Morgen Samstag um 14 Uhr werden sie wieder demonstrieren, die «Corona-Rebellen». Auf einem Flyer, der in einschlägigen Chats kursiert, sind Demonstrationen in Bern, Zürich, Basel, Luzern, Thun, St. Gallen, Aarau, Winterthur und vor dem Hauptzoll in Kreuzlingen angekündigt. Zudem solle «überall, wo es schön ist» so genannte Spaziergänge stattfinden.
Letzte Woche sorgten Kundgebungen unter anderem in Bern und Zürich für Aufsehen. Es waren Einzelpersonen ohne sichtbare Parteizugehörigkeit, die gegen die Einschränkung von Grundrechten im Rahmen des Corona-Regimes und gegen angeblich vorgesehene «Zwangsimpfungen» demonstrierten. Darunter mischten sich einzelne Rechtsextreme. Verschwörungstheorien über das Corona-Virus wurden verbreitet.
Diese Woche haben die Polizeien von Bern und Zürich angekündigt hart durchzugreifen. Das Aufgebot werde an diesem Samstag «deutlich erhöht», heisst es in Bern. Und die Stadtpolizei Zürich entschuldigte sich dafür, dass sie Demonstranten am vergangenen Samstag habe gewähren lassen. Die Einsatzleitung habe die Situation «falsch eingeschätzt» und Fehler begangen. Die Botschaft ist klar: Das wird diesen Samstag nicht noch einmal passieren.
Nun kommen aber Zweifel auf, ob die harte Linie der Polizei gegenüber jeglichen Kundgebungen, aus rechtlicher Sicht gerechtfertigt ist. In der Corona-Verordnung des Bundes werden Kundgebungen nicht explizit geregelt. In den Erläuterungen dazu werden Demonstrationen als öffentliche Veranstaltungen beschrieben, die «grundsätzlich verboten» seien.
Ob aber – gerade kleinere – Kundgebungen als Veranstaltung oder als Menschenansammlung, die erst ab 5 Personen verboten sind, gelten ist umstritten. Die Polizei schritt in Zürich und Bern auch bei kleineren Meinungsbekundungen schon ein. Zudem bleibt die Frage, ob Kundgebungen als öffentliche Veranstaltungen bewilligt werden könnten.
In Zürich kommt es wegen unterschiedlicher Auffassungen nun zum offenen Schlagabtausch zwischen Stadt und Kanton. Am Donnerstagabend veröffentlichte die Stadtzürcher Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) ein Communiqué. Darin schreibt sie:
Liege ein überwiegendes öffentliches Interesse vor und habe ein Veranstalter ein überzeugendes Schutzkonzept, könne er beim Kanton ein Gesuch für eine solche Ausnahmebewilligung einreichen.
Und die grüne Stadträtin gibt auch gleich praktische Tipps für Demonstrationsgesuche: Für politische Kundgebungen oder Aktionen müsse das Gesuch sieben Tage vor der Veranstaltung schriftlich und zusammen mit dem Schutzkonzept bei der Staatskanzlei des Kantons Zürich eingereicht werden – wenn möglich elektronisch. Die E-Mail-Adresse der Staatskanzlei wurde gleich mitgeliefert.
Was für eine spektakuläre Wende. Noch am 1. Mai wurde in der Stadt Zürich jegliche politische Meinungsäusserung mit Verweis auf Corona konsequent unterdrückt. Frauen in medizinischen Kleidern – inklusive Mundschutz und Visier –, die unter Einhaltung der Abstände, vor dem Rathaus für bessere Arbeitsbedingungen des Gesundheitspersonals demonstriert hatten, wurden abgeführt. Und selbst unbemannte Transparente wurden abgehängt.
Nicht einmal zwei Stunden nach Veröffentlichung des Communiqués pfeift der Kanton die Stadt zurück. Die Kantonspolizei veröffentlicht im Nahmen der kantonalen Führungsorganisation eine Medienmitteilung, in der sie Stadträtin Rykart diametral widerspricht.
Im Gegensatz zur Stadt Zürich interpretiert der Kanton Zürich Kundgebungen offenbar als Menschenansammlung und nicht als Veranstaltung, die unter Umständen bewilligungsfähig wären. Auf Anfrage waren bei der Kantonspolizei keine weiteren Erläuterungen zu bekommen. Auch nicht auf die Frage, ob denn Kundgebungen mit fünf oder weniger Personen dementsprechend zulässig wären.
Klar ist: Durchsetzen wird sich in dieser Frage mittelfristig der Kanton, denn die Stadtpolizei wird Kundgebungen nur tolerieren, wenn die Veranstalter über eine vom Kanton erteilte Ausnahmebewilligung verfügt.
Aus der Rechtswissenschaft häufen sich die Stimmen, die die rechtlichen Grundlagen des harte Demonstrations-Regimes der Schweiz kritisieren. Felix Uhlmann, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Zürich, stützt auf Anfrage die Sicht der Zürcher Sicherheitsdirektor Karin Rykart. Im «Sinne einer verfassungskonformen Auslegung» der Covid-19-Verordnung des Bundesrates plädiert er dafür, Demonstrationen als bewilligungsfähige Veranstaltungen anzusehen. Uhlmann sagt:
Der Streit um die Interpretation der Corona-Verordnung dürfte für die Demonstrationen vom Samstag keine unmittelbaren Folgen haben. Denn sollte eine Bewilligung durch die Kantone möglich sein, heisst das noch lange nicht, dass sie auch erteilt wird. Es bräuchte ein Schutzkonzept und die Bilder von vergangenen Woche zeigten, wie sich die Demonstranten nicht an vorgegebenen Abstände hielten.
Und die Corona-Rebellen wollen ohnehin auch ohne Bewilligung demonstrieren. So sagt der Brugger Aktivist Alex Gagneux, der als einer der ersten in Bern gegen die Corona-Massnahmen demonstrierte, dass er auch diesen Samstag wieder hingehen werde.
Dass sich nicht einmal die Behörden einig sind, ob und unter welchen Umständen demonstriert werden darf, dürfte aber die Hemmschwelle senken, auf die Strasse zu gehen und die Arbeit der Polizei nicht einfacher machen.
Bund & Kantone verpassen es, ihre hoheitlichen Rechte sinnvoll und klar auszuführen. Wären wir wieder bei der Transparenz...