenverdienstes. Und: «Triftige Gründe für ein Abweichen vom eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut der genannten Bestimmungen sind nicht ersichtlich.»

Das Bundesgericht fällt das Urteil in einer Fünferbesetzung, bestehend aus zwei Frauen und drei Männern – 2 SP, 1 Mitte, 1 FDP, 1 SVP.

Kathrin Bertschy kritisiert das Urteil als formalistisch. Es bedeute, dass zum Beispiel eine Musikerin während ihres Mutterschaftsurlaubs nicht einmal ein Weihnachtskonzert für ein paar hundert Franken spielen dürfe. Auch wenn sie monatelang geprobt habe. Sonst verliere sie ihre Mutterschaftsentsschädigung. «Das wird den heutigen Erwerbsrealitäten einfach nicht gerecht.»

Und es widerspreche dem Verfassungsgrundsatz der Gleichstellung, weil einem Mann während des Vaterschaftsurlaubs das Konzert möglich wäre, ohne finanzielle Konsequenzen. Bertschy überlege sich darum, auch hier eine politische Lösung zu finden.

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163 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Brauchst_Du_MiMiMi-Forte
05.11.2024 12:23registriert Juli 2024
Natürlich hat die Gute das politische Recht. Sie darf Demonstrieren, Abstimmen und Wählen, Referenden ergreifen und Initiativen lancieren. Aber wenn sie als Nationalrätin an Sitzungen teilnimmt, dann übt sie ihren Job aus. Punkt. Schluss. Gleiche Gesetze für alle!
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Jo B
05.11.2024 12:15registriert Dezember 2016
Dä Föifer und's Weggli und Tochter vom Beck... Heute muss es einfach immer alles sein - am liebsten vom Staat. Die Frau sollte das L in ihrem Parteinamen etwas mehr respektieren. Ein Job ist, wenn man Geld dafür bekommt. Also ist auch das "Recht" Nationalrätin zu sein ein Job. Logo.
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schlauchliebe
05.11.2024 12:19registriert Oktober 2024
gleiches recht für alle👍 gut so👍
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