«Erfunden» wurde die Pauschalbesteuerung vor rund 150 Jahren am Genfersee. Genf und Waadt gehören noch heute zu den Kantonen mit vielen Nutzniessern dieser umstrittenen Steuerpraxis. Einen Boom erlebte sie in den letzten Jahrzehnten auch in den gebirgigen Regionen. Und dort ist die Angst vor einem Ja zur Volksinitiative «Schluss mit Steuerprivilegien für Millionäre», über die am 30. November abgestimmt wird, besonders ausgeprägt.
Drei Wochen vor dem Urnengang gehen 96 Berggemeinden in die Offensive. In einem
offenen Brief fordern sie Solidarität vom «Unterland» in Form eines Neins zur Initiative. Abwanderung der Jungen, Überalterung der Bevölkerung, der starke Schweizer Franken oder die Zentralisierung machten den Berg- und Randregionen «schwer zu schaffen». Die Pauschalbesteuerung sei «ein wichtiges Standbein für die Standortattraktivität».Hilferuf der Bergregionen gegen Abschaffung der #Pauschalbesteuerung: 96 Gemeinden appellieren an Ihre Solidarität! http://t.co/0cKLKEXh5Q
— sgv-usam (@gewerbeverband) 10. November 2014
Was auffällt: Den Brief unterzeichnet haben nicht nur Ortschaften wie Diemtigen, Paspels oder Silenen, die man kaum als privilegiert bezeichnen kann, sondern auch Namen mit grossem Klang und internationalem Flair: Gstaad, St.Moritz, Zermatt. Sie leisten nicht nur «passiven» Widerstand, sondern haben Geld gespendet, das direkt oder indirekt in den Abstimmungskampf gegen die Abschaffung der Pauschalbesteuerung fliesst: Zermatt 20'000 Franken, Gstaad und St.Moritz je 50'000 Franken.
Warum aber sind Nobelorte, in denen sich der internationale Jetset tummelt, auf die privilegierte Besteuerung von reichen Ausländern angewiesen? «Wir brauchen jeden, der Steuern zahlt und Arbeitsplätze schafft», sagt Aldo Kropf (FDP), Gemeindepräsident von Saanen im Berner Oberland, auf Anfrage von watson. Zu seinem «Reich» gehört der Ortsteil Gstaad, in dem rund 180 Pauschalbesteuerte leben. Der wohl bekannteste ist Formel-1-Boss Bernie Ecclestone. Im ganzen Kanton Bern sind es 211 (Stand 2012).
Mit seinem weltweiten Ruf müsste Gstaad einen Wegzug dieser Leute eigentlich kompensieren können. Doch Kropf winkt ab: «Wir sind eine Randregion, kein Wirtschaftsraum wie Zürich.» Dort seien nach der Abschaffung der Pauschalbesteuerung Banker oder Manager in die Villen eingezogen: «Zu uns kommen diese Leute nicht, wir haben weder Industrie noch Dienstleistungen.» Die Pauschalbesteuerten dagegen würden das lokale Gewerbe unterstützen.
Sein Zermatter Amtskollege Christoph Bürgin (CVP) verweist ebenfalls auf ihre «Grosszügigkeit» etwa beim Hausbau: «Die Bauweise ist meist sehr luxuriös und im oberen Preissegment. Zudem sind diese Gäste auch nicht zu unterschätzen, wenn es darum geht, lokale Veranstaltungen zu unterstützen, sei es in der Kultur oder im Sport», sagte er dem «Walliser Boten».
Über den Finanzausgleich würden auch kleinere Gemeinden profitieren, so Bürgin. Ähnlich äussert sich Aldo Kropf: «Wir nehmen rund fünf Millionen Franken aus der Pauschalbesteuerung ein, liefern aber rund doppelt so viel an den Finanzausgleich des Kantons Bern ab.»
In den Alpen geht die Angst um, selbst im Oberengadiner Edelkurort St.Moritz, wie der parteilose Gemeindepräsident Sigi Asprion auf Radio SRF zugab: «Es geht um viel Geld.» Pro Jahr bezahlten die Pauschalbesteuerten in St.Moritz 5,5 bis 6 Millionen Franken, was rund 30 Prozent der Steuereinnahmen für die natürlichen Personen entspricht. «Wir sind eine touristisch orientierte Gemeinde und müssen unsere Infrastruktur aufrecht erhalten. Das kostet nun einmal Geld.»
Die Zeiten sind schwierig. Der Tourismus leidet unter dem starken Franken, selbst die Nobelorte werden nicht verschont. So dürften deutlich weniger Touristen aus Russland, die als ausgabefreudig bekannt sind, ihre Winterferien in der Schweiz verbringen, berichtet die «Handelszeitung». Hauptursache ist der Zerfall des Rubel. Auch das Ja zur Zweitwohnungsinitiative haben die Bergler nicht verdaut. Die Abschaffung der Pauschalbesteuerung wäre «ein weiterer Knüppel zwischen unseren Beinen», heisst es im offenen Brief.
- laufend Steuersenkungen und radikale Sparmassnahmen fordern
- aufschreien, wenn der Staat seine Leistungen einschränkt (z.B. Spitalschliessung im Simmental)
- aber dauern noch mehr Geld vom Staat fordern für Infrastruktur (Strasse auf jedes Älpli), öffentlichen Verkehr und Landwirtschaft (mehr Geld für immer weniger Bauern)
- uns sonst gegen alles sind, was aus dem bösen Ausland kommt.
Widersprüchlicher gehts nicht mehr.