Der angeklagte L. K. und seine Gehilfen gingen immer ähnlich vor: Sie suchten sich ein Opfer mit italienischem Namen, der auf ein hohes Alter schliessen liess. Dann telefonierte einer der Bande auf die Festnetznummer und liess die Angerufene auf Italienisch raten, wer am Apparat ist. Die Opfer gingen davon aus, den Enkel, die Tochter oder den Freund der Enkelin am Telefon zu haben.
Ein klassischer Enkeltrickbetrug. Allerdings war die Masche von L. K. und seinen Gehilfen besonders perfid. Laut der Anklageschrift sagte ein Mittäter der «Mamma» oder «Nonna» am Telefon, er sei schwer an Covid-19 erkrankt und liege im Spital. Er habe hohes Fieber, könne kaum atmen und würde ohne Hilfe sterben. Die einzige Hoffnung sei eine Behandlung mit einer noch nicht zugelassenen Spritze. Diese sei aber sehr teuer. Um seine Opfer emotional noch mehr unter Druck zu setzen, soll L. K.s Mittäter am Telefon geweint, gehustet und so gesprochen haben, als ob er keine Luft bekäme.
L. K. und seine Gehilfen hielten die Opfer davon ab, zu überprüfen, ob das Gesagte auch wirklich wahr ist, indem sie einen grossen Zeitdruck vorschwindelten. Auch zwangen sie die Senioren, immer am Telefon zu bleiben, mit der Drohung, die Verbindung sei ansonsten nicht mehr möglich.
Eine 77-jährige Frau war ab dem Telefonanruf so in Sorge um ihren vermeintlichen Enkel, dass sie laut Anklageschrift sofort begann, die geforderten 30'000 Franken für die Spezialspritzen zusammenzusammeln. Gemeinsam mit ihrem Ehemann ging sie zuerst zu einer Filiale der Migros-Bank und hoben dort 10'000 Franken ab. Danach hoben sie bei der Credit Suisse weitere 8000 Franken am Schalter ab. Am Bankomaten holten sie weitere 1500 Franken. Während der ganzen Zeit waren sie mit einem von L. K.s Mittäter am Telefon verbunden, der ihnen genaue Anweisungen gab und drohte, den Anruf auf keinen Fall zu unterbrechen.
Das Ehepaar soll danach angewiesen worden sein, in ein Restaurant zu gehen, wo es einen Mann treffen werde: Der Auftritt von L. K. Laut der Zürcher Staatsanwaltschaft gab er vor, ein Mitarbeiter des Spitals zu sein. Er nahm das Geld entgegen und später auch diversen Goldschmuck, weil die Täterschaft dem Paar am Telefon sagte, das Geld reiche für die Spezial-Behandlung nicht aus. Insgesamt übergab es der Bande Schmuck und Bargeld im Wert von 30'500 Franken.
Wenige Tage später wiederholten L. K. und seine Mittäter den Betrug bei einer 70-jährigen Frau. Sie ging ebenfalls davon aus, mit ihrem Enkel am Telefon zu sein. Um die dringliche Lage noch zu untermauern, soll eine Frau ans Telefon geholt worden sein, die sich als eine Ärztin vorstellte. Sie erklärte, dass ihrem Enkel jetzt nur noch nur dieses neue Medikament helfen könne. In der Folge sammelte die Seniorin bei sich zu Hause sämtliches Bargeld, Goldschmuck und einen Goldbarren mit einem Wert von insgesamt 14'710 Franken ein. Das alles übergab sie L. K., der sich erneut als Spital-Mitarbeiter ausgab.
Noch drei weitere Male soll die Bande danach versucht haben, Senioren zu täuschen. Eine 83-jährige Frau bestand aber bei der Geldübergabe darauf, ihre Enkelin im Spital sehen zu wollen, worauf L. K. das Weite suchte. Bei einer 81-Jährigen scheiterten die Betrüger an einer aufmerksamen ZKB-Mitarbeiterin. Diese wies die Seniorin darauf hin, dass sie nicht 30'000 Franken aufs Mal abheben könne und riet ihr, das Telefon sofort zu beenden.
Eine weitere Frau, 83 Jahre alt, ging laut der Anklageschrift davon aus, mit ihrer schwer kranken Tochter am Telefon zu sein. Sie sammelte in ihrer Wohnung 12'600 Franken ein und ging damit vor ihre Wohnung, um sich zum ausgemachten Treffpunkt zu begeben. Dabei weinte sie so bitterlich, dass sie von einer vorbeigehenden Frau angesprochen wurde und sich danach schliesslich zurück in ihre Wohnung begab.
Kurz nach diesem letzten, gescheiterten Betrugsversuch, wurde L. K. von der Polizei festgenommen. Seither sitzt er im Kanton Zürich in Haft. Seine Gehilfen konnten entkommen.
Ältere Menschen sind eine beliebte Zielgruppe für Betrüger. Die Fachorganisation Pro Senectute liess 2018 in einer Studie untersuchen, wie gross das Problem des Finanzbetrugs im Alter in der Schweiz ist. Das Ergebnis, das die Fachhochschule Neuenburg und das Institut für Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität zusammentrug, lässt aufhorchen: Befragt wurden damals rund 1300 über 55-jährige. Sie gaben an, in den letzten fünf Jahren einen finanziellen Schaden von 980'000 Franken erlitten zu haben. Rechnet man diese Zahl auf die über 55-jährige Bevölkerung hoch, ergibt das eine geschätzte Schadenssumme von 400 Millionen Franken pro Jahr. Die höchste individuelle Schadenssumme innerhalb der Stichprobe betrug 508'000 Franken.
Auch die Zahl der Betroffenen ist hoch. Laut der Studie wurde in der Schweiz gemäss Hochrechnung jede vierte über 55-jährige Person schon einmal Opfer einer Form von Finanzmissbrauch. Jeder fünfte Ü-55-Jährige erlitt einen finanziellen Schaden. Die häufigste Betrugsart ist der Verkauf von unerwünschten Dienstleistungen und Waren per Telefon, E-Mail, Internet oder per Post.
Organisationen wie die Pro Senectute machen an Informationsveranstaltungen längst auf die Tricks von Betrügern aufmerksam. Inzwischen ziehen alte Lügen wie der «falsche Polizist» selbst bei älteren Personen nicht mehr. Sie wissen, sogar wenn die Nummer «117» auf der Telefonanzeige erscheint, könnte es sich um einen Betrug handeln. Vor allem, wenn «der Polizist» am Telefon den absurden Vorschlag macht, das Bargeld und den Schmuck im Haus zusammenzusuchen und ihm – zur eigenen Sicherheit – zu übergeben.
Darum werden die Übeltäter immer raffinierter. Der angeklagte L. K. und seine Mittäter spielten mit der Angst und Unsicherheit von Senioren in Pandemie-Zeiten und missbrauchten deren Hilfsbereitschaft für ihre eigenen Zwecke. Für die Opfer kann nicht nur finanziell ein Schaden entstehen, oft leiden sie danach auch unter psychischen Folgen. Zu diesem Schluss kommt die Studie der Fachhochschule Neuenburg und des Instituts für Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität. Insbesondere wenn der Betrug im privaten Bereich, sprich an der Haustüre oder am Telefon stattgefunden hat.
Die Staatsanwaltschaft fordert für L. K. eine Freiheitsstrafe von 6 Jahren. Danach soll er nach Polen ausgeschafft und für 12 Jahre des Landes verwiesen werden. Sein Fall wird am Donnerstag am Bezirksgericht Zürich verhandelt. Bis zu seiner Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.