Mit jeder Geburt beginnt ihr Kampf erneut. Kathrin Bertschy hat zwei Töchter und für beide je einen Leitentscheid des Bundesgerichts erwirkt.
Nach der Geburt ihrer ersten Tochter im Jahr 2018 ging die Berner GLP-Nationalrätin im Frühling 2019 noch während ihres Mutterschaftsurlaubs zurück ins Bundeshaus. Trotzdem wollte sie für diese Zeit Mutterschaftstaggelder kassieren.
Die Berner Ausgleichskasse schaute aber genau hin und fragte bei den Parlamentsdiensten nach, ob Bertschy an Sitzungen teilgenommen habe. Diese bestätigten dies, worauf die Ausgleichskasse die Gelder zurückforderte.
Bertschy kämpfte dagegen bis vor Bundesgericht. Denn es sei eine paternalistische Sichtweise, dass sich eine Frau im Mutterschaftsurlaub während 24 Stunden am Tag um ihr Kind kümmern müsse. Sie ist Co-Präsidentin des Frauenverbands Alliance F.
Doch sie verlor. Denn das Gesetz ist klar formuliert. Grundsätzlich hat jede Frau Anspruch auf 14 Wochen Mutterschaftsentschädigung. Dieser endet aber vorzeitig, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit wieder aufnimmt.
Bertschy wunderte sich darüber, dass auch ein politisches Amt dazu zählt. Mit ihrem Nationalratsmandat verdiente sie im Jahr vor der Geburt zwar 65'000 Franken pro Jahr. Doch das ist für sie weniger eine Arbeit, sondern vielmehr ein politisches Recht.
Auch das Bundesparlament wunderte sich darüber und schrieb deshalb eine Ausnahme ins Gesetz. Demnach endet der Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung nicht mehr vorzeitig, wenn die Mutter als Ratsmitglied an Sitzungen von Parlamenten (Gemeinde, Kanton oder Bund) teilnimmt und sich dort nicht vertreten lassen kann. Diese Bestimmung trat am 1. Juli 2024 in Kraft.
Die biologischen Prozesse waren in Bertschys Fall aber schneller als die juristischen und politischen. Im Frühling 2021 kam ihre zweite Tochter zur Welt. Wieder nahm die Nationalrätin im Mutterschaftsurlaub an Parlamentssitzungen teil und wollte auch diesmal sowohl Sitzungsgelder als auch die Mutterschaftsentschädigung erhalten. Die Ausgleichskasse intervenierte jedoch erneut und forderte 13'000 Franken zurück.
Bertschy kämpfte wieder bis vor Bundesgericht dagegen. Und wieder sieht sie darin einen grundsätzlichen Kampf für Frauenrechte. Für Politikerinnen ist das Problem zwar inzwischen mit der Ausnahmeregelung gelöst, aber nicht für alle anderen Frauen mit einem Nebenverdienst. Deshalb testete die 45-Jährige bei ihrem zweiten Kampf durch die Instanzen eine neue Argumentation.
Diese geht so: Wenn der Verdienst während des Mutterschaftsurlaubs klein ist, sollen die Taggelder trotzdem fliessen. Tatsächlich ermöglicht dies eine Gesetzesbestimmung, solange der Nebenerwerb «marginal» ist.
Die Frage ist also, was «marginal» bedeutet. Die entsprechende Verordnung besagt: 2300 Franken pro Kalenderjahr.
Bertschy hingegen meint: 2300 Franken pro Mutterschaftsphase. Denn es sei «völlig widersinnig», den Betrag herunterzurechnen. Bei der AHV, IV und der Erwerbsersatzordnung würde man auch nicht so rechnen.
Das Bundesgericht beschreibt in seinem Urteil, was Bertschys Forderung bedeuten würde. Wer 100'000 Franken pro Jahr verdiene, könnte während des Mutterschaftsurlaubs acht Tage arbeiten. Und je weniger eine Mutter verdiene, desto länger dürfte sie arbeiten.
Diesmal wundert sich das Bundesgericht und stellt in seinem Entscheid fest, dass offenkundig ein «unauflösbarer Widerspruch zu den klaren Vorgaben» des Gesetzes bestehe. Der Grenzbetrag von 2300 Franken beziehe sich auf das Jahreseinkommen eines Nebenverdienstes. Und: «Triftige Gründe für ein Abweichen vom eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut der genannten Bestimmungen sind nicht ersichtlich.»
Das Bundesgericht fällt das Urteil in einer Fünferbesetzung, bestehend aus zwei Frauen und drei Männern – 2 SP, 1 Mitte, 1 FDP, 1 SVP.
Kathrin Bertschy kritisiert das Urteil als formalistisch. Es bedeute, dass zum Beispiel eine Musikerin während ihres Mutterschaftsurlaubs nicht einmal ein Weihnachtskonzert für ein paar hundert Franken spielen dürfe. Auch wenn sie monatelang geprobt habe. Sonst verliere sie ihre Mutterschaftsentsschädigung. «Das wird den heutigen Erwerbsrealitäten einfach nicht gerecht.»
Und es widerspreche dem Verfassungsgrundsatz der Gleichstellung, weil einem Mann während des Vaterschaftsurlaubs das Konzert möglich wäre, ohne finanzielle Konsequenzen. Bertschy überlege sich darum, auch hier eine politische Lösung zu finden.