Ein klassisches Drama hat fünf Akte. Die Behörden in Bundesbern führen das Schauspiel gerne auf. Erster Akt: Jemand aus der Verwaltung sticht eine vertrauliche Information an die Medien durch.
Zweiter Akt: Mitglieder des Bundesrats geben sich empört. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Regierung werde durch Indiskretionen verunmöglicht, sagen sie.
Dritter Akt: Die Bundesanwaltschaft eröffnet ein Strafverfahren gegen unbekannt wegen einer Verletzung des Amtsgeheimnisses.
Vierter Akt: Die Landesregierung prüft Massnahmen, wie Indiskretionen künftig eingedämmt werden können.
Der fünfte Akt ist dann ein Antiklimax. Niemand stirbt den Heldentod, niemand fällt auf sein eigenes Schwert. Vielmehr stellt die Bundesanwaltschaft ihr Strafverfahren ein, ohne mögliche Schuldige gefunden zu haben. Und der Bundesrat sieht davon ab, den Kampf gegen Indiskretionen zu verstärken.
In der Hauptrolle ist derzeit Verteidigungsministerin Viola Amherd. Die NZZ und das Schweizer Fernsehen wussten vor der offiziellen Kommunikation, dass der Armeechef und der Direktor des Nachrichtendienstes ihre Funktionen aufgeben. Amherd ist wütend. Eine seriöse Zusammenarbeit im Bundesrat werde verunmöglicht, findet sie.
Warum plaudern Bundesangestellte vertrauliche Informationen aus? Sie verfolgen vier mögliche Ziele – manchmal kombiniert. Eine Indiskretion kann erstens den Boden bereiten für einen neuen politischen Plan. Oder der Widerstand gegen die Idee einer anderen Amtsstelle soll geschürt werden. Drittens wird versucht, ein anderes Departement samt dem zuständigen Bundesrat in ein schlechtes Licht zu rücken. Das Medium, das den delikaten Hinweis erhält, soll viertens aus Dankbarkeit wohlwollend über den Absender berichten.
Eine Flut an Indiskretionen quoll während der Pandemie aus dem Bundesrat. Die Parlamentskommission, welche die Corona-Leaks untersuchte, schrieb von einer Vertrauenskrise. Einzelne Bundesräte verzichteten darauf, Anträge in die Regierung einzubringen, weil sie befürchteten, ihre Vorschläge am nächsten Tag in einer Zeitung zu lesen.
Der damalige Bundeskanzler Walter Thurnherr betonte, dass Indiskretionen kriminell seien und von Charakterschwäche zeugten. Thurnherr setzte sich dafür ein, dass der Bundesrat mehr unternimmt gegen die Weitergabe vertraulicher Nachrichten. Ständerat Benedikt Würth forderte in einer Motion, dass die Regierung mehr unternimmt gegen die Weitergabe vertraulicher Nachrichten. Die Geschäftsprüfungskommission schlug eine ganze Reihe von Massnahmen gegen die Weitergabe vertraulicher Nachrichten vor.
Der Bundesrat fegte die Anregungen vom Tisch – wegen zweifelhafter Umsetzbarkeit. Einzig der Zugriff auf vertrauliche Dokumente war verwaltungsintern ein wenig eingeschränkt worden.
Geheime Dokumente sind nicht das Problem. Sie erscheinen nicht auf einer Online-Plattform. Ein Bundesweibel trägt sie in Papierform von einem Amt zum anderen. Ist der Weibel mit einem Migros-Sack unter- wegs, wissen die Verwaltungsangestellten: Er stellt jemandem geheime Papiere zu. Indiskretionen sind sehr selten.
Vertrauliche Dokumente kann man hingegen auf zwei Datenbanken des Bundes einsehen. Eine Plattform enthält Angaben zu Bundesratsgeschäften. Die Regierung war bisher der Ansicht: Allzu restriktive Zugangsbestimmungen erschweren die Arbeit der Regierung und der Verwaltung. Der Bundesrat hält im Verhaltenskodex für das Bundespersonal zwar fest: Indiskretionen werden nicht toleriert. Fraglich ist allerdings, ob diese Warnung die Angestellten beeindruckt.
Zu den vielen Indiskretionen trägt das Schweizer Regierungssystem bei. Alle grossen Parteien sind an der Exekutive beteiligt. Das erhöht die Zahl jener, die über die Regierungsgeschäfte auf dem Laufenden sind. Zum anderen ist die Konkurrenz unter einigen Parteien gewachsen, weil ihre Wähleranteile nahe beieinander liegen. Änderungen in der parteimässigen Zusammensetzung des Bundesrates könnten bald möglich werden. Das steigert die Motivation, den Exponenten der anderen Parteien mit der Verbreitung von Indiskretionen zu schaden.
Der Ermittlungsbehörde sind derweil die Hände gebunden, weil die Schweizer Justiz das Prinzip des Quellenschutzes hochhält. Die Medien dürfen nicht unter Druck gesetzt werden, ihre Quellen preiszugeben. Die Bundesanwaltschaft findet das Leck in der Bundesverwaltung fast nie.
Das ist dem SP-Ständerat Daniel Jositsch aufgefallen. Er ist Präsident der Rechtskommission, die bald Anhörungen zum journalistischen Quellenschutz durchführen will. Jositsch erklärt den Plan so: «Es kommt ständig zu Indiskretionen – und aufgrund des Quellenschutzes verlaufen die Strafverfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung fast immer erfolglos. Diese unbefriedigende Lage wollen wir in der Rechtskommission analysieren.»
Ob die Rechtskommission es schafft, den Quellenschutz aufzuweichen? Die Medien würden sich dagegen wehren. Es ist ausserdem nicht klar, dass die Politiker die Indiskretionen wirklich so schlimm finden, wie die periodische moralische Aufwallung vermuten lässt.
Schon im Jahr 1888 beklagte sich der Bundesrat darüber, dass «verschiedene unzeitige Mitteilungen über Verhandlungen des Bundesrates in öffentlichen Blättern erschienen sind.» Die Regierung regte an: Fehlbare Journalisten seien «auf einige Zeit vom Bezug der amtlichen Mitteilungen auszuschliessen»; auch solle man ihnen «das Betreten des Bundesrathauses» verbieten.
Es geschah dann aber nichts dergleichen. Die Medienleute verbreiteten weiter Indiskretionen – und die Bundesräte konstatierten regelmässig, dass das Vertrauen unter den Mitgliedern der Landesregierung erschüttert sei. (aargauerzeitung.ch)
Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information, auch wenn sie durch Whistleblower kommt.
Hätte sie das getan brauchte es keine Diskussion über Indiskretionen.
Es ist nicht die Schuld der Medien wenn Bundesräte amateurhaft oder zu spät informieren.