Ist die Unterschriftenzahl von 100'000, die man für eine Volksinitiative benötigt, noch zeitgemäss? Oder muss man rigoroser gefährliche Initiativen für ungültig erklären? Kurz gesagt: Braucht die direkte Demokratie ein Update? Diese Fragen will morgen eine Expertengruppe zusammen mit Vertretern des Ständerates diskutieren.
Wie das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» und die «Basler Zeitung» schreiben, soll vor allem darüber diskutiert werden, wann eine Initiative für ungültig erklärt werden soll. Heute wird eine Volksinitiative für ungültig erklärt, wenn sie die Einheit der Materie oder der Form verletzt, oder gegen zwingende Bestimmungen des Völkerrechts verstösst. Diese Definition führte bei früheren Initiativen zu intensiven Debatten – im Zweifelsfall entschieden die Parlamentarier meist für die Initiative. «Da wir schon gesündigt haben, sündigen wir weiter», sagte so zum Beispiel CVP-Fraktionspräsident Filippo Lombardi in der «Bilanz».
Die Staatspolitische Kommission des Ständerates will morgen unter Leitung der grünliberalen Ständerätin Verena Diener darüber diskutieren. watson stellt die sieben Rechtsexperten vor, die nach Information verschiedener Ständeräte morgen mit dabei sein werden.
Klar ist jedoch, dass am Schluss das Volk das letzte Wort haben wird.
Wolf Linder ist emeritierter Professor für Politikwissenschaften an der Universität Bern. In einem Interview mit «Der Bund» bezeichnete Linder die Einwanderung als das «grösste aktuelle Problem». Er begründet die aktuelle hohe Zahl an Initiativen mit dem «grossen Protestpotential». Parteien würden sich zudem mit Initiativen inszenieren.
Position zum Initiativrecht: Im gleichen Interview sagte Linder dazu: «(…) Ich halte es für falsch, jetzt mit Erschwernissen dafür sorgen zu wollen, dass weniger Initiativen eingereicht werden.» Er sei deshalb gegen die Erhöhung der Unterschriftenzahl.
Astrid Epiney ist Rechtswissenschaftlerin an der Universität Freiburg. In einem Interview mit dem «Beobachter» sagte Epiney, eine Initiative müsse sich in die Verfassung fügen. «Dass damit gewisse Abstriche verbunden sind, gehört zum Mechanismus jeder Gesetzgebung.» Sie ist die einzige Frau im Rechtsexperten-Gremium.
Position zum Initiativrecht: Gegenüber srf.ch sagte sie, Parteien und Stimmbürger müssten die «Verantwortung tragen, dass das Initiativrecht nicht missbraucht» werde. Andernfalls müsste man andere Massnahmen ergreifen – etwa die Einführung strengerer Regeln für die Zulässigkeit von Initiativen oder «möglicherweise ein Verfassungsgericht».
Hansjörg Seiler vertritt die SVP am Bundesgericht. Er leitet zudem die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft. In einem Interview mit der «Berner Zeitung» äusserte er sich kritisch zur «grösser werdenden Macht» der Justiz: «Grund- und Menschenrechte sind vage umschrieben. Das gibt den Gerichten viel mehr Kompetenz, im Einzelfall zu konkretisieren.»
Position zum Initiativrecht: Im Interview mit der NZZ äusserte sich Seiler zur Frage, wie man vorgehen soll, wenn es Probleme bei der Umsetzung von Volksinitiativen gäbe. Er empfahl, dass man in Initiativen eine «Vorrangklausel» einbauen sollte, damit in der Rechtssprechung klar wird, ob ein neuer Verfassungsartikel mehr Gewicht hat als andere.
Andreas Kley ist Lehrstuhlinhaber für Staats- und Rechtsphilosophie an der Universität Zürich. Kley sprach sich dafür aus, dass man die Ecopop-Initiative für gültig erklärte. Zum Tessiner Burkaverbot, dass vom Volk beschlossen wurde, sagte er im «Bund»: «Ein generelles Burkaverbot ist unverhältnissmässig und somit unzulässig.»
Position zum Initiativrecht: 2012 äusserte sich Kley im «Schweizer Monat» kritisch gegenüber den vom Bund geplanten Warnhinweisen auf Unterschriftenbögen für Volksinitiativen. Dies sei «starker Tobak für Stimmbürger». Dies habe den Charakter einer Bevormundung und sei einer Demokratie unwürdig.
Giorgio Malinverni ist emeritierter Rechtsprofessor und Ehrendoktor an der Universität in Genf und ehemaliger Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Gegenüber swissinfo.ch sagte Malinverni, die Anti-Minarett-Initiative bereite ihm Kopfzerbrechen. In einem früheren Interview mit dem St.Galler Tagblatt sagte er, dass das Volk nicht immer Recht habe, sondern auch Entscheide fällen kann, die gegen Grundrechte verstossen.
Position zum Initiativrecht: Im Interview mit dem «St.Galler Tagblatt» äusserte sich Malinverni zum Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht. Er sprach sich dafür aus, dass Richter Klarheit schaffen sollten, wenn es «Sackgassen» nach Volksabstimmungen gibt.
Vincent Martenet ist Präsident der Wettbewerbskommission (WEKO) des Bundes und Professor für Verfassungsrecht an der Universität Lausanne.
Position zum Initiativrecht: Laut der «Basler Zeitung» vom Mittwoch, spricht sich Martenet dafür aus, dass das Parlament eine Initiative auf Gesetzesstufe zurückstufen kann.
Martin Schubarth war bis 2004 für die SP am Bundesgericht. Sein Rücktritt erfolgte nach der «Spuck-Affäre», bei der er Medienberichten zufolge den NZZ-Bundesgerichts-Korrespondenten Markus Felber bespucken wollte, aber einen Gerichtsschreiber traf. Schubarth kritisierte jüngst mehrfach das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht.
Position zum Initiativrecht: Im Interview mit dem «Blick» sagte Schubarth, dass sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte «in einigen Bereichen zu sehr» in die nationale Gesetzgebung einmische. Dies heble die Demokratie aus. Er sprach sich jedoch gegen die von der SVP vorgeschlagene «Landesrecht vor Völkerrecht»-Initiative aus.