Von den Öhrchen über die Füsschen bis zum Schnäuzchen eines Schweinchens – was bei uns als Schlachtabfall gilt, landet in China auf dem Teller: als Delikatesse.
Schweinefleisch ist in China keineswegs ein Grundnahrungsmittel, sondern ein Symbol des Wohlstands sowie ein Zeichen der positiven Entwicklung der Ernährungspolitik der letzten Jahrzehnte.
Heute ist China nicht nur der weltweit grösste Schweinefleischproduzent, sondern auch der grösste Importeur. Doch von dieser Abhängigkeit möchte sich das Reich der Mitte zunehmend verabschieden. Und zwar mit einer radikalen Lösung: einer neuen, ethisch bedenklichen Massentierhaltung, welche die Schweinepest in Zukunft noch befeuern könnte.
Die Hintergründe:
Um die Umstände einer Tierhaltung im Stil von Vertical Farming besser beleuchten zu können, braucht es einen historischen Rückblick.
Noch heute ist das Thema Hunger fest im kollektiven Bewusstsein der chinesischen Bevölkerung verankert. Die Angst vor einer Unterversorgung geht vor allem auf die Grosse Chinesische Hungersnot von 1959 bis 1961 zurück. Das Ausmass dieser «drei bitteren Jahre» wird bis heute totgeschwiegen – doch die Furcht kann Xi Jinping der Bevölkerung nicht einfach so nehmen. Schätzungen zufolge sind damals unter anderem aufgrund von wirtschaftlichem Missmanagement zwischen 30 und 45 Millionen Menschen verhungert.
Die gegenwärtige Angst vor Unterernährung ist nicht unbegründet, zumal das Ackerland in China gemessen an der Bevölkerungszahl gering ist. Topografische und klimatische Bedingungen erschweren zudem den Anbau von Lebensmitteln. Rund 60 Prozent der Gesamtfläche Chinas liegen auf über 1000 Metern, wodurch die Kultivierung vieler Pflanzen stark eingeschränkt ist. Dazu kommt die geografisch ungünstige Wasserverteilung des Landes.
Doch trotz dieser Hindernisse gelang China in den 70ern der Sprung in die industrielle Landwirtschaft. Das Leben der Bevölkerung verbesserte sich schlagartig. Aber die Revolution der Landwirtschaft in China ist ein zweischneidiges Schwert: Die Herstellung von Agrarprodukten in China impliziert eine intensive Bewirtschaftung, die eine Bedrohung der Ernährungssicherheit darstellt.
Mit der Modernisierung der Landwirtschaft ist auch das Schweinefleisch zu einem Grundnahrungsmittel geworden. Symbolisch gilt es aber als Errungenschaft – als ein Zeichen des Wohlstandes.
In keinem anderen Land wird so viel Schweinefleisch produziert (und konsumiert) wie in China. Doch: So viel produzieren wie konsumieren kann das Reich der Mitte selbst (noch) nicht.
China hält mit mehr als 400 Millionen Schweinen mehr als die Hälfte des weltweiten Schweinebestands von rund 780 Millionen. Der Pro-Kopf-Konsum liegt in China bei 38 Kilogramm Schweinefleisch pro Jahr. Als Vergleich: In der Schweiz werden pro Person jährlich im Schnitt 21 Kilogramm Schweinefleisch verzehrt.
Doch zwischen unserem und dem chinesischen Verzehr liegen Welten: Was bei uns kaum gegessen wird, gilt in China als Delikatesse, wie etwa Schweinefüsschen, Öhrchen oder Pfötchen. Solche Schlachtabfälle importiert China demnach mit Handkuss.
Aber nicht nur. Um die Versorgung der Milliardenbevölkerung sicherzustellen, importiert China auch Fleisch aus dem Ausland, hauptsächlich aus der EU. Der mit Abstand wichtigste Lieferant ist Spanien. Doch die Einfuhr geht alljährlich zurück. Zurückzuführen ist diese Entwicklung auf die zunehmende Selbstversorgung.
Das Bestreben nach Ernährungsautonomie kommt nicht von ungefähr, sondern hängt stark mit der Corona-Pandemie zusammen. Doch es gibt noch einen weiteren Grund: «Ein Land muss seine Landwirtschaft stärken, bevor es sich zu einer Grossmacht entwickeln kann», betonte Xi Jinping, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, kürzlich in einer Rede.
Besonders am Herzen liegen Xi die Schweinefarmen, denen er finanziell stark unter die Arme greift. So genehmigte er 2019 das Projekt einer mehrstöckigen Schweinezuchtfarm, bei der die Tiere auf engstem Raum gezüchtet und schliesslich geschlachtet werden. Kostenpunkt: rund 540 Millionen Euro.
Die Idee stammt von dem ehemaligen Zementarbeiter und Schweinezüchter Zhuge Wenda. Für ihn liegt China hinsichtlich der Schweinezucht um Jahre zurück, deshalb brauche es eine Revolution.
Eine Zeitenwende – zulasten der Tiere.
In einem 26-stöckigen Schweinestall mit jeweils 400'000 Quadratmetern sollen mit 1,2 Millionen Schweinen rund 108'000 Tonnen Fleisch produzieren werden. Bislang ist die Anlage noch nicht ganz fertig. Doch: Die Pandemie hat gezeigt, wie schnell in China Gebäude aus dem Boden gestampft werden können. Bis zur Fertigstellung dürfte es demnach nicht mehr allzu lange gehen. Ein Teil der Anlage sei mit 4000 Schweinen bereits Ende letzten Jahres in Betrieb genommen worden.
Die Massentierhaltungsanlage befindet sich in Zentralchina, in der Provinz Hubei, die für ihre unberührte Natur bekannt ist.
Diese werden die Schweine nie zu Gesicht kriegen. Während 24 Stunden werden sie im Stall von einem Team überwacht. Die Futterzufuhr wird automatisch gesteuert: Über riesige Rohre erhalten die Tiere ihr Futter, das auf jedes Tier anhand des Gewichts abgestimmt sein soll.
Doch genau beim Futter könnte es zu Problemen kommen.
Denn: Die Schweine brauchen mehr Futter, als das Land herstellen kann. China ist einer der weltweit grössten Importeure von Soja: 2021 importierte die Volksrepublik rund 100 Millionen Tonnen Sojabohnen aus dem Ausland – dies entsprach etwa 60 Prozent des globalen Handelsvolumens. Als Vergleich: Die Importmenge des zweitgrössten Importlandes Argentinien lag bei rund 5 Millionen Tonnen.
Die Unmengen an Sojabohnen sind zum grössten Teil nicht für die Bevölkerung gedacht, sondern dienen den Tieren als Futtermittel. China importiert Sojabohnen hauptsächlich aus Brasilien, den Vereinigten Staaten, Argentinien, Kanada und Russland.
Eine vom Ausland unabhängige Landwirtschaft kann also auch dieses Projekt nicht garantieren.
Bei politischen Spannungen oder Preisschwankungen steigen nicht nur die Preise in die Höhe, im schlimmsten Fall können die Schweine verenden. Ohnehin verheisst die neue Dimension der Massentierhaltung nichts Gutes. Zur Haltung der Tiere ist kaum etwas bekannt. Tierschutzgesetze gibt es in China keine. Kritiker befürchten, dass die Tiere zusammengepfercht auf hartem Betonboden gehalten werden.
Neben ethischen Bedenken warnen Gegner vor potenziellen Seuchen. Denn: Eine intensive Landwirtschaft bietet den idealen Nährboden für Infektionskrankheiten. «Je höher die Dichte der Tiere, desto höher ist das Risiko der Ausbreitung und Verstärkung infektiöser Krankheitserreger sowie das Potenzial für Mutationen», sagt Dirk Pfeiffer, Professor für Infektionskrankheiten, gegenüber «The Guardian».
Zumindest gegen diese Kritik hat das Unternehmen ein Argument: Die Luft werde mittels neuster Technologien gefiltert und der Gesundheitszustand der Tiere stetig geprüft, um das Seuchenrisiko zu minimieren. Zudem dürften die Mitarbeiter das Gebäude nur betreten, wenn sie einen Tag davor einen Test auf die Schweinepest durchgeführt sowie einen mühseligen Dekontaminations-Prozess durchlaufen hätten.
Zudem: Ich finde den Vergleich mit dem Schweinefleisch-Konsum in der Schweiz etwas irreführend. Denn Schweinefleisch macht in China etwa 60 Prozent des gesamten Fleischkonsums aus, in der Schweiz etwa 30 Prozent.
Der Gesamtkonsum von Fleisch (und damit das Gesamtproblem) ist in der Schweiz insgesamt höher. Das macht die Situation in China nicht besser. Aber kein Grund, uns hier besser zu fühlen.