Schweiz
Gesellschaft & Politik

Justiz soll gegen Glarner (SVP) ermitteln dürfen

Anti-Islam-Tweet nicht von Immunität gedeckt: SVP-Glarner muss mit Strafverfolgung rechnen

Heute mussten fünf SVP-Politiker vor der Immunitätskommission erscheinen. Dabei ging es um Vorwürfe gegen Marco Chiesa, Peter Keller, Thomas Aeschi, Michael Graber und Andreas Glarner.
18.11.2024, 19:0418.11.2024, 20:05
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SVP-Nationalrat Andreas Glarner soll nach Äusserungen gegen den Islam auf X nicht durch parlamentarische Immunität geschützt sein. Der frühere SVP-Parteipräsident und Ständerat Marco Chiesa hingegen erhält diesen Schutz. In seinem Fall ging es Ermittlungen zu SVP-Wahlkampagnen von 2023.

Die Immunitätskommission (IK-N) des Nationalrates hatte am Montag über Gesuche von Justizbehörden zur Aufhebung der parlamentarischen Immunität von fünf aktiven respektive ehemaligen SVP-Parlamentariern zu entscheiden. Im Fall des Aargauer Nationalrates Glarner verneinte sie den Schutz vor Ermittlungen.

Nationalrat Andreas Glarner, SVP-AG, spricht mit Journalisten anlaesslich einer Anhoerung bei der Immunitaetskommission des Nationalrates, am Montag, 18. November 2024, in Bern. Glarner muss sich wege ...
Andreas Glarner (SVP) am Montagnachmittag in Bern.Bild: keystone

«Gefahr für die Gesellschaft»

Mit 5 zu 4 Stimmen trat sie nicht ein auf ein Gesuch um Aufhebung von Glarners Immunität zugunsten von Ermittlungen, wie die Parlamentsdienste am Montag mitteilten. Die Mehrheit fand, dass Ratsmitglieder gegenüber Privaten nicht pauschal privilegiert werden sollten, wenn sie sich in sozialen Medien äusserten.

Das Gesuch gestellt hatte die bernische Justiz. Sie hatte um eine Ermächtigung ersucht, gegen Glarner wegen Verdachts auf Diskriminierung und Aufruf zu Hass gemäss Antirassismus-Strafnorm ermitteln zu können. Glarner hatte seinen Tweet vom Juni 2024 war unter dem Hashtag «Stoppislam» veröffentlicht.

Glarner selber erklärte vor der IK-N, dass sich sein Post im Kurznachrichtendienst X in den Kontext seiner langjährigen politischen Arbeit einordnen lasse, wie es in der Mitteilung hiess. Er habe mit dem Tweet eine Gefahr für die Gesellschaft und für die Schweiz angesprochen.

Die Mehrheit der IK-N war aber der Ansicht, dass Ratsmitglieder gegenüber Privatpersonen nicht pauschal privilegiert werden sollten, wenn sie sich Plattformen äusserten. Auf Social Media könne grundsätzlich jede Person die Öffentlichkeit erreichen.

Es müsse im Einzelfall entschieden werden, ob der für die Aufhebung der relativen Immunität nötige unmittelbare Zusammenhang eines Posts mit dem Amt bestehe. Glarners Äusserung sei zu allgemein und zu pauschal, um eine Verbindung mit Ratsgeschäften zu haben. Über den Fall hat nun die Rechtskommission des Ständerates zu entscheiden.

Schutz bei Wahlkampagne

Anders verfuhr die IK-N mit dem ehemaligen SVP-Parteipräsidenten Marco Chiesa - er ist Tessiner Ständerat - sowie des ehemaligen SVP-Nationalrats und -Generalsekretärs Peter Keller. Gegen sie wollte die Berner Generalstaatsanwaltschaft ermitteln, im Zusammenhang mit einer Wahlkampagne vom Herbst 2023.

Staenderat Marco Chiesa, SVP-TI, rechts, und Alt-Nationalrat Peter Keller, verlassen das Zimmer anlaesslich einer Anhoerung bei der Immunitaetskommission des Nationalrates, am Montag, 18. November 202 ...
Marco Chiesa (r.) und Peter Keller (l.) verlassen gemeinsam das Anhörungszimmer.Bild: keystone

Die Kampagnen trugen die Titel «Neue Normalität?» und «10 Millionen-Schweiz stoppen!» und hatten unter anderem die Migrationspolitik der Schweiz im Fokus. Auch in diesem Fall ging es um Ermittlungen wegen Verdachts auf Diskriminierung und Aufrufs zum Hass.

Die IK-N lehnte es aber ab, die Immunität Chiesas und Kellers aufzuheben, im Fall von Chiesa mit 6 zu 3 Stimmen und von Keller mit 6 zu 2 Stimmen und mit einer Enthaltung. Die Aussagen der Kampagne seien der freien Meinungsäusserung und -bildung im Rahmen des demokratischen Wahlkampfes zuzuordnen, befand die Mehrheit.

Deshalb müssten sie toleriert werden. Die Organisation der genannten Wahlkampagnen habe einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem parlamentarischen Mandat von Ständerat Chiesa. Es entspreche der gängigen Praxis, bei Parteivorsitzenden diesen Zusammenhang zwischen Parteiamt und Parlamentsmandat zu sehen.

Kritik am Entscheid

Der Eritreische Medienbund Schweiz, die Antirassistische Aktion PoC und Stop Racism Now kritisierten den Entscheid. Dieser legitimiere «rassistische Wahlkampfhetze». Die SVP verfolge mit der Kampagne klar das Ziel, Angehörige rassifizierter Minderheiten herabzusetzen, indem sie diese pauschal als kriminell darstelle.

Vor der IK-N hatten am Montag noch zwei weitere SVP-Parlamentarier anzutraben: Fraktionschef und Nationalrat Thomas Aeschi (ZG) und Nationalrat Michael Graber (VS). Beide hatten sich während des Besuches des ukrainischen Parlamentspräsidenten Ruslan Stefantschuk während der Sommersession Handgemenge mit Polizisten geliefert.

Video: extern / rest/ZüriToday

Die Immunitätskommission will vor dem Entscheid eine Stellungnahme der Verwaltungsdelegation der Bundesversammlung abwarten. Letztere soll zuerst darlegen, ob die beiden Nationalräte aus ihrer Sicht die Sicherheitsvorschriften für das Parlamentsgebäude verletzt haben. (hkl/sda)

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105 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Adac Bie
18.11.2024 19:21registriert Februar 2024
"Die Immunitätskommission des Nationalrats (IK-N) will den Entscheid vertagen, bis ihr eine Stellungnahme der Verwaltungsdelegation der Bundesversammlung vorliegt. Letztere soll zuerst darlegen, ob die beiden Nationalräte aus ihrer Sicht die Sicherheitsvorschriften für das Gebäude verletzt haben, teilte die IK-N am Montagabend mit."
1. Wo ist der Zusammenhang zwischen einem Handgemenge und der politischen Arbeit?
2. Sie haben Anordnungen der Polizei missachtet?
Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, was es da zu diskutieren gibt.
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banda69
18.11.2024 19:34registriert Januar 2020
Hoffe Aeschi gehts auch an den Kragen.

Es ist eine Schande wie die SVPler sich seit Kriegsbeginn auf die Seite der Terror-Russen geschlagen haben.
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Steibocktschingg
18.11.2024 19:49registriert Januar 2018
Es ist zu hoffen, dass Glarner (und die anderen beiden Typen am besten gleich auch) mal so richtig hart vom Gesetz getroffen werden. Schluss mit Kuscheljustiz für SVP-Politiker, die können sich eh viel zu viel ohne Konsequenzen erlauben.
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