So begeistert Jule X die junge Generation
Rapper haben gerne eine Gangstergeschichte: Ein bisschen Crime bringt Street Credibility und steht merkwürdigerweise für Härte und sozialen Aufstieg. Auch Jule X hat eine solche Räuber-Story: Dabei ist er aber das Opfer.
Bei einer Reise durch Argentinien machte er vor einem Fussballstadion ein Selfie für Social Media. «Da nimmt man das Telefon eigentlich nicht in die Hand», sagt der Berner selbstkritisch. Er hatte es bald nicht mehr. Nach unfreundlicher Würgeattacke rückte er das Smartphone an die Angreifer aus.
Den Rest der Ferien verbrachte er ohne Handy: «Es war eigentlich ganz entspannt.»
Beeindruckend ist dabei vor allem die Coolness, mit der er die Geschichte erzählt. Kein wutbürgerisches Ausrasten, kein Hadern mit dem eigenen Leichtsinn, kein garnix. Sie passiert einfach. Es ist wie Vieles, was Jule X erzählt. Es ist ein Schulterzucken. Ist halt so.
Auch bei Jule X ist Vieles einfach irgendwie passiert. Es hört sich fast langweilig an: Rapfan in der Primarschule, Rapstar mit Anfang 20. Alles organisch. Gute Story. Aber stimmt sie auch? Jule X bleibt gerne unfassbar. Auch im Gespräch in einer viel zu lauten Beiz ist nicht immer klar, ob da eine Kunstfigur oder einfach ein junger Mann sitzt, der seinen richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. «Es ist alles viel ungeplanter, als man meinen könnte», wischt der Berner aufkommende Zweifel vom Tisch.
Ein Markenzeichen aber keine Maskerade
Das beginnt bei der Frisur. Jule X trägt einen Vokuhila. Dazu noch gerne Trainer «Ich finde das genial», sagt der 23-Jährige. Der «Vöku«, also die Frisur, sei sein Markenzeichen, aber keine Maskerade. «Sonst läufst du nicht mehrere Jahre so durch die Gegend.» Jule lacht.
Mit dem Vöku und seinem Sound hat er spätestens in diesem Jahr den Durchbruch geschafft. Spielt er an einem Festival, stiehlt er manchem Headliner die Show, bei den Gratiskonzerten drängen sich so viele Leute vor die Bühne, dass die Securitys ins Schwitzen kommen. Auffallend dabei: Das Publikum ist sehr jung. Da hüpfen 16-Jährige neben Erstsemester-Studis. Ü30 ist da kaum wer.
Damit erreicht Jule X jene Zielgruppe, die derzeit eigentlich als unerreichbar gilt. Zwar konsumieren die Jungen auf Youtube oder TikTok vielleicht mal einen Clip der Band und geben vielleicht gar ein Like auf irgendeinem Social Media, doch an Konzerte von Schweizer Musikerinnen und Bands gehen diese nur höchst selten.
Er habe den Kampf um die Jungen aufgegeben, sagte ein bekannter Schweizer Musiker letzthin im Gespräch. Nach den durch die Eltern zwangsverordneten Schwiizergoofe übernimmt der Algorithmus die musikalische Bildung: Das allermeiste heimische Schaffen fällt da zwischen Bite und Byte unter den Tisch.
Der Sound ist wichtiger als die Worte
Was macht er besser als andere? Jule X beginnt mit typischem Understatement: «Das hat doch damit zu tun, dass ich etwa gleich alt bin wie mein Publikum.» Das greift allerdings viel zu kurz. Das sind andere auch. Vielleicht, so schiebt er nach, seien «Spass» und «Live» der Schlüssel zum Erfolg.
Er gibt auch unumwunden zu, dass ihm die Texte «oft ziemlich egal sind». Suche er nach guten Versen, «mumble» er oft ein bisschen vor sich hin. Das ist undeutliches Gemurmel. Wichtiger sei der grundsätzliche Sound: Wie klingt es? Wo liegt die Betonung? Wie kann ich es nachher richtig herausschreien?
Hat er dieses Gerüst gelegt, sucht er die Worte, die da reinpassen. Form vor Inhalt. Teilweise reiht er einfach Punchline an Punchline: «Und seg wiso gseh dini Chinder so enttüscht us/ Jedesmau we du vom Zigi hole zrüggchunnsch.» Und: «Du Stefan chasch im Bürojob dr Star sii.»
Das mag für all jene, die Rap wegen der lyrischen Kraft hören, ein Affront sein. Für Jule X ist es nur konsequent: «Ich liebe all den cleveren sozialkritischen und politischen Rap etwa von Tommy Vercetti. Ich kann das aber nicht.» Er habe schon früh holländischen Rap gehört. Auch hier: Style vor Attitüde. Und gerne mit Hang zum Krawall. Auch die Musik trägt das ihrige dazu bei. Die Beats von Jule X sind raviger, bauchiger, dreckiger.
Die Kunst an den Songs von Jule X ist, dass sie bei allem überdrehtem Hedonismus nie dumm werden. Wer will, kann darin schon einen Hauch Sozialkritik lesen. Es hat immer mindestens den Hauch von einem doppelten Boden, das verhindert auch den Absturz in die Belanglosigkeit. «Ich glaube schon, dass meine Haltung spürbar ist. Aber ich zwinge sie sicher niemandem auf», sagt Jule X. Wichtiger sei sowieso, dass die Line auch geschrien funktioniert. Auch hier: Ist es Understatement?
Wenn er wieder Videos bekomme, wie seine Lieder an «Bauernpartys auf dem Land» gespielt werden, frage er sich schon ein bisschen, sagt er. An seinen Konzerten ruft er immer dazu auf, dass Rücksicht aufeinander genommen werden soll und orchestriert «Finta-Moshpits», bei denen «Cis-Männer» ausgeschlossen sind.
Im Februar gibt es in Bern sogar ein Konzert für diese Gruppe. Männer müssen draussen bleiben. Jule X spricht sehr reflektiert über solche Themen. «Ich will dafür sorgen, dass alle eine gute Zeit haben», sagt er. Gerade bei einem jungen Publikum sei das wichtig.
Konzerte als körperliche Erfahrung
Mittlerweile könnte er «zumindest teilweise» von der Musik leben, sagt er und trinkt einen Schluck Bier. Noch will er nicht vollständig auf diese Karte setzen. Es würde bedürfen, dass er noch mehr Konzerte spielen müsste. «Das sind sehr körperliche Erfahrungen», lacht er. Er und seine Mitmusiker verausgaben sich dabei regelmässig. «Anders geht es nicht», sagt er, «wenn ich möchte, dass im Publikum alle durchdrehen, dann muss ich auch durchdrehen.» Seine Arbeit als Kameramann und Cutter sei da ein guter Ausgleich.
Was kommt noch? Jule zuckt mit den Schultern: «Ich weiss es nicht, vielleicht interessiert sich in zwei Jahren auch niemand mehr für mich.» Es passiert dann schon. (aargauerzeitung.ch)
