Politikerinnen und Politiker erhalten weltweit immer mehr Drohungen, ob per Post, Direktnachricht auf den sozialen Medien, per Mail oder im realen Leben.
Letzteres ist möglicherweise auch darauf zurückzuführen, dass die Wohnadressen von vielen Parlamentarierinnen und Parlamentariern leicht auffindbar sind. Dies aus verschiedenen Gründen. Wenn eine Politikerin sich beispielsweise entscheidet, Mitglied eines Volksinitiativ-Komitees zu werden, dann wird ihre Adresse zwingend veröffentlicht.
Eine Politikerin möchte dies nun ändern: SP-Nationalrätin Jacqueline Badran. Ihrer Meinung nach ist die Pflicht aufzuheben. Die Veröffentlichung sei veraltet und unnötig, so Badran.
Badran hat in der letzten Woche der Sommersession eine Motion eingereicht zu dem Thema. Sie schreibt in der Begründung zur Motion: «Wird die Adressangabe-Pflicht nicht aufgehoben, bedeutet dies, dass Parlamentsmitglieder und sonstige Personen des öffentlichen Lebens, die potenziell in ihrem Zuhause bedroht werden, von der Teilnahme in Volksinitiativ-Komitees ausgeschlossen sind.»
Sie erklärt in der Begründung zudem, dass, um die Unverwechselbarkeit einer Person sicherzustellen, auch das Geburtsdatum reichen würde oder der Wohnort, nicht aber die Strasse und Hausnummer.
Diese zwingende Adressveröffentlichung steht auch im Konflikt damit, dass die Parlamentsmitglieder ihre Adressveröffentlichung auf der offiziellen Parlamentswebsite unterdrücken können. Bis vor zwei Jahren war diese Veröffentlichung noch obligatorisch.
«Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssen besser geschützt werden!», sagt Badran gegenüber watson. Sie erklärt, dass der Organisationsgrad «neofaschistischer Gruppierungen» auf Telegram und anderen Kanälen enorm zugenommen habe. Diese hätten bereits konkrete Drohungen ausgesprochen und reichten Wohnadressen herum.
«In der Schweiz sind das bisher nur Drohungen und ungehörige Gegenstände in Briefkästen. Aber in Deutschland haben wir gesehen, wohin das führen kann», hält sie fest.
Badran spielt mit dieser Aussage auf den Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke an. Dieser wurde 2019 aus nächster Nähe vor seinem Wohnhaus in Wolfhagen-Istha getötet, bereits 2015 stand Lübcke aufgrund von diversen Drohungen unter Polizeischutz.
Badran habe selbst schon einige Drohungen erhalten, unter anderem, dass sie sich in ihrem Zuhause «nicht mehr sicher» fühlen könne. Nach einem Gespräch mit einigen ihrer Ratskolleginnen und -kollegen, die von ähnlichen Nachrichten und schlimmen Drohungen berichteten, sei sie derart erschüttert gewesen, dass sie gleich am nächsten Tag die Motion geschrieben und eingereicht habe.
Sie sagt: «Gewisse Personen, mit denen ich gesprochen habe, haben Kinder, wohnen im Erdgeschoss oder haben Angst, vor der Wohnung abgepasst zu werden. Sie fühlen sich nicht mehr sicher, weil ihre Wohnadresse bekannt wird, sobald sie in einem Volksinitiativ-Komitee sind – das ist eine Zumutung.»
Grüne-Nationalrätin Meret Schneider unterstützt das Bestreben von Frau Badran. Sie sagt gegenüber watson: «Ich stehe hinter dieser Motion, da auch ich der Meinung bin, dass die Parlamentsmitglieder besser geschützt werden sollten. Bei mir standen auch schon plötzlich völlig fremde Leute vor der Haustüre – das ist keine angenehme Erfahrung.»
Thomas Aeschi, SVP-Fraktionspräsident, sieht das anders: «Ich habe kein Problem damit, dass meine Adresse im Rahmen von Volksinitiativ-Komitees veröffentlicht wird. Wir sind Volksvertreter, die Leute sollen wissen, wo wir wohnen.»