Misslingt etwas, wird gerne ein Sündenbock gesucht. In Irland ist es allerdings kein Bock, sondern es sind 200'000 Kühe, die für verfehlte Klimaziele den Kopf hinhalten sollen.
In Irland leben mehr Kühe als Menschen. Auf der grünen Insel mit ihren gut 5 Millionen Einwohner:innen leben mehr als 7 Millionen Rinder, davon 1,55 Millionen Milchkühe. Und diese Wiederkäuer sind in der Landwirtschaft die grössten Treibhausgasverursacher, denn jede Kuh stösst jährlich rund 100 Kilogramm Methan aus – ein Gas, das sehr viel schädlicher ist als CO₂.
Zum Vergleich: In der Schweiz werden 1,5 Millionen Rinder gehalten, davon rund 680'000 Milchkühe. Gemäss dem Bundesamt für Umwelt sind Rinder in der Schweiz für 75 Prozent des ausgestossenen Methans verantwortlich.
In Irland sorgt nun ein Vorschlag zur Reduktion von Treibhausgasen in der Landwirtschaft für Diskussionen: Aufgrund einer Warnung der Umweltbehörde, dass die Klimaziele voraussichtlich weit verfehlt würden, erwägt das Landesministerium in einem internen Dokument – das eigentlich nicht für die breite Öffentlichkeit gedacht war – in den nächsten drei Jahren 200'000 Milchkühe zu keulen.
Ist das sinnvoll?
«In den meisten europäischen Ländern, darunter auch in der Schweiz, kommen wir nicht darum herum, die Tierbestände massiv zu reduzieren. Um die Klimaziele zu erreichen, muss sich vor allem der Fleisch- sowie der Milch- und Eierkonsum rasch und deutlich reduzieren», sagt Landwirtschaftsexperte Marcel Liner von Pro Natura. Es sei demnach nicht verkehrt, solche Lösungsansätze zu diskutieren. Auch hierzulande sei man nicht weit von einer solchen Diskussion entfernt.
«Auch in der Schweiz werden Massnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen in der Landwirtschaft diskutiert», so Liner. Der wissenschaftliche Bericht «Ernährungszukunft der Schweiz» stützt seine Aussage. Im Leitfaden hält das wissenschaftliche Gremium aus über 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fest, dass insbesondere der Konsum von tierischen Produkten massiv reduziert werden müsse, um Netto-Null zu erreichen.
Der Schweizer Bauernverband hingegen bezeichnet den Vorschlag aus Irland als «Schnapsidee». Mit der Massnahme würde das Land womöglich seine eigenen Klimaschutzziele erreichen, leiste aber keinen Beitrag zum Klimaschutz an sich, heisste es da.
Grüne-Nationalrat und Bio-Bauer Kilian Baumann vertritt eine ähnliche Meinung – auch wenn er der Ansicht ist, dass es eine gewisse Reduktion des Tierbestands brauche. Bei der diskutierten Massnahme handle es sich allerdings um eine «Hauruckaktion», um den Fussabdruck im Inland zu verbessern, meint er. «Sofern die Nachfrage nach Milch- und Fleischprodukten nicht abnimmt, würde eine Mangellage sowie ein Preisanstieg einheimischer Produkte einfach durch günstige Importe gedeckt und die Verantwortung an andere Länder abgewälzt werden. Das ist nicht zielführend», so Baumann.
In diesem Punkt ist die Situation in der Schweiz allerdings nicht mit der in Irland zu vergleichen. Denn die Selbstversorgung in Irland dürfte laut Baumann kein Problem darstellen. Schliesslich ist das Land einer der grösste Rindfleisch-Exporteur der Nordhalbkugel.
Die irischen Fleisch- und Viehexporte beliefen sich im Jahr 2021 auf 3,5 Milliarden Euro. Die irischen Bauern sind demnach stark vom Export abhängig. Baumann kritisiert darum, dass Klimaschutzmassnahmen auf dem Rücken der Bauern vorgenommen würden und Existenzen bedrohen.
Dies sieht auch Marcel Liner von Pro Natura problematisch. Die Regierung stelle den Bauern, welche ihre Kühe freiwillig opfern, bis zu 5000 Euro pro tote Kuh in Aussicht, so steht es im Dokument. «Für Kleinbetriebe ist das sehr viel Geld. Für Grossbetriebe hingegen ist das im Verhältnis zu den getätigten Investitionen nur ein kleiner Batzen.» Dennoch ziehen die grossen Betriebe den grösseren Nutzen aus dieser Massnahmen. «Wenn die Bestände der kleineren Betriebe schrumpfen, stärkt das die grösseren», erklärt der Agrarexperte. «Es ist wichtig, Lösungsansatz zu diskutieren», sagt Liner. Man müsse aber auch genau aufpassen, mit neuen Massnahmen keine neuen Probleme zu schaffen.
Über die Problematik des Methanausstosses von Kühen weiss man schon lange Bescheid. «Dass einzelne Länder nun Feuerwehrübungen durchführen, zeigt, dass die Politik jahrelang geschlafen hat», bemängelt Grüne-Politiker Baumann. Der Hebel, um den Fleischkonsum zu reduzieren, liege dem Biobauern zufolge nicht einseitig bei der Agrar-, sondern bei der Ernährungspolitik. Man solle nicht den Bauern etwas vorschreiben, sondern die Gesamtbevölkerung sowie die Politik in die Pflicht nehmen: Sensibilisierung der Bevölkerung und Förderung nachhaltiger Lebensmittel, keine Subventionierung von Fleischwerbung, keine Lockvogelangebote mit Importfleisch in den Grossverteilern.
Für den Bauernverband ist klar: In der Schweiz wäre eine Reduktion des Rinderbestands eine «völlig sinnfreie Aktion». Mediensprecherin Sandra Helfenstein sagt: «Seit 120 Jahren hat man noch nie so wenig Kühe in der Schweiz gehabt wie jetzt. Dies hängt davon ab, wie viel Milch und Fleisch die Schweizerinnen und Schweizer essen.» Die Schweizer Produktion zu reduzieren, ohne dass der Konsum sich entsprechend ändere, führe lediglich zu mehr Importen und grösseren Beständen im Ausland.
Mehr als zwei Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Schweiz ist Grasland – speziell das Berggebiet. Es eigne sich darum gut für die Milchviehhaltung. «Wenn man dort keine Raufutterverzehrer mehr hat, kann man diese Flächen gar nicht mehr für menschliche Ernährung nutzen», sagt Helfenstein.
Liner entgegnet: «Es geht nicht darum, dort keine Nutztiere mehr zu haben, wo es sinnvoll ist.» Problematisch seien hingegen die Ackerbaugebiete, auf denen intensiv Milch produziert werde und das mit immer mehr Kraftfutter. Und: «Auf 60 Prozent der Ackerfläche in der Schweiz wird Futter für Nutztiere angebaut.»
Fest steht: Der Vorschlag aus dem irischen Dokument ist eine von mehreren Optionen, die von der Regierung in Irland geprüft wird. Es handelt sich noch um keine endgültige politische Entscheidung. Irland ist nicht das einzige europäische Land, in dem über die Verringerung von Viehbeständen diskutiert wird. Der französische Rechtshof arbeitet eine Strategie aus, um den stark subventionierten Rinderbestand im Land zu verringern.
«Im Grunde finde ich es sehr problematisch für politische Prozesse, wenn die Verwaltung eines Landes bei internen Diskussionen sofort an den Pranger gestellt wird, weil brisantere Punkte sofort geleakt werden», kritisiert Liner. In diesem Fall helfe das der Fleischlobby, nicht aber dem Klima und der Gesellschaft als Ganzes.
C'mon...