Martin Pfister und Markus Ritter sind sehr präsent in der Wandelhalle des Bundeshauses an jenem Donnerstag der ersten Sessionswoche. Der Zuger Regierungsrat Pfister lässt sich von einem SRF-Team begleiten, er spricht ausgiebig mit Mitte-Nationalrat Philipp Kutter, Mitte-Nationalrätin Priska Wismer-Felder und SP-Nationalrätin Andrea Zryd. Pfister muss sich bekannt machen.
Nationalrat Ritter hingegen muss sich niemandem mehr vorstellen - er sitzt seit 2011 im Nationalrat. Und doch tourt er als Lobbyist in eigener Sache fast ohne Unterbruch durch die Wandelhalle.
Die Kampagne steuert auf ihren Höhepunkt zu, den Wahltag am nächsten Mittwoch 12. März. «Das ist die spannendste Bundesratswahl seit zehn Jahren», sagt Mitte-Nationalrat Reto Nause. «Ich würde mich nicht festlegen wollen, wer das Rennen macht.» Und FDP-Nationalrat Laurent Wehrli sagt: «Erstmals seit langem bei einer Ersatzwahl wird es sehr eng.» Wehrli, der Prognosenspezialist im Parlament, der Baume-Schneiders Wahl präzise vorausgesagt hat, passt diesmal. Eine Prognose sei schlicht unmöglich.
Recherchen zeigen: Die Wahl wird am Dienstagnachmittag bei den Sozialdemokraten entschieden. Sie führen von 15 bis 15.50 Uhr in Zimmer 286 das Hearing mit Pfister durch. Und von 15.50 bis 16:40 Uhr jenes mit Ritter.
Insgesamt hat die SP 50 Stimmen zu vergeben. Doch wer diese erhält, ist überraschend offen. Bis jetzt gingen die meisten Beobachter davon aus, dass die SP-Stimmen in ihrer grossen Mehrheit zum Zuger Regierungsrat Pfister wandern.
Dem ist aber Stand heute nicht so. Der Unmut in der SP-Fraktion ist gross über das Mitte-Ticket, was dazu führt, dass sich gut die Hälfte der 50 SP-Parlamentsmitglieder noch nicht entschieden hat, welchen Namen sie auf den Stimmzettel schreibt. Die Stimmen der restlichen 50 Prozent dürften gemäss Informationen von Insidern je zur Hälfte an Pfister und Ritter gehen.
Damit ist klar: Der Auftritt der beiden Kandidaten bei der SP ist matchentscheidend, weil sie sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. «Wäre ich Markus Ritter oder Martin Pfister», sagt ein einflussreiches Mitglied der SP-Fraktion, «würde ich mich sehr gut auf das Hearing bei der SP vorbereiten».
Das tun sowohl Ritter wie Pfister, und sie betonen es. Ritter will stark auf die sozialen Mitte-Positionen hinweisen. «Werde ich gewählt, bin ich ein Mitte-Bundesrat», sagt er gegenüber CH Media. Für die Mitte seien AHV, Ergänzungsleistungen, Familienzulagen und Prämienverbilligungen wichtig. «Will man in diesen Themen mehrheitsfähige Vorlagen aus dem Bundesrat ins Parlament bringen, die auch eine Volksabstimmung überstehen können», hält Ritter fest, «braucht es breite Mehrheiten von links bis rechts.» Da habe die Mitte eine «sehr wichtige Funktion», und er wolle hier eine Scharnierfunktion wahrnehmen.
Auch Pfister sagt gegenüber CH Media, er bereite sich speziell vor. Inhaltlich sage er allerdings dasselbe wie in anderen Fraktionen auch, hält er fest. «Es kommt für mich nicht infrage, dass ich mich bei einer Fraktion anbiedere.»
Äusserungen von SP-Nationalrat Fabian Molina verdeutlichen, welch harter Gegenwind Ritter wie Pfister im Hearing entgegenwehen wird. Bei der Frage nach den beiden Kandidaten verweist Molina auf ein Zitat in der Gewerkschaftszeitung «Work»: Die Mitte präsentiere mit ihrem Zweierticket die «lebendig gewordene Geld-und-Gülle-Allianz zwischen Bauern und Grossfinanz», heisst es dort.
Molina über Ritter: «Er ist ein Bauern-Lobbyist durch und durch, der den Naturschutz schleift.» Molina über Pfister: «Er ist ein knallharter Ideologe der Schuldenbremse. Er würde hier keinerlei Widerstand gegen Karin Keller-Sutter leisten.» Um den inhaltlichen Gegensatz zwischen Mitte-Kandidaten und SP noch zu verdeutlichen, unterstreicht Molina die Werte der SP: «Sie steht für einen starken Staat, der in die Zukunft investiert.»
Indirekt weist der Ex-Juso-Präsident damit auf einen Unterschied zwischen Ritter und Pfister hin, der für einige Sozialdemokraten zentral ist. Ritter sei der Service public sehr wichtig, er schütze Randregionen, betonen sie hinter vorgehaltener Hand. Zudem sei Ritter gegen Privatisierungen und Liberalisierungen. Ganz anders schätzen sie den Zuger Pfister ein: Privat sei für ihn gut, der Staat aber böse.
Als Argument für Ritter ist auch zu hören, er müsse in Bern nicht erst eingelernt werden. Das komplexe Bern sei viel schwieriger zu verstehen als das homogene Zug mit seiner minimalen Opposition - ohne Zweikammersystem und ohne ausgefeiltes Vernehmlassungssystem. Zudem trauen es verschiedene SP-Parlamentsmitglieder Ritter eher zu, Karin Keller-Sutter als starker Frau im Bundesrat Paroli zu bieten.
Vor allem Gewerkschafts- und Sozialpolitiker haben Ritter im Auge. Umweltpolitiker hingegen fühlen sich von Ritters Umwelt-, Klima- und Biodiversitätspolitik und seinem Kampf für Pestizide vor den Kopf gestossen.
Damit hat er vor allem bei den Grünen ein unüberwindbares Problem. Auch sie hören die beiden Mitte-Kandidaten am Dienstag an. Die Ausgangslage ist glasklar: Ritter dürfte nicht eine einzige der total 26 grünen Stimmen erhalten. Das Tuch zwischen ihm und der Partei ist seit der Trinkwasserinitiative (2021) zerschnitten.
Nur: Auch Pfister stösst auf wenig Gegenliebe bei den Grünen. Er habe nichts gegen den russischen Rohstoffhandel unternommen, der stark über Zug laufe und mit dem Putin seinen Krieg finanziere, sagt Grünen-Fraktionschefin Aline Trede. Und die grüne Nationalrätin Irène Kälin formuliert grundsätzliche Vorbehalte gegen beide Kandidaten.
«Es erstaunt mich schon, wie sehr die beiden älteren Herren davon überzeugt sind, wie schnell sie den Schlamassel im VBS aufräumen», sagt sie. «Das spricht nicht gerade für ihre Bescheidenheit und auch nicht für eine gute Einschätzungsgabe, wie gross die Herausforderungen sind. Ich würde mit viel Demut in einen solchen Job gehen.»
Da es zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Kandidaten kommt, hat sich in den letzten Tagen bei den Fraktionen die Deutung durchgesetzt, die enge Wahl ertrage keine Spielereien im ersten Wahlgang. Wer den neuen Bundesrat mitbestimmen will, muss sofort für seinen Favoriten stimmen. Wichtige Parlamentsmitglieder glauben sogar, die Wahl werde schon im ersten Wahlgang entschieden.
Eine gewisse Beunruhigung ist kurz vor der Wahl im Lager von Markus Ritter zu spüren. Das hat mit der steilen Lernkurve von Konkurrent Pfister zu tun. Dieser sei nach nur 14 Tagen «inhaltlich sattelfest», sagt Mitte-Nationalrat Reto Nause.
Das hat dazu geführt, dass die SVP-Spitze - sie will Ritter - mögliche Abweichler ins Gebet nahm. Pfister dürfte damit bei der grössten Partei des Landes maximal 5 von 74 Stimmen erhalten. Bei der FDP (38 Stimmen) und bei der Mitte (46 Stimmen) kann Pfister mit der Hälfte der Stimmen rechnen, bei den Grünliberalen (12 Stimmen) sogar mit 10.
Wohin die 50 SP-Stimmen fliessen, wird damit zentral. Das hängt aber auch davon ab, welche Devise die SP-Spitze letztlich herausgibt: Will sie Markus Ritter verhindern, wie manche orakeln? Oder unterstützt sie eine Stimmfreigabe? Noch lässt sich niemand in die Karten blicken.
Aber wenn man schon einen wählen muss, dann doch lieber den, der nicht in den letzten Jahren dafür gesorgt hat, dass wir unser Trinkwasser versauen, die Luft verschmutzen und unsere Gemüse weniger Nährstoffe liefern weil sie überdüngt sind.
Nur so aus Rücksicht auf die eine nächste Generation, die es vielleicht noch geben wird.
Umso erstaunlicher, dass man offen für Ihn in der Landesregierung sein kann..
Mich tschuderets beim Gedanken daran!