Leben
Schweiz

Lebensmittel der Zukunft: Wie wird die Landwirtschaft künftig aussehen?

Kaffee aus dem Reaktor und Brot aus Algen – sieht so die Zukunft der Lebensmittel aus?

Ackerbau und Viehzucht gehen einher mit der Sesshaftigkeit des Menschen – und sind heute kaum noch wegzudenken. Doch: Die Art, wie wir heute Landwirtschaft betreiben, belastet die Umwelt enorm. Gibt es Alternativen? Oder müssen wir den Sektor neu erfinden, um uns nachhaltig zu ernähren?
16.04.2023, 10:2117.04.2023, 13:44
Mehr «Leben»

Der Angriffskrieg in der Ukraine hat gezeigt, wie fragil die globale Ernährungssicherheit ist – und wie schnell sie ins Wanken gerät. Doch nicht nur geopolitische «Ernährungsschocks», sondern auch die globale Erwärmung sowie die wachsende Weltbevölkerung zwingen uns über kurz oder lang zu einem Paradigmenwechsel der Agrarpolitik. Die Frage ist nur, wie?

Gründe für die Agrarwende

Mehr als 828 Millionen Menschen waren 2021 unterernährt – das entspricht rund 10 Prozent der Weltbevölkerung. Unter Hunger und Fehlernährung leiden vor allem Menschen in Afrika und Asien. Primär handelt es sich um ein Verteilungsproblem, denn heute werden genügend Lebensmittel für alle Menschen hergestellt – doch es gibt ein grosses Aber.

Der Hunger hat in den letzten Jahren aufgrund von Kriegen, Konflikten, der Klimakrise und Corona stark zugenommen. Die Welthungerhilfe geht davon aus, dass sich die Ernährungssicherheit weiter verschlechtern wird. Einerseits stellt die globale Klimaerwärmung die Landwirtschaft – die vor allem durch die Emissionen von Treibhausgasen auch zur globalen Erwärmung beiträgt – vor grosse Herausforderungen. Infolge von Dürren, Wassermangel oder etwa versalzenen Böden rechnet die Forschung in den kommenden Jahren mit weltweit sinkenden Erträgen.

09.08.2022, Brandenburg, Leuthen: Vertrockneter Mais steht auf einem Feld im Brandenburgischen Spree-Nei�e-Kreis. Die Pflanzen haben zumeist keine Fruchst�nde ausgebildet. Foto: Frank Hammerschmidt/dp ...
Die Folgen von Dürreperioden: ausgetrocknete Maisfelder.Bild: DPA

Andererseits wächst die Weltbevölkerung. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) geht davon aus, dass bis 2050 zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben – und mehr als 50 Prozent mehr Lebensmittel benötigt werden, als aktuell verfügbar sind.

Eine Ernährungswende ist aber nicht nur für den Menschen von grosser Bedeutung, sondern auch für die Umwelt und die Tiere. Denn: Landwirtschaft heisst heute vor allem intensive Bewirtschaftung und Massentierhaltung. Und diese Art der Landwirtschaft belastet die Böden, das Trinkwasser sowie die Artenvielfalt und verursacht enormes Tierleid.

Landwirtschaft im Regal

Wie also kann eine wachsende Weltbevölkerung inmitten von multiplen Krisen ernährt werden? Diese Frage stellen sich Ernährungsforscher aus aller Welt. Im Idealfall kann ein alternatives Ernährungssystem nachhaltig und in ausreichender Menge Lebensmittel produzieren, die einen hohen Nährwert aufweisen.

Produktionsleiter Tobias Beeler kontrolliert Basilikum Pflanzen in der Produktionsanlage von Yasai, am Montag, 24. Januar 2022 in Niederhasli. Das ETH-Spin-off Yasai kultiviert Kraeuter in einer Pilot ...
Retorten-Basilikum aus einer Produktionsanlage in Niederhasli, Zürich. Auch hierzulande tastet man sich an die urbane Landwirtschaft heran. Bild: KEYSTONE

Ein Begriff der Zukunftstechnologie heisst: vertikale Landwirtschaft. Das Grundkonzept besteht darin, Pflanzen nicht horizontal auf Feldern, sondern übereinander in Hochhäusern anbauen. Somit kann nicht nur der Bedarf an Ackerfläche verringert werden, auch der Transport in Grossstädte würde wegfallen, die Erträge wären nicht mehr vom Wetter abhängig und natürliche Lebensräume für Tiere und Pflanzen könnten renaturiert werden. Vielfach geht das Konzept mit anderen innovativen Lösungsvorschlägen einher wie etwa der Tröpfchenbewässerung, um weitere Ressourcen einzusparen.

Hört sich zu gut an, um wahr zu sein?

Ein Vertical-Farming-Bauer.
Ein Vertical-Farming-Bauer.Bild: Shutterstock

In der Tat gibt es auch eine Schattenseite – der hohe Energiebedarf. Was in der Natur vorhanden ist, muss im Inneren künstlich erzeugt werden – statt mit Sonnenlicht wachsen die Pflanzen durch die Beleuchtung von LED-Lampen. Weiter benötigt das urbane Farming eine Windmaschine sowie eine Klimaanlage. Sollte die Energieversorgung einmal ausfallen, kann ein Ernteausfall nicht ausgeschlossen werden.

Noch steckt die Indoor-Landwirtschaft in den Kinderschuhen. Die Investitionskosten der komplexen Anlagen sind hoch. Eine Stadt, die es sich leisten kann und in der Vertical Farming als sinnvoll erachtet werden kann, ist Dubai. Die Wüstenstadt ist nicht gerade dafür prädestiniert, konventionelle Landwirtschaft zu betreiben. So setzt die grösste Stadt im Emirat grosse Hoffnung in den Bauernhof im Wolkenkratzer – und eröffnete im letzten Jahr die grösste vertikale «Farm» der Welt. In naher Zukunft soll die 12'000 Quadratmeter grosse Anlage bis zu 3000 Kilogramm Obst und Gemüse pro Tag produzieren.

Zelluläre Landwirtschaft

Doch mit vertikaler Landwirtschaft ist der Hunger nach tierischen Produkten noch nicht gedeckt. Tatsache ist, tierische Produkte haben mit Abstand die schlechtesten Klimabilanzen. Ersatzprodukte sind zwar beliebt, doch der Konsum von tierischen Produkten steigt in der Schweiz jährlich. Um dem Geschmack von tierischen Produkten so nah wie möglich zu kommen, tüfteln Forscher seit Jahren an künstlichen Lebensmitteln – hergestellt aus Zellen.

Doch warum sollen gerade im Labor kultivierte Lebensmittel die herkömmlichen besser imitieren? Schauen wir uns künstliches Rindfleisch genauer an. Einer lebendigen Kuh wird mit einer Pinzette ein winziges Stück Muskelgewebe entnommen, um daraus Stammzellen zu generieren. In einer Nährlösung – sprich in einem Bioreaktor – aus Zucker, Mineralien, Vitaminen und einem Wachstumsserum vermehren sich die Zellen – sogar schneller als im Tier.

Fleisch ohne Tierhaltung – Fisch ohne Überfischung

Diesen Vorgang nennt man zelluläre Landwirtschaft – hierunter fallen auch tierische Produkte wie Fisch, Milch, Eier und Gelatine –, ohne dass Tiere dabei getötet oder ausgebeutet werden müssen. Nicht nur die Massentierhaltung würde zum Anachronismus werden, Forschende sehen in der zellulären Landwirtschaft auch hinsichtlich der Umweltbilanz eine grosse Chance. Einerseits können auch Produkte mit einer miesen Ökobilanz wie Kaffee oder Avocados im Reaktor produziert werden. Anderseits entsteht kein «Abfall», weil nur das produziert wird, was wirklich gegessen wird.

Mosa Meat Kultiviertes Fleisch Burger aus dem Labor
In-vitro-Fleisch kann mittels Muskelgewebe eines Tiers im Labor kultiviert werden.Bild: Mosa Meat

Das Verfahren beschrieb bereits Winston Churchill in seinem Essay «Fifty Years Hence»: «Wir werden vom Aberwitz abkommen, ein ganzes Huhn zu züchten, um die Brust oder den Flügel zu essen.» Noch gibt es einige Hürden in der Entwicklung sowie in der Massentauglichkeit. Der erste Labor-Hamburger ist 2013 vom niederländischen Prof. Markus Post auf den Markt gebracht worden – und kostete exorbitante 250'000 Euro.

Doch die Forschung schreitet voran. Vor einigen Jahren hat es beispielsweise noch kein tierfreies Wachstumsserum gegeben, das bei der Herstellung des Laborfleisches benötigt wird. Das Serum stammte aus dem Blut lebender Föten. Das Muttertier samt Fötus musste dafür getötet werden. Mittlerweile wird das Serum aus Algen und Pilzextrakten gewonnen.

Algen

Algen können in Zukunft nicht nur bei der Herstellung von In-vitro-Fleisch von Bedeutung sein, sondern auch als Lebensmittel. Algen gelten als unverzichtbar für das Klima und die Ökosysteme – nicht aber in unserer westlichen Ernährung. Das könnte sich bald ändern. Denn Algen können mehr als nur Sushirollen zusammenhalten. Algen sind gesund und kalorienarm – und dennoch sättigend. Sie punkten mit einem hohen Anteil an Protein und Omega-3-Fettsäuren und enthalten essenzielle Vitamine und Mineralien.

Algen auf dem Grund der Aare, am Mittwoch, 3. August 2022, in Bern. Seit Beginn des Sommers wird die Schweiz von starken Hitzewellen und Duerreperioden heimgesucht. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Algen auf dem Grund der Aare – ob das Superfood bald auf unserem Teller landet? Bild: keystone

Doch diese Eigenschaft allein macht Algen noch nicht zu einem Lebensmittel der Zukunft, sondern die Tatsache, dass Algen überall auf der Welt vorhanden sind, schnell und von allein wachsen – und vielfältig eingesetzt werden können. Algen können beispielsweise einen Teil des Getreides ersetzen, das für Brot oder Pasta benötigt wird. Somit würde das Lebensmittel nicht nur gesünder und kalorienärmer, sondern auch nachhaltiger.

Insekten

Insekten gelten als weitere vielversprechende Nahrungsmittelquelle der Zukunft. Es gibt rund 2000 essbare Insektenarten. Bereits heute gelten Insekten für mehr als zwei Milliarden Menschen, hauptsächlich in Asien, Afrika und Südamerika, als eine der wichtigsten Eiweiss- und Proteinquellen.

Ihr Proteingehalt liegt zwischen 35 und 77 Prozent. Als Vergleich: Rind-, Hühner- oder Schweinefleisch enthalten nur rund 20 Prozent. Auch die Ökobilanz überzeugt: Die Proteinbomben benötigen kaum Wasser, Futtermittel und Land.

Eine Coop-Verkaeuferin im Laden bei Canobbio nimmt eine Packung mit Burgern aus Mehlwuermern (Mehlwurm-Hamburger) aus dem Kuehlregal, aufgenommen am Montag, 21. August 2017, in Lugano. Die "Insec ...
Burger aus Mehlwürmern gibt es bereits heute zu kaufen.Bild: KEYSTONE/TI-PRESS

Hülsenfrüchte

Nach so viel Zukunftsmusik zurück zu Lebensmitteln der Gegenwart: Hülsenfrüchte (Leguminosen). Kichererbsen, Bohnen und Co. dürften aufgrund des klimaschonenden Anbaus auch in Zukunft eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Da die Wurzeln von Hülsenfrüchten eine Symbiose mit Knöllchenbakterien eingehen, wird die Bodenfruchtbarkeit erhöht. Somit sorgen Leguminosen sozusagen selbst für die Düngung – und brauchen kaum bis gar keinen synthetisch hergestellten Stickstoffdünger.

Permakultur

Verbesserung des Humus – gemeint ist nicht jener zum Essen, sondern die abgestorbene organische Substanz des Bodens – spielt auch bei der Permakultur eine zentrale Rolle. Grundsätzlich geht es bei dieser Anbaumethode, die bereits in den 70er-Jahren entwickelt wurde, darum, ein Ökosystem mit natürlichen Abläufen zu erschaffen, das fast ohne den Eingriff des Menschen auskommt.

A field with a permaculture mandala garden, a project of the boarding private school Le Rosey, is pictured next to a car driving on the A1 motorway, center, and an empty parking lot, right, during the ...
Ein Feld mit einem Permakultur-Mandala-Garten neben der Autobahn A1 in der Schweiz – ein Projekt der Internatsschule Le Rosey. Bild: KEYSTONE

Dabei wird die Fläche bestmöglich ausgenutzt, das heisst, Obst und Gemüse werden dicht an dicht, unter- und übereinander kultiviert. Auf Monokulturen sowie auf den Einsatz von Dünger und Pestiziden wird verzichtet, womit die Artenvielfalt gefördert und die Bodenqualität verbessert werden kann.

Aquaponik

Noch kaum bekannt ist Aquaponik – eine Polykultur, welche die Fischzucht und Gemüseproduktion in einem Kreislaufsystem kombiniert. Der Name wie auch die Nahrungsmittelproduktion ist eine Verschmelzung von Aquakultur und Hydroponik. Bei der Aquakultur handelt es sich um die Zucht aller im Wasser lebenden Organismen, insbesondere Fisch, Muscheln oder Algen. Hydroponik nennt man den Anbau von Pflanzen im Wasser – statt in der Erde.

Aquaponik kombiniert Fischzucht und Gemüseanbau. Ein Kreislaufsystem wie aus dem Bilderbuch – doch auch hier ist man abhängig von Energie.
Aquaponik kombiniert Fischzucht und Gemüseanbau. Ein Kreislaufsystem wie aus dem Bilderbuch – doch auch hier ist man abhängig von Energie.Bild: Wikimedia

Konkret bedeutet das: In einem Becken wachsen beispielsweise Fische auf – das Wasser enthält durch die Fischhaltung wertvolle Dünger für Pflanzen. Mittels einer Wasserpumpe werden die Pflanzenbeete mit dem nährstoffreichen Wasser versorgt. Dabei wird das Wasser gereinigt – und kann zurück ins Fischbecken.

Der grösste Vorteil ist der niedrige Wasserverbrauch: Aquaponik kommt mit rund 90 Prozent weniger Wasser aus als die konventionelle Landwirtschaft. Zudem kann Gemüse – genauso wie beim Vertical Farming – in Regalen kultiviert werden und ist dementsprechend platzsparend. Der grösste Nachteil: Die Fische wachsen in einem kleinen Lebensraum auf.

Wo stehen wir?

Es ist viel in Bewegung. Auf der ganzen Welt werden Alternativen zur traditionellen Landwirtschaft erforscht, ausprobiert und perfektioniert. Von einer Umbruchstimmung kann man noch nicht sprechen, dafür sind viele Technologien noch nicht ausgereift oder erfordern immense Investitionskosten. Eine der grössten Hürden dürfte wohl die Akzeptanz sein. Denn traditionelle Landwirtschaft und die damit produzierten Lebensmittel haben viel mit unserer Identität und Kultur zu tun.

Doch wer weiss, vielleicht werden sich unsere Nachkommen eines Tages darüber wundern, dass gewisse Lebensmittel früher einmal nur saisonal verfügbar waren, nicht aus Reaktoren stammten – und wir Fleisch von Tieren gegessen haben.

Mehr zum Thema Ernährung:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Wie Lebensmittel länger haltbar werden
1 / 19
Wie Lebensmittel länger haltbar werden
Bei manchen Früchten muss man nicht nur darauf achten, wo man sie lagert, sondern auch mit welchen anderen Lebensmitteln sie aufbewahrt werden. Äpfel sorgen zum Beispiel dafür, dass Bananen schneller reifen. Das hübsche Gelb auf diesem Foto würde sich ziemlich schnell in ein unschönes Braun verwandeln.
quelle: tumblr/weightloss-meow
Auf Facebook teilenAuf X teilen
«Die Landwirtschaft kostet die Schweiz jährlich 20 Mrd.»
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
131 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
KoTaMo
16.04.2023 10:56registriert Mai 2020
Die Lösung ist natürlich sehr einfach: Fleischkonsum (wieder) drastisch reduzieren. Heute sind 60% (!) der Anbauflächen Tierfutterproduktion. Da Fleisch zwischen 2 und 7 Mal mehr Produktion im Vergleich zu pflanzlichen Erzeugnissen für die gleichen Kalorien braucht, ist der Fall eigentlich klar.
Aus meiner Sicht hätte das für alle Beteiligten, inkl. Tiere, nur Vorteile.
6931
Melden
Zum Kommentar
avatar
Juney
16.04.2023 11:56registriert April 2022
Es ist ja eigentlich erwiesen ( hier war, glaube ich, auch vor kurzem ein Artikel darüber) das es genug Lebensmittel gibt um alle zu versorgen.
Sie sind nur nicht gerecht verteilt.
Und auch wenn ein Teil der Menschen beschliesst, aus Goodwill nur noch Laborpamps zu essen, bedeutet das nicht das die „überzähligen“ Lebensmittel dort ankommen wo Hunger herrscht.
346
Melden
Zum Kommentar
avatar
Kiakira
16.04.2023 12:27registriert Oktober 2015
Na dann, wünsch ich guten Appetit. Ich bin froh, hab ich Eier von meinen Hühnern, Früchte und Gemüse aus meinem Garten und Milch und Fleisch von meinen Ziegen.
3615
Melden
Zum Kommentar
131
    SP-Ständerat Daniel Jositsch will 2027 erneut kandidieren

    Der Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch hat angekündigt, 2027 erneut kandidieren zu wollen. Die unüblich frühe Ankündigung könnte für Streit in der Partei sorgen.

    Zur Story